Leserfoto-Serie der NZ: Das Konzert-Café Bijou

9.8.2014, 12:32 Uhr
Leserfoto-Serie der NZ: Das Konzert-Café Bijou

© Archivfoto: Gerardi/Foto: Roland Fengler

Frühjahr 1949: Die vierjährige Helga ist mit zwei Freundinnen auf dem Weg zum Amerika-Haus, das sich zu dieser Zeit in der Gerling-Villa am Spittlertorgraben einquartiert hat. „Dort haben sie im Keller Micky-Maus-Filme gezeigt“, erinnert sich die heute 69-jährige NZ-Leserin. „Unsere Eltern hatten wohl Vertrauen zu den Amerikanern, jedenfalls haben sie uns allein dort hingehen lassen.“ Das Amerika-Haus ist eine der ersten wieder funktionsfähigen Kultureinrichtungen nach Kriegsende und dient in erster Linie dazu, die Bevölkerung zu demokratisieren.

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© Privat

An ein opulentes Konzert-Café ist zu dieser Zeit nicht zu denken: Nürnberg liegt zu großen Teilen in Trümmern. „Bis weit in die 1950er Jahre hat man noch viele Ruinen gesehen“, berichtet Helga Wennemer. Für sie ist der Anblick normal: „Ich wurde 1945 geboren und kannte es nicht anders.“ Im Januar wird das Haus der Familie an der Flaschenhofstraße ausgebombt, im Februar kommt Helga zur Welt. Ihr Vater, der zu dieser Zeit schon aus dem Krieg zurückgekehrt ist, flickt die Ruine notdürftig mit Wellblech. In diesem Provisorium lebt die Familie, bis sie 1948 in die Arndtstraße zieht.

Dass man sich das Haus mit nur einem Waschbecken und einer Toilette auf dem Gang mit einer anderen, fremden Familie teilt, ist zu dieser Zeit nichts Besonderes.

Und in den Trümmern, erinnert sich Helga Wennemer, lässt es sich herrlich spielen: „Wir krabbelten in Löcher, da hätte ja auch Munition drin sein können. Aber die Eltern ließen uns, und passiert ist nie etwas.“

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© Foto: privat

"Elegant und gediegen", schreibt die NZ 1954

Interessant sind auf dem Foto aber nicht nur die drolligen Mädchen, sondern vor allem auch der Hintergrund: Die Ruine soll schon bald weichen und an ihrer Stelle das Konzert-Café Bijou entstehen.

„Elegant und gediegen“ sei es geraten, schreibt die NZ am 22. Oktober 1954 anlässlich der Eröffnung, ein „wirklich weltstädtisch aufgemachtes Café“: ein Page, der den Gästen aus den Jacken hilft, hohe Wände mit Kristallspiegeln und eine geschwungene Treppe. Ohne Krawatte ist kein Einlass möglich; ein Ex-Generalfeldmarschall mit einer schweren Verletzung am Hals darf nach längerer Diskussion ausnahmsweise trotzdem hinein, wird aber „etwas weiter nach hinten“ gesetzt, „außerhalb des Blickwinkels der anderen Gäste“.

Inhaber Werner Weinstötter wird zitiert, er sei das finanzielle Wagnis eingegangen, obwohl von den Nürnbergern behauptet werde, sie seien „keine Caféhaus-Geher“. Helga Wennemer geht nur einmal in den 1960ern mit ihrer Mutter ins Bijou: „Das war etwas für die bessere Gesellschaft.“ Zur Live-Musik der Kapelle Fischer kann man gepflegt dinieren und wird dabei von Serviererinnen in türkisblauer Uniform bedient. Abends wechseln sie das Kostüm und tragen Weinrot. Getanzt wird nicht.

Das Fernsehen vermiest dem Bijou bald die Geschäfte – viele Nürnberger ziehen nun die bequeme Abendunterhaltung auf dem Sofa vor. 1959 verpachtet Weinstötter das Bijou an Willi Kröll, der 1967 das gleichnamige Kaffeehaus am Hauptmarkt nach dessen Vorbild entwerfen sollte: Auch das 2007 geschlossene Café Kröll (heute: Provenza) zeichnet sich durch eine geschwungene Treppe aus.

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© Archivfoto: Contino

Aus dem Bijou wird der "Tanzpalast" mit zugeklebten Scheiben

Inhaber Weinstötter startet selbst noch einen Versuch mit dem Bijou, der zunächst sogar erfolgreich ist – und zwar mit einer ganz neuen Idee. Beim „Soirée Madame“, dem „reizvollen Tanzvergnügen der modernen Frau“, wie die Veranstaltung beworben wird, dürfen sich die Damen ihren Tanzpartner selbst aussuchen. Und weil die Damenwahl 1969 fast revolutionär ist, bekommen unbegleitete Frauen zur Überwindung ihrer Scheu einen Piccolo gratis. Das erinnert doch sehr an die Strategien der heutigen Diskotheken.

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© Contino

Eine Diskothek aber will Weinstötter keinesfalls betreiben. Als sich der Trend unweigerlich in diese Richtung entwickelt, verpachtet er das Bijou noch einige Male, bevor er es 1979 verkauft. Aus dem gediegenen, eleganten Bijou wird der „Tanzpalast“ mit zugeklebten Scheiben. Wo vorher Nürnbergs feine Gesellschaft am Kaffee nippte, schwofen nun die jungen Leute. In den 1980ern geben sich noch einige Pizzabäcker die Klinke in die Hand, ehe der neue Besitzer Anfang der 1990er den Umbau beschließt.

Heute prangt ein exzentrischer Bau am Spittlertorgraben 39. Um den Umbau, der oft als verkappter Neubau kritisiert wurde, gab es heftige Diskussionen. Der Baukunstbeirat der Stadt Nürnberg sprach sich gegen die „Barbarei“ aus, die nichts mit dem „behutsamen Umgang mit Bauwerken der 50er Jahre“ zu tun hat, den sich das Gremium wünscht. Manche Dinge ändern sich eben nie.

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