"Wir haben bei Ihnen viel Licht gesehen"

15.5.2016, 20:27 Uhr

© Foto: Roland Fengler

Es ist eine Geste und vielleicht auch kein schlechtes Mittel gegen die Bitterkeit, die die meisten Hinterbliebenen der NSU-Mordopfer noch plagt. Semiya Şimşek öffnet an der Stelle, an der ihr Vater am 9. September 2000 von den NSU-Terroristen Mundlos und Böhnhardt ermordet wurde, eine bunte Pappschachtel und verteilt pinkfarbene, türkische Süßigkeiten.

Die etwa 20 Personen umfassende Reisegesellschaft greift zu. Es ist eine willkommene Gelegenheit, noch etwas enger zusammenzurücken. Längst versteht man sich als Schicksalsgemeinschaft. Nürnberg, der Ort an dem die Nazibande gleich dreimal mordete, ist bereits die fünfte Stadt, in der die Hinterbliebenen Tatorte und Gedenkstätten aufsuchen.

Semiya Şimşek ist mit ihrer Mutter, ihrem Ehemann, dem kleinen Sohn und mit ihrem Bruder Abdulkerim gekommen. Die 29-Jährige ist seit ihrer emotionalen Rede bei der Berliner Gedenkfeier für die NSU-Opfer im Februar 2012 so etwas wie das Gesicht und die Stimme der überwiegend türkischen NSU-Opferangehörigen. 14 Jahre war sie alt, als ihr Vater am Blumenstand in der Liegnitzer Straße, wo er aus purer Freundlichkeit den in Urlaub gefahrenen Händler Ali Toy vertrat, kaltblütig hingerichtet wurde.

Herr Toy verkauft in der Parkbucht am Rande der Stadt noch immer jeden Samstag und Sonntag Blumen. Auch er ist heute gekommen. Mit zitternden Händen wühlt er in einem Stapel mitgebrachter Zeitungsartikel, hält eine Titelseite in die Höhe, auf der Mundlos, Böhnhardt und Beate Zschäpe zu sehen sind und fragt anklagend: „Warum kann diese Frau wie eine Schauspielerin zum Gericht kommen und dabei lachen?“

Wenig Hoffnung

Mit wem man auch spricht, die Opfer-Angehörigen sind nicht sehr hoffnungsvoll, dass beim seit drei Jahre laufenden NSU-Prozess in München die Wahrheit ans Licht kommt. „Dabei wäre es so wichtig, dass es endlich hundertprozentige Aufklärung gibt“, sagt Abdulkerim Şimşek.

Überhaupt geht bei den Hinterbliebenen die Sorge um, dass die deutsche Öffentlichkeit allmählich kein Interesse mehr an der rassistisch motivierten Mordserie verspürt. Osman Taşköprü aus Hamburg hat am 27. Juni 2001 in Hamburg seinen Bruder verloren. Der Obst- und Gemüsehändler von Mundlos und Böhnhardt mit drei Schüssen ermordet. Der Vater fand den Sohn tot in einer Blutlache.

Lange hatte die Familie keine Erklärung für die Tat. An die Vermutung der Polizei, der Gemüsehändler sei in Organisierte Kriminalität verwickelt, wollten Eltern und Bruder nicht glauben. Fast alle Opfer-Angehörigen mussten mit solchen Unterstellungen zurechtkommen. Die Aufklärung des rechtsextremistischen Hintergrunds der Taten 2011 erlebten sie wie eine Befreiung und Rehabilitierung. „Wenn jetzt die Öffentlichkeit wieder so passiv mit der Geschichte umgeht, verpuffen die Lehren, die aus ihr gezogen werden müssten“, fürchtet Osman Taşköprü.

Umso mehr rührt die immer noch um ihre Ehemänner, Väter und Brüder trauernden Angehörigen das Engagement der Nürnberger jener Bürger an, die an den Orten der Morde dafür sorgen, dass das Geschehen nicht vergessen wird. Der 81-jährige Fritz Weißpfenning, der mit seiner Ehefrau Elfriede in die Liegnitzer Straße gekommen ist, begrüßt die Reisegesellschaft auf Türkisch. „Um Gastfreundschaft zu zeigen“, lernt er gerade die fremde Sprache. Mit anderen Mitgliedern der evangelischen Kirchengemeinde Altdorf hat er am Tatort eine Gedenktafel errichten lassen.

Beliebter Döner-Verkäufer

Ähnliche Motive haben die Religionspädagogin Theresia Aschemann, den Sozialpädagogen Arno Lang und Isolde Ebert vom Kulturladen Zeltnerschloss angetrieben. Die drei kannten den freundlichen Dönerbuden-Betreiber Ismail Yaşar, der am 9. Juni 2005 in seinem Verkaufsstand schräg gegenüber der Scharrerschule erschossen wurde. „Alle haben ihn gemocht“, sagt Aschemann. „Er war so freundlich.“ Sechs von Jugendlichen gestaltete Gedenktafeln erinnern an Yaşar. Und Aschemann, Lang und Ebert organisieren immer wieder Veranstaltungen im Stadtteil. „Erstmals kommen dazu auch türkische Bewohner.“

An der Ecke Siemensstraße/Gyulaer Straße in der Südstadt ermordeten Mundlos und Böhnhardt am 13. Juni in einer kleinen Änderungsschneiderei Abdurrahim Özüdoğru. Auch der damals 49-jährige Türke ist in seinem Stadtteil nicht vergessen. Die Initiative „Hummelstein hält zusammen“ hat eine provisorische Gedenktafel am Haus angebracht. Sprecherin Barbara erzählt den Gästen, dass noch nach einer dauerhaften Lösung gesucht wird und die Initiative langfristig „für ein tolerantes Miteinander“ im Viertel sorgen möchte.

Treffen mit OB

Nicht nur die Ombudsfrau der Bundesregierung für die NSU-Opfer, Prof. Barbara John, die die Gedenktouren organisiert, ist am Ende von dem Umgang Nürnbergs mit den grausamen Taten beeindruckt. „Wir haben bei Ihnen viel Licht gesehen.“

Auch von den Teilnehmern kommt viel Lob, als die Gruppe mit der Leiterin des Menschenrechtsbüros, Martina Mittenhuber, zum Schlussgespräch bei OB Ulrich Maly vorbeischaut. Abdullah Özkan, der NSU-Nagelbomben-Anschlag in der Kölner im Juni 2004 schwer verletzt wurde und in seiner Heimatstadt noch immer auf eine Gedenkstätte wartet, bittet Maly: „Zeigen Sie meiner Stadt, wie man so etwas macht.“

Keine Kommentare