Nürnberger Tüftler schützen Indiens Küste

25.5.2013, 07:56 Uhr
Nürnberger Tüftler schützen Indiens Küste

© Fritsche

Der Unfall endet tragisch: Zwei Arbeiter in der Ostsee stürzen bei schwerer See und schlechter Sicht von einer Windpark-Plattform. Die Kollegen müssen hilflos mit ansehen, wie die Verunglückten davontreiben und schon nach kürzester Zeit nicht mehr zu sehen sind. Die traurige Bilanz: Ein Arbeiter wurde noch am gleichen Tag leblos geborgen, der zweite wurde erst Wochen später, ebenfalls tot, gefunden.

Für den Betreiber der Plattform - ein baden-württembergischer Stromkonzern -, war dieser tragische Vorfall das Signal, nach einer Technologie zu fahnden, mit der im Falle eines solchen Unfalls Verunglückte sofort geortet werden können, um so die schnelle Rettung zu ermöglichen. Fündig geworden ist der Konzern in Nürnberg in der Sigmundstraße, im ersten Stock eines, na sagen wir, eher unscheinbaren Gebäudes - direkt über einem Billig-Schuhmarkt.

Hauch von Bastlerstube

Hier residiert seit 2009 die kleine, anfangs im Erlanger Gründerzentrum IGZ angesiedelte Aktiengesellschaft „Weatherdock“. Nahezu jeder Raum sieht aus, wie die Bastelstube eines Elektronik-Freaks: Überall Leiterplatten, dünne Kabel, Lötkolben, Messgeräte - und Stapel von Kartons, in denen, wenn es gerade mal wieder hoch hergeht, die komplette Mannschaft vom Entwicklungsingenieur bis zum Marketingmanager fertige Geräte verpackt, damit die Ware rechtzeitig beim Kunden ankommt.

Die Ware - das ist Sicherheits- und Navigationselektronik auf UKW-Funkbasis (AIS), wie sie als Ortungssystem in der Schifffahrt eingesetzt wird. Das ist eine Art Radar, mit dem auf elektronischen Seekarten die Position von Schiffen erkennbar wird, die auf einer UKW-Frequenz entsprechende Signale aussenden. In der Regel sind das größere Berufsschiffe wie Frachter oder Fähren. Zusätzlich werden auch wichtige Daten übermittelt wie Abmessung, Beladung, Geschwindigkeit oder der Name des Kahns.

Das Problem: Das Ortungssystem kann natürlich nur Kollisionen vermeiden helfen, wenn möglichst alle Schiffe in einem bestimmten Seegebiet entsprechende Signale aussenden. Was bei den großen Pötten Pflicht wurde, war anfangs für Freizeitkapitäne auf Motor- oder Segelyachten kein Thema, sie blieben auf den elektronischen Karten unerkannt.

Doch das änderte sich vor sieben, acht Jahren, AIS war plötzlich auch bei privaten Sportschiffern angesagt. „Das war unsere Stunde. Wir entwickelten entsprechende abgespeckte Geräte - und die schlugen am Markt ein wie eine Bombe“, erinnert sich noch immer mit glänzenden Augen Jürgen Zimmermann, einer der drei Vorstände und Gründer der Weatherdock AG.

Und dabei wollten er und seine beiden Kollegen Alfred Kotouczek-Zeise und Wolfgang Werner eigentlich schon wieder aufgeben. Die drei haben vieles gemeinsam: Sie waren zusammen beim Diehl-Konzern in leitender Stellung und verspürten den innigen Wunsch, ihre Energie und Kreativität ungebremst von Konzernstrukturen zur vollen Entfaltung zu bringen. Sie haben alle drei ein Faible für Elektronik. Und sie waren irgendwann dem Wasser verfallen, sei es als Segler oder bei der Marine.

An einem lauen Sommertag entsprang dann in einem Biergarten die für Manager im Alter zwischen 41 und 47 Jahren nicht ganz alltägliche Idee, die Fesseln eines zwar sicheren, aber hemmenden Arbeitsplatzes bei Diehl abzustreifen. Nebenher entwickelten sie einen Wetterdatenempfänger auf Basis der klassischen Funkfrequenzen, der auf dem offenen Meer auch fernab von nur küstennah funktionierenden Handynetzen arbeiten sollte. „Wenn ich ehrlich bin, hatten wir uns mehr erhofft“, schildert Zimmermann den enttäuschenden Auftakt ihrer Unternehmertätigkeit: Gerade mal 100 Geräte konnten die drei absetzen - zu wenig, um auf Dauer davon leben zu können.

