Pilot als Risiko?

21.4.2011, 00:00 Uhr
Pilot als Risiko?

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Die beiden freundlichen Herren H. und R. stellten sich als Familienhelfer vom Münchner Sozialamt vor. Sie boten persönliche Betreuung an. Nejimaldin Shabib Hama Muradi nahm die Hilfe für seine Familie freudig an.

Damals, Ende 1997, war er gerade als Gegner des Regimes von Saddam Hussein mit seinen vier Kindern aus dem Irak über die Türkei und Polen nach Deutschland geflohen und hatte einen Asylantrag gestellt, der noch im Dezember anerkannt wurde. Der Bundesnachrichtendienst (BND) habe prompt Kontakt aufgenommen, berichtet Muradi unserer Zeitung, für eine Zusammenarbeit mit der irakischen Opposition geworben und einflussreiche Posten angeboten, doch der Pilot lehnte nach seinen Angaben ab — mit Geheimdiensten jedweder Art wollte er nichts zu tun haben.

Aus gutem Grund, wie sein Nürnberger Anwalt Dieter Nestel erzählt. Muradi war von 1984 bis Juni 1997 Pilot in der irakischen Luftwaffe gewesen, bildete Studenten aus und bekam als Brigadegeneral beste Referenzen. Allerdings genoss er als Angehöriger der türkisch-kurdischen Minderheit in der Diktatur keine Vorzugsbehandlung, im Gegenteil — die herrschende Baath-Partei der arabischen Mehrheit schloss ihn von sicherheitsrelevanten Bereichen aus: „Als Turkmene wurde ich wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt.“

Nachdem schließlich sein Hab und Gut zwangsversteigert, er per Haftbefehl gesucht und sein Bruder inhaftiert wurde, floh Muradi auf die kurdische Seite und in die Bundesrepublik.

Er sei dankbar gewesen, dass die Herren H. und R. „vom Münchner Sozialamt“ ihm halfen — bei der Einbürgerung als Deutscher im Jahr 2000, beim Beschaffen einer Fluglizenz in England, bei der Anstellung beim Nürnberger Aero-Dienst, der Krankenflüge durchführt. Zwar legten ihm auch H. und R. immer wieder nahe, mit dem BND zusammenzuarbeiten, für ihn zu fliegen — etwa nach dem Attentat vom 11.September. Muradi habe stets abgewinkt: Er wolle sich nicht zum Werkzeug irgendeines Geheimdienstes machen — mit dem Risiko, „irgendwann an einem Baum gehenkt zu werden“, wie Anwalt Nestel es formuliert.

Im Februar 2009, so Muradi, wurden H. und R. massiver. Sie forderten seine Unterschrift unter ein Dokument, das er nicht verstand. Andernfalls werde dafür gesorgt, dass er seinen Arbeitsplatz verliere. Er habe jeden weiteren Kontakt verweigert, sagt Muradi.

Streng vertraulich

Nachdem der Kurde noch im April 2010 wegen seiner Leistungen zum Flottenchef befördert worden war, habe ihm einer der beiden Aero-Dienst-Geschäftsführer im Mai eröffnet, er sei zum Sicherheitsrisiko geworden, weil er sich — trotz seiner Vergangenheit — weigere, ein- bis zweimal im Jahr streng vertrauliche Gespräche mit dem BND zu führen, schildert Muradi. Der Pilot verwahrte sich dagegen, sagt er — schließlich werde auch von keinem anderen Derartiges verlangt.

Der Aero-Dienst gehörte früher zum Diehl-Imperium, ist seit 1998 eine Tochtergesellschaft des ADAC und fliegt neben Kranken- und Verletztentransporten auch leitende Angestellte verschiedener Unternehmen. Die neuen Gesellschafter hätten darauf beharrt, dass eine Voraussetzung für die Einstellung die Kontakte zum BND gewesen seien, schildert Muradi. Allerdings ist das im Arbeitsvertrag nicht dokumentiert. Man habe mit Kündigung gedroht und ihn gewarnt, er solle doch an seine Zukunft und die seiner Kinder denken.

Zum 30. September 2010 kündigte der Aero-Dienst dem Flottenchef. Bei einem letzten Gespräch als Versuch einer Einigung mit Rechtsanwälten hätten Vertreter des BND geäußert, sie hielten Muradi nicht für ein Sicherheitsrisiko, wollten ihm auf seinem weiteren Lebensweg behilflich sein, ihm dies aber nicht aufzwingen. Die Anwältin der Flugambulanz habe jedoch darauf bestanden, er stelle ein nicht hinnehmbares Sicherheitsrisiko dar.

Muradi reichte Kündigungsschutzklage ein. Der Aero-Dienst argumentierte nach Informationen unserer Zeitung, Muradi habe von Anfang an mit dem BND intensiv kooperiert und daher Unterstützung genossen. Was Anwalt Nestel überhaupt nicht nachvollziehen kann: „Der Aero-Dienst beruft sich darauf, mein Mandant sei im entscheidenden Gespräch mit rotem Gesicht, starrem Blick und zitternden Händen dagesessen. Daraus folgert die Firma, er werde von irgendwem unter Druck gesetzt, sich dem BND zu verweigern.“ Dass das Arbeitsgericht diesem Szenario folge, sei unter rechtsstaatlichen Grundsätzen „sehr bedenklich“, so Nestel, „wenn sich das richterliche Gewissen von tatsächlichen oder vermeintlichen Interessen eines Geheimdienstes leiten lässt“.

In der Tat hat das Arbeitsgericht unter Vorsitz Wolfgang Bärs die Klage Muradis abgewiesen. Mehr noch: Es schloss auf Antrag des Aero-Dienstes bei der Verhandlung die Öffentlichkeit aus, weil die Staatssicherheit gefährdet sein könne. (Siehe Bericht unten)

Das Arbeitsgericht gibt auf Anfrage unserer Zeitung keine weiteren Auskünfte. Der BND antwortet per Mail, „da es sich um den Gegenstand einer arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung handelt, können wir dazu leider keine Stellung nehmen“. Der Aero-Dienst spricht von einem „delikaten Verfahren“ und behauptet, darüber dürfe nicht berichtet werden.

Anwalt Nestel folgt nun nach seinen Angaben einer Empfehlung des Arbeitsgerichts, das eigene Urteil besser überprüfen zu lassen, und legt Berufung ein. Und Nejimaldin Muradi hat nach über 40 Bewerbungen wieder einen Job gefunden — er fliegt prominente Firmenchefs in der Privatmaschine.