Dramatische Ballonfahrt über Monate im Medienwirbel

16.2.2019, 06:00 Uhr
Dramatische Ballonfahrt über Monate im Medienwirbel

© F.: HvD

Diese "Republikflucht" war so spektakulär, dass sie nur zwei Jahre später von den Walt-Disney-Studios in Hollywood zu einem abendfüllenden, aber nur mäßig wirklichkeitsgetreuen Spielfilm verarbeitet wurde. Vergangenes Jahr kam dann "Ballon" auf die Leinwand, ein Streifen, der sich erheblich enger an die tatsächlichen Geschehnisse anlehnt – und Anlass für Günther Wetzel war, mit der Geschichte seiner Flucht auf Deutschlandtour zu gehen.

Wetzels Bildervortrag in Roth ist nicht allzu zahlreich, dafür aber von sichtlich interessierten Menschen besucht, die sich an jene Epoche noch gut erinnern können. Als die Familien Strelzyk und Wetzel aus der Deutschen Demokratischen Republik flohen, um ein gnadenloses, in vielen Zügen faschistisches Unterdrückungs- und Überwachungsregime hinter sich zu lassen, tobte in Europa noch der Kalte Krieg, an der innerdeutschen Grenze waren Selbstschuss-Anlagen installiert und es kamen regelmäßig Menschen bei dem Versuch ums Leben, den "Arbeiter- und Bauernstaat" zu verlassen.

Günther Wetzel, inzwischen im Ruhestand, beschränkt sich nicht auf die Beschreibung der auch in der Rückschau nach 40 Jahren immer noch spektakulär wirkenden Flucht – er liefert auch die Gründe dafür und erzählt vom Leben in einem Staat, in dem er nicht Physik studieren durfte, weil sein Vater die Familie verlassen hatte und in den Westen "rübermachte", als Günther Wetzel gerade einmal fünf Jahre alt war.

Mit dem einige Jahre älteren Hans-Peter Strelzyk verband Wetzel eine Arbeitsfreundschaft: Die beiden nutzten, wie Wetzel augenzwinkernd erzählt, eine Gesetzeslücke, um als "Feierabendarbeiter" frei unterwegs zu sein in einem Staat, in dem es eigentlich nur angestellte Beschäftigungsverhältnisse geben durfte.

Das wachsende Gefühl des Eingesperrtseins gipfelte bei Strelzyk und Wetzel – beide Familienväter – in einem Fluchtplan, der ebenso waghalsig wie ungewöhnlich war. Per selbst gebautem Heißluftballon sollte es von Thüringen hinüber nach Bayern ins andere Deutschland gehen. Wetzel berichtet, wie die Familien in wechselnder Besetzung, um den allgegenwärtigen Überwachern des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi) nicht aufzufallen, in der ganzen DDR Stoff zusammenkauften. Und er spricht mit heute noch lebendiger Euphorie von der Zuversicht, mit der sie ans Werk gingen: "Wir waren uns sicher, einen Weg gefunden zu haben, der sicher ist".

Dennoch schlugen zwei Versuche fehl, weil es den Ballon-Eigenkonstruktionen zunächst an der Dichtigkeit des Stoffes mangelte und auch an einem Gebläse, um die per Gasbrenner erzeugte heiße Luft so schnell in die Ballonhülle zu blasen, dass sie nicht wieder auskühlt, bevor der Ballon voll und damit tragfähig ist.

Probleme, die gelöst wurden, auch wenn Günther Wetzels Zweirad seinen Motor für das Projekt hergeben musste. "Dafür hatten wir einen Gebläsemotor, von dem selbst heutige Ballonfahrer nur träumen können", meint Wetzel mit ironischem Lächeln.

Am Ende war in nur 28 dramatischen Minuten alles vorbei, der Ballon wurde von günstigen Winden bis nach Naila getrieben, wo die Flüchtlinge mit offenen Armen aufgenommen wurden. "Um 3 Uhr morgens kamen wir an, um 5 Uhr hatten wir schon eine Wohnung, die der Bürgermeister von Naila uns zur Verfügung stellte", erinnert sich Günther Wetzel, der seine Geschichte mit einer Vielzahl historischer Bilder illustriert.

Im Westen setzte ein, was man heute "Hype" nennen würde: Über Monate waren die geflohenen DDR-Bürger Mittelpunkt eines beispiellosen Medienwirbels, wurden bestaunt und mit Fragen gelöchert. Erst im Januar 1980 konnte Günther Wetzel eine ganz normale Arbeit aufnehmen – "das war es, was wir gewollt hatten", sagt er heute.

Kuriosum am Rande: Der originale Ballon wurde der Stadt Naila geschenkt, später meldete auch das Museum am "Checkpoint Charlie" in Berlin Interesse an. Heute haben beide sogenannte Teiloriginale, denn Günther Wetzel baute die simple Gondel nach. "Nur ich weiß, welche Teile original und welche ein Nachbau sind", führt Wetzel aus – und lächelt.

ZMehr Informationen auf www.ballonflucht.de

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