Legendärer Lotto-Laden schließt nach 33 Jahren

17.7.2016, 05:58 Uhr
Gemeinsam betrieben Karin und Günter Graf das Lotto-Geschäft in der Humboldtstraße 33 Jahre lang.

© Edgar Pfrogner Gemeinsam betrieben Karin und Günter Graf das Lotto-Geschäft in der Humboldtstraße 33 Jahre lang.

Die Reaktionen der Kunden unterscheiden sich nur in der Ausdrucksweise. Ansonsten ist es immer das Gleiche: Niemand will die Grafs ziehen lassen. Keiner kann es glauben. Seit 33 Jahren gehören sie in der Humboldtstraße/Ecke Gabelsberger Straße zum Erscheinungsbild wie der markante Erker des Hauses, in dessen Erdgeschoss sich der Laden befindet.

Der Kunde, Anfang 30, der gerade seine Marlboro Lights kauft, hat als Kind auf denselben Tresen sein Taschengeld gelegt, um es in Micky-Maus-Hefte zu investieren. Jahre vergingen, die Grafs waren da. Wenn es immer weniger Konstanten gab, wenn ein Geschäft nach dem anderen sich in eine Spielhalle oder in einen Ramschladen für Handyzubehör verwandelt und verschandelt hat — das Lotto-Geschäft an der Ecke mit Karin und — als Galionsfigur — Günter Graf blieb.

"Ein kleiner, großer Mann"

Günter Graf kramt ein kleines Foto hervor, das eine Außenaufnahme des Ladens aus dem Jahr 1986 zeigt. Viel hat sich in 30 Jahren nicht verändert. Das Schild mit der rot-blau-grünen Aufschrift "Lotto Toto Lotterie" hat sich ein wenig modernisiert, die ein oder andere Zeitschriften- oder Tabakreklame auf dem Vordach des Ladens wurde ausgewechselt. Aber der Schriftzug im Schaufenster etwa blieb unverändert.

Über den Inhaber sagt Enrico Migliaccis aus der Nachbarschaft: "Er ist ein kleiner, großer Mann." Wer Günter Graf kennt, weiß genau, was der Kunde meint. Von eher geringer Körpergröße, hat Graf doch eine große Präsenz. Den Laden mit einer Verkaufsfläche von nicht mehr als 60 Quadratmetern nimmt er ein wie ein guter Schauspieler die Bühne.

Graf hat flinke Augen und einen drahtigen Körperbau. Laut kann er ebenso gut wie leise. Wenn er etwas erklärt, dann unterstreicht er dies, indem er es vorspielt. Beispielsweise das Geheimnis seines Erfolges: "So, da, Ihre Zigaretten!", sagt er barsch und schleudert eine Schachtel auf den Tresen. Mit so einer Art hätte er keine zehn Jahre durchgehalten. Stattdessen geht es folgendermaßen: „Hier, Ihre Stammmarke. Und? Wie geht’s jetzt weiter mit’m Club?“

Die Leute da abholen, wo sie stehen. Ernst nehmen. Zuhören. Mal aufheitern. Fragen oder schweigen. Der gelernte Kaufmann hat dies im Blut. Daher sagen Kunden wie Enrico Migliaccis: "Wie viel mit ihm geht, das können wir gar nicht beschreiben."

Total abgebrühter Millionär

Nach über drei Jahrzehnten kann Graf mehr erzählen, als hier Platz hat. Aber zwei Erlebnisse sollen nicht fehlen. Da ist der Millionengewinner, der bei Graf seinen Schein abgegeben hatte. Ohne Sekt, ohne Feierlaune kam der in den Laden. "Unglaublich!".

Und dann war da der Unbekannte mit Sturmhaube, der an die Kasse wollte. "Verschwinde", hat Graf geschrien und ihn vor die Brust gestoßen. Der Dieb sei auf der Stelle davongerannt.

Bald sind das Geschichten von damals, als es den Lotto-Laden noch gegeben hat. Ein Investor hat das Haus in der Hulmboldtstraße übernommen, das Geschäft, bis dato zur Miete, sei zum Kauf zu teuer, sagen die Grafs. Und wenn man Ende 60 ist, kann man auch mal mit der Arbeit aufhören. Dann gibt es keine 60-Stunden-Woche mehr und einen längeren Jahresurlaub als zwei Tage.

Bis Ende Juli werden noch viele Hände geschüttelt und Taschentücher gereicht werden müssen. "Ich danke ihm für sein Lächeln am Morgen", sagt Migliacco bewegt — und scheitert am Versuch, sich eine Südstadt ohne die Grafs vorzustellen.

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