Fluchthilfe für das Schach-Genie Bobby Fischer
03.10.2008, 00:00 Uhr
Herr Niedermaier, wie haben Sie Bobby Fischer kennen gelernt?
Hans Niedermeier: Es war im Oktober 1960 zurzeit der Schacholympiade in Leipzig. Wir spielten gerade ein Vereinsturnier im Hotel «Münchner Hof» in der Bamberger Hauptwachstraße. Es war 21 Uhr als Lothar Schmid, Helmut Pfleger und Bobby Fischer das Spiellokal betraten. Bobby Fischer wohnte damals rund zwei Wochen bei Lothar Schmid in Bamberg. Er lebte sehr gerne in Deutschland, und ich hegte tiefe Bewunderung für ihn. Sofort wurden alle Uhren angehalten, und wir lauschten etwa eine Stunde den Analysen aktueller Partien von der Schacholympiade. Wahrgenommen hat er mich 16-Jährigen damals aber nicht.
1990 haben Sie Fischer wiedergetroffen.
Hans Niedermaier: Damals zog sich Bobby Fischer, der vorher in Bamberg gewohnt hatte, in die Fränkische Schweiz zurück. Ich traf ihn in der Pulvermühle in Waischenfeld. Bobby Fischer blieb einige Wochen, bis die Journalisten des Stern ihn dort aufgespürt haben. Bis heute weiß niemand, wer ihnen den Tipp gegeben hat. Einmal ist er aber schon in Bamberg erkannt worden. Das war ganz kurios. Bobby Fischer blieb mitten auf der Straße stehen, um sein Magnet-Schach zu zücken und schnell eine neue Idee, die ihm gerade eingefallen war, auf dem Brett auszuprobieren. Dabei hat ihn ein Fensterputzer gesehen und erkannt. Weil der sich nicht sicher war, rief er bei Lothar Schmid an und fragte ihn. Der verpflichtete den Fensterputzer zum Stillschweigen.
Sie haben Bobby Fischer «Fluchthilfe» geleistet?
Hans Niedermaier: Um zwei Uhr nachts sind wir von der Pulvermühle aufgebrochen. Er hatte viel Gepäck dabei, das wir alles durch die Küche und die Hintertür zu meinem Auto gebracht haben. Auf der Strecke haben wir mehrmals in Parkbuchten gehalten, um zu überprüfen, ob wir verfolgt werden. In Forchheim haben wir in einer Nebenstraße gehalten. Über Nachbargrundstücke sind wir in meinen Garten geschlichen.
Was hat Bobby Fischer den ganzen Tag in Forchheim gemacht?
Hans Niedermaier: Er war ein bescheidener Mensch. Ich sehe ihn heute noch, wie er an meinem Wohnzimmertisch sitzt. Neben ihm einige Zeitungen, ein Weltempfänger und ein Reise-Magnet-Schach, das er speziell hatte anfertigen lassen. So saß er nächtelang. Aufgestanden ist er meist erst nachmittags. Wir haben niemals gegeneinander gespielt, sondern nur analysiert. Wir machten auch Ausflüge nach Nürnberg oder zur «Alten Wache» am Paradeplatz.
Woran erinnern Sie sich noch?
Hans Niedermaier: Er war ein Mensch, der sehr viel Wert auf Freundschaften legte. Außerdem hatte er ein schier übermenschliches Gedächtnis. Als er den «Stern»-Artikel über seine Enttarnung 1990 bei mir zu Hause las, da konnte er sich genau erinnern, wem er was gesagt hatte.
Fischer galt auch als Antisemit. Was haben Sie davon mitbekommen?
Hans Niedermaier: Er war politisch äußerst gut informiert. Täglich las er zwei Tageszeitungen. Immer war er von dem, was er sagte, vollkommen überzeugt. Spannend war sein Umgang mit der Presse. Einmal erlebte ich hautnah, wie Bobby Fischer wegen eines Interviews für den Stern verhandelte. Vermittler war Lothar Schmid, der die Angebote per Fax erhielt. Damals hatte ja nicht jeder diese Technik.
Es war der reinste Krimi. Bobby Fischer stellte die Forderung, es dürfte nur ein einziges Foto gemacht werden. Außerdem 20 Fragen, von denen er zehn auswählen wollte, um die Antworten auf Tonband zu sprechen - ohne jeglichen direkten Kontakt zu den Reportern. Zuerst bot der Stern 20 000 Mark. Antwort Bobby Fischer: ,Was soll ich mit Mark. Ich bin Amerikaner.’ Dann lautete das Angebot 20 000 Dollar. Dann verzögerte Bobby Fischer solange, bis der Verlag auch zu 50 000 Dollar bereit war. Antwort Bobby Fischer: ,Mit denen kann man spielen. Mal sehen, wie weit sie gehen.’
Er forderte dann 100 000 Dollar. Es dauerte nicht lange, bis das Telefon klingelte. Bobby Fischer aber riet mir, den Anrufer weitere acht bis zehn Mal schmoren zu lassen. Beim elften Anruf sagte er dann lapidar: ,Ich glaube, jetzt kannst Du mal rangehen.’ Der Stern war bereit, 100 000 Dollar zu zahlen!
Ich holte das Fax ab. Bobby Fischer schaute nur kurz auf das Schreiben, schüttelte dann den Kopf und sagte: ,Diese Leute respektieren meinen Titel nicht.’ In der Anrede hatte es geheißen: ,Sehr geehrter Herr Großmeister’, aber eben nicht «Weltmeister». Schließlich hatte Lothar Schmid ein weiteres Fax mit richtiger Anrede erwirkt. Für Bobby Fischer war die Sache aber längst schon erledigt. ,Siehst Du, diese Leute würden auch ihre Mutter für Geld verkaufen.’ Das Interview kam nie zustande.
Warum ist er dann nach rund sieben Wochen wieder aus Forchheim verschwunden?
Hans Niedermaier: An seinem 48. Geburtstag habe ich mich mit ihm zerstritten. Es ging um den Pulvermühlen-Chef Kaspar Bezold. Er ließ dann eine regelrechte Schimpftirade mit wüsten Beleidigungen los, die ich nicht tolerieren konnte. Schließlich war Kaspar Bezold mein Freund. Wir haben zum letzten Mal gemeinsam zu Abend gegessen. Dabei eröffnete er mir, nie mehr nach Forchheim kommen zu wollen. Und er ließ die Musikbox Andy Borgs «Arrivederci Claire, wenn noch mal Sommer wär» spielen. Ich legte ihm «California Blue» von Roy Orbison auf. So gingen wir auseinander.
Interview: UDO GÜLDNER