Todesschüsse von Georgensgmünd

Nach Polizistenmord: "Reichsbürger"-Prozess beginnt

28.8.2017, 20:01 Uhr
Nach Polizistenmord:

© NEWS5 / Grundmann

Und wenn sich der 49-Jährige vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth für seine Taten verantworten muss, wird einmal mehr eine Bewegung in den Fokus rücken, die vor den tödlichen Schüssen auf einen Polizeibeamten kaum jemand auf dem Schirm hatte: die "Reichsbürger".

Bis zum vergangenen Oktober galten die Vertreter dieser kruden Ideologie vielen als eher harmlose Spinner. Doch die tragisch eskalierte Razzia im Haus von Wolfgang P. änderte dies schlagartig: Der schwer bewaffnete Mann soll damals elfmal auf Polizisten des Spezialeinsatzkommandos Nordbayern geschossen haben, die ihm seine Waffen abnehmen wollten. Ein 32 Jahre alter Polizist starb, zwei weitere wurden verletzt. Seither geht die Politik entschlossener gegen die "Reichsbürger"-Szene vor.

Wie in jedem Prozess in Deutschland werden sich heute auch vor dem Landgericht alle Anwesenden erheben müssen, sobald die Richter den Saal betreten. Die Frage in diesem Verfahren wird sein, ob P. das Prozedere mitmacht. Denn falls er auch nach zehn Monaten in Untersuchungshaft noch der Logik der Reichsbürger folgen sollte, ist das Gericht für ihn illegitim. Die Bewegung erkennt die Bundesrepublik nicht an und damit auch nicht staatliche Autoritäten wie Gerichte und Polizei. Ihre Anhänger gehen davon aus, dass das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 noch existiert. Auch P. lehnte den Staat ab, erklärte im vergangenen Jahr sein Grundstück zum eigenen Staat und zahlte keine Steuern mehr.

Der Angeklagte zählt zu den sogenannten "Selbstverwaltern", die nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes (BKA) besonders gefährlich sind. Während "Reichsbürger" ein autoritäres Staatsverständnis haben und die Behörden zumindest grundsätzlich als notwendig erachten, sehen "Selbstverwalter" jede staatliche Ordnung als Bevormundung an.

"Werden Zweifel an seinem Weltbild geäußert, wertet ein Selbstverwalter das oft als Angriff auf seine Person", erklärt Sönke Meußer vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz. Und teilweise seien diese Personen auch bereit, ihre Autonomie mit Waffengewalt zu verteidigen. Die Geschehnisse in Georgensgmünd bezeichnet Innenminister Joachim Herrmann (CSU) denn auch als „traurigen Höhepunkt einer Gewaltspirale“. Mittlerweile geht das BKA davon aus, dass von besonders radikalen Vertretern der "Reichsbürger"-Szene sogar terroristische Aktionen drohen.

Ob der Angeklagte sich im Verfahren äußern wird, ist noch unklar. Seine Verteidigerin wollte sich im Vorfeld nicht zur Prozessstrategie äußern. Sollte er umfassend aussagen, könnte es auch mehr Klarheit zu seinen Verbindungen zur Polizei geben.

Ursprünglich sollte zusammen mit P. ein mit ihm bekannter Polizist wegen möglicher Mitwisserschaft vor Gericht kommen. Doch eine von der Staatsanwaltschaft formulierte Anklage wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen lehnte das Gericht ab. Mit den tödlichen Schüssen von Georgensgmünd gerieten dennoch auch irritierende Verbindungen einzelner Polizisten zu Reichsbürgern in den Blickpunkt. In Bayern, aber auch in anderen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen, Hessen oder Sachsen gab es entsprechende Verdachtsfälle.