Eine 21-Jährige berichtet

Peitsche statt BAföG: Als Domina durchs Studium

Christian Urban

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27.1.2024, 05:45 Uhr
Mit 20 hat sich Lena dazu entschlossen, die Gastronomie an den Nagel zu hängen und stattdessen das Geld für ihr Studium als Domina zu verdienen.

© Privat Mit 20 hat sich Lena dazu entschlossen, die Gastronomie an den Nagel zu hängen und stattdessen das Geld für ihr Studium als Domina zu verdienen.

“Hi, ich bin Lena” (Name geändert), stellt sich die junge Frau vor. Ein warmer Händedruck, ein freundliches und offenes Lächeln, intelligente Augen - kurz gesagt: Es ist unmöglich, Anblick und Auftreten der 21-jährigen Germanistik-Studentin mit den existierenden Domina-Klischees in Einklang zu bringen. Schließlich hat jeder Mensch, der einmal im Nachtprogramm des Privatfernsehens über eine der diversen Privatsender-"Reportagen" gestolpert ist, eine ganz andere Vorstellung der Damen in Lack und Leder: Harte Gesichtszüge, stechende Blicke und ein schneidender, herrischer Tonfall sind da meist obligatorisch.

Angesprochen auf dieses Klischee runzelt Lena erst einmal die Stirn. “Eine Domina ist keine Eiskönigin, auch wenn dieses Bild im Kopf vieler Menschen steckt”, erklärt sie. “Dominanz ist viel mehr. Wobei es diese Dominas schon wirklich gelegentlich gibt. Das sind oft ehemalige Prostituierte, die für ihren ursprünglichen Job zu alt geworden sind und ein neues Betätigungsfeld gebraucht haben. Die sind vielleicht seit Jahrzehnten von den Männern schlecht behandelt worden und leben dann eben auf diese Weise ihren Männerhass aus.”

Den Entschluss, ihre sexuellen Neigungen zum Nebenjob zu machen und die Kellnerei an den Nagel zu hängen, fasste Lena bereits im Alter von 20. Außergewöhnlich jung für eine Domina, wie sie selbst zugibt - doch in ihrem Fall spielt das Alter nur eine untergeordnete Rolle. “Seit meiner Jugend beschäftige ich mich mit Sadomasochismus und habe erfahren, wie unglaublich intensiv das ist, was man da erlebt. Und genau dieses Erlebte möchte ich den Männern weitergeben, die zu mir kommen und mich bezahlen. Ich will sie nicht einfach irgendwo festbinden und verprügeln. Ich bediene Fantasien. Außerdem kann Ich mir meine Zeit vollkommen frei einteilen und mich daher viel besser auf mein Studium konzentrieren.”

“Es bleibt wesentlich weniger übrig als man denkt”

Wie viel sie genau verdient, möchte sie nicht sagen, doch eines zumindest verrät sie: “Die Menschen sehen immer nur den hohen Stundenlohn. Dabei vergessen sie aber gerne, dass man zwischendurch sehr viel herumsitzt und nichts verdient. Außerdem muss man neue Geräte anschaffen und sich auch mal fortbilden. Letztlich bleibt also wesentlich weniger übrig als man denkt.”

Nur rund 40 Prozent ihres Verdienstes kommen tatsächlich in ihrem Geldbeutel an, der Rest fließt in die Miete für ihr Studio, Steuern und die Krankenversicherung. Also eigentlich ein ganz normaler Job - und insgesamt gar nicht so selten, denn Lena ist keine Ausnahme.

Besonders im Escort-Bereich, der Prostitution auf hohem Niveau für eine Nacht mit häufig gut situierten Kunden, tummeln sich einige Studentinnen - wie auch eine Freundin von Lena. Verwunderlich ist das nicht, auch wenn es häufig tabuisiert wird: Für das Geld, das diese jungen Frauen in nur einer Nacht verdienen, müssten sie teilweise zwei oder gar drei Monate in der Gastronomie arbeiten. Für Lena allerdings käme das nicht in Frage: “Es gibt einfach Dinge, die mir und meinem Partner vorbehalten sein sollen.” Geschlechtsverkehr und Zungenküsse sind für sie daher in ihrer Rolle als Domina tabu, und berühren lässt sie sich ebenfalls nicht überall.

Ihre Familie, die sie ab der ersten Sekunde über ihre Tätigkeit aufgeklärt hat, macht sich natürlich trotzdem immer ein wenig Sorgen. “Aber so wie ich mit den Dingen umgehe, wissen meine Leute schon, dass ich nicht in ernster Gefahr bin, und dass das viel weniger schlimm ist als dieses ominöse Rotlichtmilieu, das man sich vorstellt.”

Auch im Freundeskreis fielen die Reaktionen besser aus als befürchtet: “Etwa 90 Prozent der Leute waren sehr interessiert und haben mich ausgefragt. Diese Art von Neugier ist mir sowieso am liebsten. Ich freue mich, wenn sich die Menschen aufrichtig für meine Tätigkeit interessieren und bin nie um eine Antwort verlegen.”

