Verhältnis zwischen Franzosen und Deutschen beleuchtet

24.1.2013, 06:25 Uhr
Deutsch-französisches Treffen im Rathaus: Klemens Gsell, Helene Miard-Delacoix, Günter Gloser und Benoit Kandel. (v.l)

© Roland Fengler Deutsch-französisches Treffen im Rathaus: Klemens Gsell, Helene Miard-Delacoix, Günter Gloser und Benoit Kandel. (v.l)

Frau Miard-Delacroix, auf der politischen Bühne wird gerne Einigkeit demonstriert. Dabei wissen alle, dass es immer wieder hakt zwischen Berlin und Paris. Wo tun sich Deutsche und Franzosen schwer miteinander und warum?

Hélène Miard-Delacroix: Jeder weiß, dass die derzeitigen Regierungen unterschiedliche Auffassungen etwa zum Euro und zur Schuldenfrage haben. Aus meiner Sicht ist das auch etwas ganz Normales. Aber nicht selten hat das historische Wurzeln.

In Frankreich spielt bekanntlich zum Beispiel der Staat seit Jahrhunderten eine starke und aktive Rolle für die und in der Wirtschaft. Auch das Ausbildungs- und Hochschulsystem, das die meisten Politiker und Wirtschaftsbosse durchlaufen. In Deutschland gibt es dagegen keine Industriepolitik im französischen Sinn, der Staat setzt hier mehr Rahmenbedingungen. Es ist schwer, solche Muster und Prägungen zu ändern oder zu verlassen — wenn man das überhaupt will.

Wirkt das in Frankreich traditionell starke, in Deutschland zum Teil neu erwachte Nationalbewusstsein als Bremse und Hindernis?

Miard-Delacroix: Nein, jedenfalls nicht so wie bei den früheren Generationen. In unserer Welt ist eine enge Kooperation längst unausweichlich und wird auch praktiziert. Aber natürlich gibt es, links wie rechts des Rheins, ein Ringen darum, ob und wie viel Souveränität auf eine gemeinsame Ebene übertragen wird. Dazu gibt es, zumindest in Frankreich, sogar innerhalb der einzelnen Parteien unterschiedliche Auffassungen. Und jeder Einzelne muss das dann wieder den eigenen Wählern vermitteln...

Wie gut verstehen sich Franzosen und Deutsche, 50 Jahre nach de Gaulle und Adenauer und unabhängig vom politischen Tagesgeschäft, eigentlich tatsächlich?

Miard-Delacroix: Das hängt natürlich auch davon ab, was „verstehen“ heißt. Es gibt natürlich handfeste, vor allem kulturelle Unterschiede, eine Vereinheitlichung wäre schlimm. Klar ist auch, dass viele klassische Stereotype noch sehr lebendig sind. Den meisten Deutschen fallen zum Nachbarland spontan Stichworte wie „Tour Eiffel“, „Mode“, Liebe“ oder „Croissant“ ein, umgekehrt assoziieren die Franzosen mit Deutschland vor allem Eigenschaften wie „Gründlichkeit“ und so weiter. Aber zum einen steckt in diesen Klischees durchaus ein wahrer Kern — und sie müssen nicht den Blick verstellen. Die Menschen in beiden Ländern wissen voneinander objektiv mehr als früher und das Interesse füreinander ist ebenfalls größer, selbst wenn es manchmal diffus erscheint.

Manchmal wirkt es so, als seien zwar die alten Ressentiments überwunden, aber geblieben ist eine Art Gleichgültigkeit.

Miard-Delacroix: Das halte ich für eine optische Täuschung. Für die jungen Leute — und längst auch für die Älteren — ist es das Selbstverständlichste der Welt geworden, das Nachbarland zu besuchen oder dort zu arbeiten, das Pathos von früher ist gar nicht nötig. Untersuchungen haben auch ergeben, dass die Franzosen jeweils zuerst nach Deutschland blicken, den Vergleich suchen und das Nachbarland sozusagen als Klassenprimus bewundern — mit England beschäftigen sie sich viel weniger.

Sind die beiden Länder wirklich dicke Freunde, wenn Deutschland gerade mal zwei Flugzeuge zur Unterstützung der französischen Truppen nach Mali schickt? Droht hier eine neue Hypothek für die Beziehungen?

Miard-Delacroix: Das glaube ich nicht, auch wenn der deutsche Beitrag in den französischen Medien mit einem Grinsen kommentiert wurde. Dominant ist eher das Gefühl, dass Frankreichs außenpolitisches Gewicht steigt — für das Land ist das nach den tiefen Verunsicherungen und den wirtschaftlichen Verwerfungen psychologisch ganz wichtig.
 

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