Wohnprojekte in Goho: Mut zum Risiko wurde belohnt

11.11.2018, 20:52 Uhr
Wohnprojekte in Goho: Mut zum Risiko wurde belohnt

© Foto: Jo Seuß

Wohnungsnot spürte man in Gostenhof auch Anfang der 90er Jahre. Mehrere Akteure des Kinder- und Jugendtheaters Mummpitz waren damals betroffen. Petra Auerochs und Sigi Wekerle hatten die Kündigung schon in der Tasche; Andrea Erl und Michael Blumenthal befürchteten, dass ein Spekulant ihr Mietshaus in der Glockendonstraße 12 luxussaniert. So wurde 1992 ein Gemeinschaftsprojekt geboren, das mit der ökologischen Stadtteilerneuerung der frühen 80er korrespondierte, zugleich aber ein ganz eigenes Ding war.

Neun Leute wollten die BGB-Gesellschaft Glockendonstraße 12 gründen, um das 1900 errichtete Backsteinensemble mit Vorder- und Hinterhaus zu kaufen. Da sie Freiberufler oder Studenten waren und nur einer etwas mehr Geld gespart hatte, mussten sie Eigentümer und Banker davon überzeugen, dass sie den Eine-Million-Mark-Kraftakt stemmen können. Im Januar 1993 war es so weit: Der Notar sei erstaunt gewesen, weil er "so etwas noch nie gesehen hat", wie Petra Auerochs (57) sagt. Gemeint ist das Vertragskonstrukt, das Spekulantentum gezielt verhindern sollte.


Projekt #MeinGoho: "Gostenhof ist Inspiration pur"


Da am Ende die fast 1000 Quadratmeter Wohnfläche der 13 Einheiten rechnerisch leicht teilbar waren, lief alles glatt. 1995 war Einzug — und bis heute hat sich das "Glodo 12"-Team trotz zweier Wechsel nicht zerstritten. Zentralheizung und Dach mussten mittlerweile erneuert werden, nächstes Frühjahr ist die Hofeinfahrt dran, wofür im Gegensatz zu früher Rücklagen gebildet werden. Heute sind alle froh, auf Risiko gesetzt zu haben. Der Mut wurde belohnt: Die Kreditraten sind viel günstiger als die Miete geworden. Es sei zwar "nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen gewesen", räumt Sigi Wekerle (58) ein. Doch das "Verantwortungsgefühl füreinander" habe gestimmt. Ihr Ansatz findet jedenfalls wieder junge Nachahmer in Gostenhof — etwa in der Volprechtstraße.

Sechs Hausversammlungen gibt es bei "Glodo 12" im Jahr. Mit Luzie und Lea Schultz-Pernice sitzt längst die Kindergeneration mit am Tisch. Lehramtsstudentin Luzie kümmert sich mit Freund Felix auch um die Nebenkostenabrechung. Ein Teil der Wohnungen ist vermietet. Eine 18-jährige Flüchtlingsfrau aus Afrika war der letzte Neuzugang, deren neun Monate altes Baby aktuell die Jüngste im Haus ist. Früher habe es mehr Hoffeste gegeben, sagt Sozialpädagogin Petra Auerochs, die nur noch selten Theater spielt. Architektin Michaela Stürmer, die vor vier Jahren einzog, fühlte sich als "reingeschneite Mieterin" zuerst eher "als Störfaktor". Doch das habe sich geändert, ebenso wie die Themen, die langsam anstehen: Außenaufzug, Rampe, Hauspflegekraft — mit Blick auf das Alter.

Gostenhof lieben sie alle. "Ich habe hier alles, was ich brauche — Theater, Kneipen, Läden, Kiosk", schwärmt Petra. "Ich treffe immer jemanden, den ich kenne", sagt Luzie. Das Dörfliche mit der alle Viertelstunde schlagenden Turmuhr und viele Leute, mit denen sie etwas zu tun haben will, mag Micha. Die Aussicht auf Anonymität schätzt sie ebenso.

"Dass hier jeder irgendwie in seiner eigenen Blase lebt", wie Petra Auerochs sagt, ist auch anderswo in Gostenhof spürbar: Am Jamnitzerpark stehen gut sechs Jahre alte Reihenhäuser, die anfangs mit Farbbeuteln attackiert wurden. Die Autonomen, die ringsum wohnen, bekämpften den Zuzug von Betuchten. Mit Flugblättern, Transparenten und Wortgefechten geschieht das bis heute.

