Mollath nimmt Hilfe von Starverteidiger an

21.12.2012, 07:00 Uhr
Der Fall Mollath ist brisant, weil die Schwarzgeld-Vorwürfe offensichtlich stimmen. Für das Landgericht Nürnberg waren sie aber Teil eines "paranoiden Gedankensystems".

© dpa Der Fall Mollath ist brisant, weil die Schwarzgeld-Vorwürfe offensichtlich stimmen. Für das Landgericht Nürnberg waren sie aber Teil eines "paranoiden Gedankensystems".

Wer die Strafjustiz zwingen will, sich mit einer Sache neu zu befassen, muss sehr gute Argumente haben — denn ein Wiederaufnahmeverfahren gilt als letztes Mittel.

Zwar lässt Justitia, so erläutert Michael Hammer, Sprecher der Nürnberger Justiz, die Richtigkeit ihrer Entscheidungen mit Rechtsmitteln wie Berufung und Revision überprüfen. Doch ebenso wichtig sei für Beteiligte eines Rechtsstreits, und dies gilt sowohl für Opfer als auch für Verurteilte, dass die Entscheidung eines Gerichts auch verlässlich ist.

Könnte ein Urteil nachträglich beliebig verschärft werden, wäre die Tür zur Willkür aufgestoßen. Umgekehrt würde ein Opfer nie Ruhe finden, könnte ein Verurteilter immer wieder neue Aspekte geltend machen — die Verfahren würden endlos dauern, der Rechtsfriede nie eintreten, so Hammer. Gemeinhin vertrauen wir darauf, dass im Strafprozess die Wahrheit gesucht und im formal korrekten Verfahren Recht gesprochen wird. Am Ende soll der Böse seine korrekte Strafe erhalten. All dies ist zentral für unsere Gesellschaft, will sie Bestand haben und nicht in Selbstjustiz versinken. Auch der Wunsch des Opfers nach Vergeltung soll einfließen. Auch so wird Rache, maßlose Rache womöglich, verhindert.

Doch: Eine Welt perfekten Wissens gibt es nicht, Richter sind keine Rechtsprechungsroboter, und Rechtsmediziner und Psychiater können in die Köpfe der mutmaßlichen Missetäter nicht hineinsehen. Zu milde Urteile, zu harte Strafen, Unschuldige hinter Gittern, Schuldige auf freiem Fuß — unser Rechtssystem bringt deshalb all dies zwangsläufig mit sich.

Will ein Rechtsstaat funktionieren, braucht er deshalb auch ein Mittel, Urteile, die zwar gut begründet wurden und ohne Rechtsfehler sind, aufzuheben. Denn nicht alles, was gut begründet ist, muss richtig sein.

Dummheit und Hochmut

Wiederaufnahmeverfahren sind selten — der Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate gilt als Spezialist für die komplizierte Materie. Er hat Gustl Mollath seine Hilfe, kostenfrei übrigens, angeboten. Mollath hat Strate beauftragt. Doch offen ist, ob es zur Wiederaufnahme des Verfahrens überhaupt kommen wird.

Strate selbst schrieb über seine Erfahrungen unter dem Titel „Der Verteidiger in der Wiederaufnahme“: „Zunächst muss sich jeder Verteidiger klar sein, dass unser Rechtsstaat zwar viele Mängel hat, im Ergebnis jedoch überwiegend die Richtigen trifft, auch wenn die Urteile mitunter lückenhaft, manchmal auch schludrig begründet sind und das Strafmaß gelegentlich überzogen ist. Jede andere Einschätzung wäre fatal: eine Strafjustiz, die zur Hälfte Unschuldige in die Gefängnisse schickt, gibt es nur unter den Bedingungen des Staatsterrorismus.

Die Wiederaufnahme hat ihr Feld allein in dem minimalen Prozentbereich, in welchem Dummheit, Vorurteil und Hochmut sich schicksalsträchtig vermischen.“ Sollte der Fall Mollath in diesen „minimale Prozentbereich“ des Justizirrtums fallen?

Fest steht, dass das Landgericht Nürnberg-Fürth in seiner schriftlichen Urteilsbegründung vom August 2006 nicht ausschloss, dass es die von Mollath angeprangerten Schwarzgeldschiebereien gab. „Wahnhaft ist“, so heißt es im Urteil, „dass der Angeklagte weitere Personen, die sich mit ihm befassen, in dieses Wahnsystem einbezieht.“ In der Anstalt ist Mollath jedoch deshalb, weil die Richter davon überzeugt waren, dass er seine Frau schwer misshandelte und zig Autoreifen so perforierte, dass die Luft nur langsam entwich — während der Fahrt unter Umständen lebensgefährlich. Dies hat Mollath jedoch nie eingeräumt.

Derzeit prüft die Staatsanwaltschaft Regensburg, ob sie die Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem dortigen Landgericht beantragen wird. Zulässig wäre das Verfahren, wenn sich herausstellt, dass eine Urkunde, auf der die Verurteilung beruht, gefälscht war. Oder: Wenn ein Zeuge vorsätzlich falsch ausgesagt hat oder beim Urteil ein Richter mitwirkte, der seine Amtspflichten verletzte. Schließlich steht die Frage im Raum, ob neue Tatsachen oder Beweise aufgetaucht sind.

Verblasste Erinnerung

Im Fall Mollath könnte einer der damaligen Richter seine Amtspflicht verletzt haben, darauf wies Justizministerin Beate Merk (CSU) hin. Nach Recherchen unserer Zeitung wandte sich der Richter vor dem psychiatrischen Gutachten an die Finanzbehörden und sagte, man brauche die Schwarzgeld-Anzeigen von Mollath nicht ernstzunehmen.

Ein weiterer Grund wäre die Beibringung neuer Tatsachen — als solche könnte die Aussage eines Arztes, ein Bekannter der Mollaths, gelten. Er zitierte Frau Mollath so: „Wenn Gustl meine Bank und mich anzeigt, mache ich ihn fertig. Der ist doch irre, den lasse ich auf seinen Geisteszustand überprüfen, dann hänge ich ihm was an, ich weiß auch wie.“ Doch fest steht auch: Ein durchgeführtes Wiederaufnahmeverfahren bedeutet nicht zwangsläufig mehr Wahrheit. Die Erinnerung der Zeugen dürfte verblasst sein — und obendrein längst durchmischt von der öffentlichen Diskussion um den Fall.

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