Einige Regeln sind übertrieben und auch nicht logisch
24.08.2007, 00:00 Uhr
Wie gingen die Lehrkräfte des Faches Deutsch bis dato bei Diktaten vor?
Gabriele Appl: Alle Klassenleiter erteilen an unserer Grundschule das Fach Deutsch in ihrer jeweiligen Klasse. Ein Teilbereich davon ist das Rechtschreiben. Dabei gingen alle Lehrkräfte bereits nach den neuen Regeln vor. Beim Auswendigschreiben geübter Wörter und Texte beachteten die Kinder auch in der Übergangszeit der Rechtschreibreform bereits diese neuen Regeln. Die Diktate wurden auch danach beurteilt. Überholte Schreibweisen wurden in den vergangenen Jahren dieser Übergangszeit nicht als Fehler angerechnet.
Liegt den Lehrern eigentlich eine Vorlage mit Texten für Diktate nach der neuesten Rechtschreibung vor?
Appl: Die Diktate für unsere jeweiligen Klassen erstellen wir Lehrkräfte selbstständig nach den im Unterricht erarbeiteten Wörtern und Rechtschreibregeln, deshalb müssen wir nicht auf vorgefertigte Diktate zurückgreifen.
Empfinden Sie diese Reform als nützlich und sinnvoll?
Appl: Einige Aspekte dieser Reform waren und sind sicher sinnvoll. Einiges jedoch ist meiner Meinung nach völlig übertrieben und an sich nicht logisch. Dabei denke ich zum Beispiel an ,Rad fahren‘ und ,eislaufen‘. Unsere Schülerinnen und Schüler leiten die Schreibung dieser Wörter folgendermaßen ab: ,Rad‘ und ,Eis‘ sind Namenwörter, also schreibe ich sie groß. Nun kommt aber für das Kind die nicht einsehbare Regel ,eislaufen‘ muss ich klein schreiben!
Wie stehen Sie zum neuen Regelwerk beziehungsweise die bei gewissen Fremdwörtern erlaubten zwei Schreibweisen?
Appl: Ich selber stehe dieser ,Reform der Reform‘ sehr kritisch gegenüber, da sie meiner Meinung nach in der letzten Konsequenz nicht logisch aufgebaut ist. Bleibt nur zu hoffen, dass die vorliegende Reform nun die letztendlich endgültige ist, damit wir - Lehrkräfte und Schulkinder - endlich unseren Rechtschreibunterricht in ruhigem Fahrwasser durchführen können.
Was halten Sie von zweierlei Schreibweisen zum Beispiel «kaltstellen» und «kalt stellen» je nach Bedeutung der Anwendung?
Appl: Zweierlei Schreibweisen sind sehr schwierig, da die Kinder die richtige Schreibweise vom Sinn des Textes ableiten müssen, was für einige Schüler und Schülerinnen eine zusätzliche Rechtschreibhürde bedeutet. Rechtschriftlich sichere Kinder schaffen dies vermutlich, schwächere Schülerinnen und Schüler sind dabei wahrscheinlich überfordert. Kindern ist auch wenig einsichtig, warum ,Fluss‘ mit doppel ,s‘, aber ,Fuß‘ mit einem ,s‘ geschrieben wird. Kinder in den unteren Klassen der Grundschule können nämlich noch nicht erkennen, ob der Selbstlaut ,u‘ kurz oder lang gesprochen wird.
Haben die Lehrkräfte die neuen Regeln schon fest im Hinterkopf oder greifen sie im Zweifelsfall wegen der Reform selbst ab und zu zum gültigen Duden?
Appl: Keiner meiner Kolleginnen und Kollegen wird sich scheuen, bei Unklarheiten im neuen Rechtschreibduden nachzublättern. Über die Jahre hinweg werden sich jedoch die neuen Rechtschreibregeln aufgrund der täglichen Übung mit den Kindern auch bei uns Lehrkräften ins Gedächtnis einprägen. Trotzdem wird wohl der Duden jederzeit griffbereit auf unserem Schreibtisch stehen.
In der Grundschule erlernt man ja gleich die neue verbindliche Schreibweise. Haben Sie eventuell im Familienkreis beziehungsweise bei Realschülern oder Gymnasiasten eher positive oder negative Reaktionen wegen der Reform feststellen können?
Appl: Bei meinen eigenen Kindern, die das Gymnasium beziehungsweise die Realschule besuchen, konnte ich feststellen , dass sie durchaus wegen der neuen Rechtschreibung verwirrt waren. Nach den in den jeweiligen Schulen durchgeführten Übungsphasen haben sie sich nun an die neuen Regeln gewöhnt - was bleibt den Schülerinnen und Schülern auch anderes übrig; die Rechtschreibreform wurde ihnen von Leuten, die wenig praktische Erfahrung an Schulen gesammelt haben, einfach übergestülpt. Interview: SABINE RÜHL