Ohne Handy kommt die Panik

17.12.2012, 00:00 Uhr
Ohne Handy kommt die Panik

© Stefan Hippel


Manchem treten schon die Schweißperlen auf die Stirn, wenn das gute Stück verlegt, der Akku leer oder der Handyempfang schwach ist. Psychologen haben diesem neuen Lifestyle-Phänomen jetzt einen Namen gegeben: Nomophobie. Der Begriff leitet sich von „No Mobile Phone Phobia“ ab und beschreibt die Angst, ohne Internet dazustehen, privat oder beruflich nicht erreichbar zu sein.

„Neulich habe ich mein Mobiltelefon nicht gefunden. Da bin ich richtig nervös geworden. Ich trage ja mit dem Handy mein halbes Leben mit mir herum“, erzählt die 15-jährige Lisa. Die junge Nürnbergerin chattet über das Gerät vor allem mit ihren Freunden. Neben neuen Songs aus den Charts hütet sie darauf eine riesige Fotogalerie, in der lustige oder skurrile Schnappschüsse, Erinnerungen an Schule, Treffen mit Gleichaltrigen und die erste Liebe gespeichert sind.

Für Rolf Auer, Geschäftsführer eines Nürnberger Mittelstandsunternehmens, ist sein Smartphone viel mehr als eine Nabelschnur zum Freundeskreis oder ein Mittel zur Unterhaltung. Es ist vor allem die ständige Verbindung in die Firma – gerade auch am Wochenende oder im Urlaub. Selbst in den Ferien am Strand vergeht kein Tag, an dem er nicht dienstliche Mails checkt und wichtige Gespräche mit Kunden oder Mitarbeitern führt. Für den Notfall hat er immer ein Ersatzgerät dabei. Einfach abzuschalten und nur Sonne und Meer zu genießen – das hält er für nicht praktikabel. „Da wäre ich total unter Strom und hätte das Gefühl, etwas Wichtiges zu verpassen.“

Eine neue Studie aus England sieht in der Abhängigkeit vom Smartphone sogar eine neue Volkskrankheit über die moderne Menschheit hereinbrechen. Danach sollen über 60 Prozent der Nutzer regelrecht Angstzustände mit Herzrasen bekommen, wenn ihnen ihr technischer Begleiter abhanden kommt. Auch eine Studie des Anbieters O2 scheint eine Zunahme von „Handy-Junkies“ zu belegen. Bei einer Erhebung unter 2000 Personen hat man ermittelt, dass sich die Befragten täglich rund zwei Stunden mit ihren Smartphones beschäftigen. Der größte Teil der Zeit, durchschnittlich 25 Minuten, entfällt auf das Surfen im Internet. Es folgen die sozialen Netzwerke, Musik und Spiele. Erst an fünfter Stelle kommt mit 12 Minuten das Telefonieren.

Der „Handy-Doktor“ Tzouneit Emin, der in Gostenhof einen gleichnamigen Reparaturladen betreibt, hat täglich mit Kunden zu tun, die völlig aufgelöst sind, weil ihr scheinbar unverzichtbares Smartphone seinen Geist aufgegeben hat. Die meisten Handyfirmen haben keinen Service vor Ort. Kaputte Geräte müssen umständlich eingeschickt werden. Da sind Emin und seine Kollegen oft die letzte Rettung. Die erste Frage, noch vor dem Preis: Wie schnell können Sie das machen? „Die Leute fühlen sich ohne ihr Handy und Zugang zu Facebook und Co. abgeschnitten von der Welt“, erzählt der Techniker. Erst letzte Woche war eine junge Kundin da, die meinte „Wenn ich mein Handy nicht bald wieder habe, sterbe ich“, erzählt Enim. So schlimm kam es zum Glück nicht. Das Handy konnte repariert werden...

Bei einer Online-Umfrage von Lookout, einem Anbieter von Sicherheits-Apps, gaben 58 Prozent der Teilnehmer an, mindestens einmal pro Stunde ihr Mobiltelefon aus der Tasche zu ziehen. Über die Hälfte beschäftigt sich noch im Bett damit. Manche checken auch im Gottesdienst, auf der Toilette oder im Restaurant ihre Nachrichten.

Internet auf Schritt und Tritt

„Ich fände es bedenklich, wenn meine Frau bei einem schönen Essen ständig auf ein Smartphone schauen würde“, meint Günter Niklewski, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Nürnberg. Seiner Erfahrung nach hat der Drang, per Handy immer auf Sendung zu sein, eine ähnliche Dimension wie Internetsucht. Der Zugang zum Web sei nicht mehr ortsgebunden, sondern auf das Mobiltelefon verlagert.

Der Arzt sieht durch die Möglichkeit, mit dem elektronischen Spielzeug überall Zerstreuung zu finden, auch die Gefahr, dass wir die Fähigkeit verlieren, uns anderweitig die Zeit zu vertreiben. Vor allem ängstliche Naturen hätten das Gefühl, sie müssten permanent Kontakte pflegen. Niklewski: „Sie können nicht mehr mit sich allein sein. Sie betäuben auf diese Weise eine gewisse Leere oder Angst vor der Einsamkeit.“

Kritisch wird es seiner Meinung nach, wenn das Handy der Erholung und Freizeitgestaltung im Weg steht. „In vielen Betrieben ist es üblich, dass Mitarbeiter immer erreichbar sind. Die Arbeitsbelastung wird in die Freizeit verlagert.“ Segensreich findet er daher den Vorstoß von Betriebsräten und Gewerkschaften, die dienstliche Mailflut nach Feierabend zu begrenzen. Er rät allen Handy-Junkies, im doppelten Sinne öfters bewusst abzuschalten, „damit das kleine Ding nicht ganz die Macht über uns gewinnt.“
 

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