Heute in 30 Ländern vertreten

Doch dann kam ja der AIS-Boom. Ab da hat die Weatherdock-Story viel gemein, mit den Erfolgsgeschichten großer Unternehmen, die einst in Garagen oder Kellerwerkstätten begonnen haben, um dann irgendwann als Weltkonzerne ganze Branchen zu dominieren.

Gut, ganz so weit sind die Nürnberger noch nicht. Aber schon bis jetzt sind die Fakten vielversprechend. 2008 erhielten sie den IHK-Gründerpreis, weitere Auszeichnungen folgten. Der Umsatz sprang von 700.000 € im Jahr 2009 auf inzwischen 1,95 Mio. €, im laufenden Jahr sind 3,6 Mio. € angepeilt. Längst ist Weatherdock bei einzelnen Produkten Marktführer. Über 50 Händler in über 30 Ländern vertreiben die Geräte, die in Nürnberg entwickelt und geprüft, von Partnerunternehmen in Wassertrüdingen und Forchheim, also in der Region, gebaut werden.

Und das Kuriose: Obwohl Weatherdock einst in der Nische der privaten Sportschiffer begonnen hat, weil der Markt der Großgeräte für die Profis schon besetzt war, überwiegt bei den Abnehmern inzwischen die kommerzielle Schifffahrt. Ein Grund: Die kleine Nürnberger Firma kann mit ihren gerade mal 15 Mitarbeitern blitzschnell auf spezielle Kundenanforderungen reagieren. Und die Weatherdock-Ingenieure haben das Ausgangsprodukt weiterentwickelt, und so völlig neue Kundenkreise erschlossen.

Hilfe für Norwegens Fischer

Dazu gehört jetzt eben auch der Stromkonzern, der die Schwimmwesten seiner Windpark-Arbeiter mit Ortungssender aus Nürnberg ausstattet. Dazu gehören die deutsche Marine, die Wasserschutzpolizei oder die niederländische Seenotrettungsgesellschaft KNRM. Norwegische Fischer etwa nutzen die Nürnberger Technologie zum Auffinden ihrer Treibnetze.

Und auch BMW steht auf der Referenzliste. Der Autohersteller hat für die weltgrößte Rennserie für Amateursegler - den internationalen BMW Sailing Cup - ein permanentes Ortungssystem erhalten, mit dessen Hilfe die Zuschauer an Land in Echtzeit auf großen Leinwänden die Position der Segelschiffe verfolgen können.

Bei so viel Affinität zu Wasser und Meer: Was hält die Weatherdock-Gründer eigentlich noch im eher trockenen Franken? So global inzwischen die Manager denken, so heimatverbunden sind sie auf der anderen Seite. „Wir sind hier verwurzelt. Hier haben wir unsere Familien, hier sind die Produktionsfirmen, mit denen wir zusammenarbeiten. Hier sitzt das Frauenhofer-Institut, das uns technologisch weiterbringt. Warum sollten wir nach Hamburg, wo wir alle Netzwerke neu aufbauen müssten“, fragt Zimmermann - und es ist eine rein rhetorische Frage.

Gigantischer Auftrag lockt

Die Weatherdock-Leute tummeln sich stattdessen lieber auf den wichtigsten internationalen Boots- und Schifffahrtsmessen, um dort ihre Kunden zu überzeugen. Wie etwa den indischen Geschäftsmann, der in Hamburg über den Messestand der Nürnberger stolperte und der für das Unternehmen möglicherweise den Sprung in eine ganz neue Liga bedeuten kann.

Traumatisiert von dem Terroranschlägen in Mumbai 2008, will die indische Regierung den Küstenschutz radikal verbessern. Dazu sollen alle Fischerboot - mit einem solchen Boot sollen die Attentäter ins Land gekommen sein - mit Ortungssystemen und eigener Kennung ausgestattet werden. Das bedeutet eine Viertelmillion Geräte - ein gigantischer Auftrag, um den sich weltweit die größten Konzerne beworben haben. Den Auftrag für ein erstes Pilotprojekt mit jeweils 500 Sendern erhielt neben einem britischen Anbieter - der Branchenwinzling aus Nürnberg. „Weil unsere Technologie überzeugt hat. Und weil wir bereit waren, auf die indischen Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen“, berichtet Zimmermann nicht ohne Stolz, wie die Franken die Weltkonkurrenz ausgestochen haben.

Jetzt beginnt die Auslieferung der ersten Geräte - und wieder packt die ganze Mannschaft mit an, damit die Lieferfristen eingehalten werden.

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