Kunst und Forschung zum Anfassen bei Offen Auf AEG

22.09.2014, 07:19 Uhr
Kunst, die zum Schlendern und Entdecken einlädt - das gibt es bei Offen auf AEG

© Günter Distler Kunst, die zum Schlendern und Entdecken einlädt - das gibt es bei Offen auf AEG

Die riesige Halle 18, wo sich die Werkschau der AEG-Künstler im letz­ten Jahr über sechs Etagen und 15.000 Quadratmeter ausdehnte, bleibt bei der fünften Auflage von „Offen Auf AEG“ leer. Nur das Erdgeschoss wur­de am Eröffnungsabend zur Party­zone. Eine gute Entscheidung, die dem Besucher nicht nur schmerzende Füße erspart, sondern auch mehr Zeit und Muße lässt für den Kunstrund­gang – konzentriert auf zwei Hallen, die Akademiegalerie und die ehemali­ge Zentrifuge.

Der Hotspot war am ersten Wochen­ende klar die Akademiegalerie – was fraglos auch auf das Konto von Juer­gen Teller ging. Der aus Bubenreuth stammende Starfotograf und Gastpro­fessor am Schmausenbuck präsentiert hier gemeinsam mit seinen Studieren­den wändefüllend eine ziemlich wilde Fotostrecke – Momentaufnahmen aus dem prallen Leben, intim, ausschwei­fend, anrührend, witzig, provokant und sehr persönlich.

Für die Fortsetzung des Projekts hat Teller-Student David Häuser sei­ne Mutter mitgebracht, die er mit dem Professor ablichten will. Juergen, wie ihn alle nennen, lässt sich nicht zwei­mal bitten – im Gegenteil. Weil gerade auch seine eigene Mama Irene da ist und sein Onkel Arthur, kommen die gleich mit aufs Bild. Seine Assistentin sowieso, und auch ein Besucherpär­chen stellt sich dazu. Ein Familien­foto der besonderen Art. Die gute Laune, die Teller und seine Studenten verbreiten, überträgt sich spontan aufs Publikum. Bis tief in die Nacht wird später gefeiert.

Das Kontrastprogramm gibt’s ne­benan in der ehemaligen Zentrifuge. Dort sind in einer so schlicht wie her­vorragend inszenierten Ausstellung Schwarz-weiß-Aufnahmen des in Rü­ckersdorf geborenen, seit langem in London lebenden ehemaligen Kriegs­fotografen Patrick Barth zu sehen. Groß-Porträts von weißen US-Ameri­kanern, die an der Grenze zu Mexiko leben, stehen Aufnahmen illegaler Ein­wanderer gegenüber. Schon die Kör­perhaltungen der selbsternannten Grenzschützer – mit einer einzigen Ausnahme sind alle bewaffnet – wirken als Statement für sich.

Unerreichbarer Traum

Die daneben zu lesenden Zitate offenbaren die Paranoia der um ihre Sicherheit fürchtenden Weißen und die Verzweiflung der Menschen, die die Armut aus ihrem Land verjagt. „Too much suffering for the American dream“, resümiert Daniel Gonzalez, der beim Versuch, in die USA zu gelan­gen, dreimal festgenommen wurde. Doch das teure Visum für den legalen Grenzübertritt kann er sich, wie die meisten, nicht leisten. Für Roger Barnett aus Arizona, der stolz darauf ist, 3000 Illegale an die Grenzpolizei ausgeliefert zu haben, sind Menschen wie Daniel „trash“ – Müll.

Barths Fotos erzählen von Hass, Ar­mut und Ausgrenzung, von Tragö­dien, die uns nur geografisch fern sind. Für zum Teil entlarvende Einbli­cke in die westliche Leistungsgesell­schaft mit ihren Glücksversprechen sorgt die dritte Fotoschau auf AEG, die das Leipziger „f/stop“-Festival für Fotografie als Gastspiel in Halle 15 präsentiert.

Die riesige Hallen­fläche war für die Kuratoren Thilo Scheffler und Christin Krause eine Herausforderung, die hervorragend bewältigt wurde. Viel Freiraum zwi­schen den einzelnen Arbeiten – viel Ruhe, um sich einzulassen auf die Ge­schichten, die erzählt werden und die alle mit uns zu tun haben, mit unseren Vorstellungen von Glück und Erfolg, aber auch mit Leistungsdruck, Identi­tätssuche und Einsamkeit.

Wie quälend die zur Schau getrage­ne Siegerpose sogenannter Führungs­kräfte sein kann, zeigt hautnah Anna Witts Video-Installation „Sixty Minu­tes Smiling“. Die Auswüchse des Kon­sumwahns dokumentiert drastisch Julian Röder. Ein quasi-anthropologi­sches, auch witziges Forschungspro­jekt ist Hans Eijkelbooms Fotostrecke mit Selbstporträts, in denen er sich so inszeniert, wie ihn ehemalige Bekann­te in Erinnerung haben – bzw. was diese glauben, was aus ihm geworden sein könnte.

Die Fotografie – im Obergeschoss der Halle sind weitere Arbeiten inter­national renommierter Magazinfoto­grafen zu sehen – hat damit einen facettenreichen, spannenden Auftritt. Das Herzstück der Großschau – die Ausstellung der 85 auf AEG tätigen Künster in Halle 20 – zeigt hingegen vor allem Malerei, Bildhauerei und Installationen. Trotz der bunten Fülle ist Kurator Tobias Fischer eine klare, stimmige und attraktive Inszenierung gelungen.

Auch Eva Kraus, neue Che­fin des Neuen Museums, hat sich hier am Samstag umgeschaut und sich „ei­nige Namen aufgeschrieben“. Welche, verrät sie nicht, aber ihr Eindruck sei „absolut positiv“. Auf das AEG-Groß­event insgesamt bezogen kann man auch mit Juergen Teller sprechen. „I like it“. Kurz, knapp, treffend.

Die Ausstellungen sind bis 5. Ok­tober geöffnet: Halle 20 und 15, Do.–So. 12-19 Uhr; Akademie­ Galerie Mi.–So. 14–19 Uhr; Pat­rick Barth Mo.–So. 12–19 Uhr.

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