Doch Slogans wie "Mieten runter" und "Stoppt Gentrifizierung" sieht man derzeit deutlich seltener an Fassaden. Das passt zu Studien der Stadt, die keine Belege für eine Verdrängung ärmerer Schichten in GoHo fanden. Zwar kommt teurer neuer und aufwendig sanierter Wohnraum hinzu (wie am Petra-Kelly-Platz oder beim Ex-
Ardie-Aeal). Und vom heftigen Preispoker um Immobilien kann Bürgervereinschef Heinz-Claude Aemmer ein Lied singen. Dennoch findet man weiter auch günstige Wohnungen.

Im wbg-Viertel in der Denisstraße wohnen der Künstler Ekkehard Bolkart und die Erzieherin Astrid Miederer.

Im wbg-Viertel in der Denisstraße wohnen der Künstler Ekkehard Bolkart und die Erzieherin Astrid Miederer.

Zum Beispiel in der Denisstraße in der wbg-Anlage mit 50 Wohneinheiten aus den 20er Jahren. In Hausnummer 30 lebt Restaurator Ekkehard Bolkart (60) seit 1997 oben in der Atelierwohnung. Ein Stockwerk drunter hat Erzieherin Astrid Miederer (58) vor fünf Jahren die Wohnung ihrer Mutter übernommen, wo sie ihre Kindheit verbrachte. 408 Euro warm zahlt sie monatlich für fast 60 Quadratmeter, bei ihm sind es rund 50 Euro weniger, weil bisher weniger renoviert wurde.

Neubauten als Fremdkörper

Beide spüren, dass es "knirscht" in Gostenhof, weil Neubauten wie der Datev-IT-Komplex "ein Fremdkörper" seien. Im Viertel ist die zweifache Mutter, die früher mit einem Algerier liiert war, aber gut vernetzt. Mit dem Griechen Kosta, der lange die "Planungskneipe" führte, ist sie befreundet, beim Spanier, Türken und Albaner kauft sie gern ein. Und ihr Sohn, der in Essen lebt, sagt über den Stadtteil: "Ich brauche keinen Psychiater, ich mach Urlaub in Gostenhof!"

Stephan „Stuff“ Klier hat sich in Gostenhof eine 13 Quadratmeter große „Eine Welt Villa“ eingerichtet

Stephan „Stuff“ Klier hat sich in Gostenhof eine 13 Quadratmeter große „Eine Welt Villa“ eingerichtet

Etwas anders würde das Stephan "Stuff" Klier (55) formulieren, der vor 27 Jahren in die Reitackerstraße gezogen ist. Als die Kinder der Patchworkfamilie flügge wurden und er 2013 als Einziger übrig blieb, kam die Holzhütte mit Garten am Ende der Sackgasse genau richtig. Der Wechsel von 120 auf 13 Quadratmeter brachte für den vielseitigen Kunstschmied eine Reduktion auf das Wesentliche mit sich.

"Eine Welt Villa" heißt sein politisch ambitioniertes Wohnmodell, das als "soziale Plastik" dient. Wer will, kann mit ihm eine Woche die Wohnung tauschen und am Bahndamm von Gostenhof neue Erfahrungen sammeln. Ein wegweisendes Projekt, das in die bunte GoHo-Welt passt.

Gostenhof hat laut Statistik 9544 Einwohner, Tendenz: steigend. 55,5 Prozent sind Männer, 47,1 Prozent haben keinen deutschen Pass, wobei Griechen, Türken, Rumänen, Bulgaren und Iraker die Top 5 bei der ausländischen Bevölkerung bilden. Der Stadtteil hat vergleichsweise viele Singles, mehr junge Leute und mehr alte Bausubstanz. Das sorgt bis heute für günstigen Wohnraum. Weil GoHo aber so beliebt ist, gibt es Veränderungen und Angst vor Gentrifizierung. Aber auch wegweisende Projekte.

Auf der Webseite www.nordbayern.de/meingoho wartet noch mehr Material zu Nürnbergs bekanntestem Stadtteil. Hier können Sie Gostenhof interaktiv erleben in Videos, Bildergalerien, einer historischen Zeittafel oder mit einem Quiz.

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