Ins Herz geschlossen

4.4.2017, 08:00 Uhr
Ins Herz geschlossen

© Pfrogner

Für ihren emotionalen Auftritt entschuldigt sie sich. Sachlich bleiben, das falle ihr bei diesem Thema sehr schwer. Wer ihr aber zuhört, kann dieser Mutter überhaupt nicht krummnehmen, dass sie das Herz auf der Zunge trägt: Sie bangt um die Zukunft ihres Kindes. "Das ist unser Sohn und wir wollen ihn nicht verlieren", sagt Susanne Philipp, die Pflegemutter, und deutet auf einen jungen Mann in der Runde. Jamal soll er in den folgenden Zeilen heißen, es ist nicht sein richtiger Name.

Jamal lebt seit eineinhalb Jahren bei den Philipps in Rednitzhembach (Landkreis Roth). Vor kurzem ist er 18 Jahre alt geworden. Werden Heranwachsende volljährig, ist das ein Grund zum Feiern. In manchen Städten, wie in Nürnberg oder Fürth, kommt sogar per Post ein Schreiben vom Oberbürgermeister mit Glückwünschen für den nun stimmberechtigten jungen Bürger.

Ein Schock für die Familie

Doch Jamal bekam einen ganz anderen Brief - Post, die ihm und seinen Pflegeeltern Susanne und Karl-Heinz Philipp Angst macht. Der Asylantrag des jungen Afghanen wurde abgelehnt, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) legt ihm nahe, bald in seine Heimat zurückzukehren. Ein Schock für die Beteiligten. Denn dort herrschen kriegsähnliche Zustände: Anschläge und blutige Angriffe auf die Zivilbevölkerung gehören zum Alltag. Dass die Bundesregierung einige Regionen dieses Landes als sicher einstuft, sorgt hier beim ersten Treffen der "Pflegeeltern gegen Abschiebung" für Empörung. Laut UN-Bericht wurden im vergangenen Jahr in Afghanistan 3498 Zivilisten durch Kampfhandlungen getötet und 7920 verletzt. "Ich nehme doch nicht ein Kind aus einem Kriegsgebiet auf, um es dann wieder in den Krieg zurückzuschicken", klagt Susanne Phillip. "Bei jedem Bombenanschlag dort müsste ich mich fragen, ob es unter den Opfern ist."

Flugzeug Richtung Kabul

Das Nürnberger Jugendamt hatte den damals 16-Jährigen vor die Wahl gestellt, in einem Heim, einer Wohngruppe oder eben bei Pflegeeltern unterzukommen. Lange überlegen musste Jamal nicht. Es entschied sich für Pflegeeltern, weil er sich in Deutschland schneller integrieren wollte. Er wuchs seiner neuen Familie ans Herz - nicht nur den Pflegeeltern. Die vier neuen Geschwister sehen ihn mittlerweile als ihren eigenen Bruder an, erzählt Jamals fränkische Mama und fügt an: "Ich vermisse ihn schon, wenn er das Haus verlässt und in die Schule geht."

Die Ablehnung des Asylantrags und die drohenden Folgen hängen jetzt wie ein Damoklesschwert über der ganzen Familie. Berichte in den Medien, dass Menschen in Deutschland auch nachts von der Polizei abgeholt und in ein Flugzeug Richtung Kabul gesteckt werden, lösen bei den Betroffenen Ängste und Panik aus.

Das jedenfalls beobachtet Antje Pastors tagtäglich. Die Sozialpsychologin vom Psychologischen Fachdienst der Rummelsberger Diakonie betreut und beobachtet junge Flüchtlinge. Sie berichtet, dass die Furcht vor einer Abschiebung bei jungen Afghanen regelmäßig "Todesängste" auslöse. Schlafstörungen, Panikattacken, Depressionen und Suizidgedanken seien häufige Symptome. Pastors: "Mehrere Jugendliche haben in sehr ernstzunehmender Weise angekündigt, sich im Falle einer Abschiebung nach Afghanistan noch hier in Deutschland das Leben zu nehmen. Mindestens zwei unserer Jugendlichen mussten ganz aktuell aufgrund von suizidaler Selbstgefährdung in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen werden."

Auch bei Jamal schwindet jetzt die einst nach der Ankunft in Deutschland gewonnene "emotionale Stabilität". Mit seiner Volljährigkeit ist er aus der Jugendhilfe ausgeschieden, der "Schutz des deutschen Jugendamtes" ist weg, sagt Susanne Philipp.

Doch zum Leid gesellt sich an diesem Abend im Nürnberger Jugendhaus Rädda Barnen auch etwas Freude. Jamals Landsmann Abdullah hat seine Anerkennung als Asylbewerber bekommen. Warum sie der eine kriegt, der andere aber nicht, ist allerdings nicht nachzuvollziehen. Lothar und Claus Oehlen sind anerkannte Pflegeeltern, Abdullah ist ihr Patensohn und der künftige Pflegesohn des schwulen Ehepaars aus Fürth. "Seit Mittwoch ist er anerkannt", freut sich Lothar Oehlen. Er sagt aber auch: "Für ihn brauchen wir nicht mehr zu kämpfen, aber für alle anderen machen wir weiter."

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