“Nicht an sich heran lassen”

Während des Gesprächs klingelt Lenas Diensthandy, und von einer Sekunde auf die andere wird ihre Haltung aufrechter, die Stimme melodiöser. Professionell beantwortet sie die Fragen des Anrufers: Ja, sie ist wirklich erst 21. Ja, sie kann ein Latexkleid tragen, wenn er das möchte. Ja, sie hat eine Streckbank und einen Käfig in ihrem Studio. Nein, sie wird keinen Geschlechtsverkehr mit ihm haben. Nein, sie wird wirklich keinen Geschlechtsverkehr mit ihm haben. Lena rollt mit den Augen, doch der Mann am Telefon merkt davon nichts: Obwohl sie sichtlich genervt ist, bleibt ihre Stimme vollkommen unverändert. Noch rund eine Minute plätschert das Gespräch vor sich hin, einen Termin ausmachen will der Unbekannte aber nicht. Er werde sich melden, sagt er.

“Der hat irgendwo im Internet oder in der Zeitung meine Anzeige gesehen und wollte nur testen, was möglich ist”, sagt sie achselzuckend, “von dem höre ich garantiert nichts mehr.” Aus lediglich 20 bis 30 Prozent aller Anrufe entsteht ein Termin, so erklärt sie, die anderen bleiben unverbindlich. Oder die Anrufer wollen schlicht Dampf ablassen, wovon sich Lena aber nicht die gute Laune verderben lässt: “Einige Dinge, die man da zu hören bekommt, sind nicht gerade schön - aber da muss man durch. Das darf man einfach nicht an sich heran lassen.”

Manche Männer wollen nur reden

Den Klischeekunden einer Domina - den Manager, der einfach für eine Stunde seine Macht abgeben will - gibt es tatsächlich, doch überrepräsentiert ist dieser Menschentyp nicht. Ihr Kundenkreis erstreckt sich vielmehr über sämtliche Gesellschaftsschichten und Altersgruppen.

Ebenso unterschiedlich wie die Kunden selbst sind auch ihre Wünsche: Manche kommen mit einem exakt durchgeplanten Szenario zu ihr, andere geben ihr komplett freie Hand. Und teilweise wollen die Männer auch einfach nur reden. Über sich selbst, über ihre Alltagsprobleme - und manchmal auch über ihre Freundinnen und Ehefrauen, mit denen sie über ihre Neigungen nicht sprechen können. “In solchen Fällen bin ich eher eine Art Psychologin als die Domina. Da sitze ich dann eine Stunde neben dem Mann und höre ihm einfach nur zu”.

Ein wenig Angst habe sie manchmal schon, gesteht sie. Zwar ist sie durch einen Notfall-Knopf im Studio gut abgesichert, körperlich überlegen wären ihr aber die meisten ihrer Kunden im Extremfall dennoch. Da hilft dann nur ihre Intuition: “Wenn mir jemand schon am Telefon unsympathisch ist, gibt es immer einen Weg, einen Termin abzulehnen.”

Um ihr Seelenheil hingegen ist sie nicht besorgt: “Ich traue es mir zu, das noch bis zum Ende meines Studiums zu machen. Sobald ich aber merke, dass mir der Job nicht mehr gut tut, gehe ich wieder zurück in die Gastronomie. Das ist es mir nicht wert.” Entscheidend ist für sie die Wahrung einer gewissen Distanz zu den Männern - so berührt sie beispielsweise bei ihren Kunden keine Eheringe (falls vorhanden), die für sie ein “physisches Zeichen eines Versprechens” sind. Und den Männern, die ihr auf der verzweifelten Suche nach Liebe verfallen, hält sie immer wieder deutlich vor Augen, dass sie letztlich nur eine Art Dienstleisterin ist.

Auch Anfragen, die ihre Grenzen überschreiten, lehnt sie kategorisch ab: “Einmal hatte ein Kunde einen Karton mit lebenden weißen Mäusen dabei, die ich mit dem Absatz meiner High Heels vor ihm zertreten sollte. Den habe ich sofort rausgeworfen.”

Der Spaß überwiegt

Trotz solcher gelegentlicher Ausflüge in die Tiefen menschlicher Abgründe überwiegt bisher aber der Spaß. Das hätte auch ganz anders kommen können, erinnert sie sich: Bei ihrem ersten Kunden zitterte sie vor Aufregung so sehr, dass sie die Tür zu ihrem Studio fast nicht aufschließen konnte. “Der Mann hat das definitiv gemerkt, aber er hat es mir sehr leicht gemacht: Er war nett, wollte sich trotz meiner Unsicherheit unbedingt unterwerfen und hat mir danach wirklich tolles Feedback gegeben. Wäre das anders gelaufen, wäre ich danach wohl sofort wieder kellnern gegangen.”

Und nach dem Studium? Lena denkt kurz nach. Ursprünglich sei ihr Gedanke gewesen, den Job wirklich nur während der Zeit an der Uni zu machen. Doch in den vergangenen Wochen und Monaten habe sich ihre Sichtweise dann doch ein wenig geändert, räumt sie grinsend ein: “Vielleicht mache ich nach dem Studium nebenher doch noch ein wenig weiter. Ein oder zwei Termine im Monat. Einfach nur so. Zum Spaß.”