Flockefieber auch in der Schreibwerkstatt

26.3.2008, 00:00 Uhr

Die erste Anthologie mit den Teilnehmern Ihrer Schreibwerkstatt mit dem Titel «Nie wieder Krieg!» ist auch überregional auf großes Interesse gestoßen. Für das kommende Semester haben Sie sich ein neues Projekt vorgenommen. Im Kurs wird das Eisbärbaby Flocke unter die Lupe genommen. Spätestens im Herbst soll eine Broschüre erscheinen. Warum haben Sie gerade dieses Thema ausgewählt?

Höverkamp: Das Flocke-Fieber hat auch uns gepackt. Schließlich wird uns das Eisbärbaby täglich per Zeitung zum Frühstück serviert und ist ein Dauerbrenner im Internet und im Fernsehen. Ich persönlich habe nach einigen Wochen nach den Ursachen dieser Erfolgsstory gesucht und diese Suche ist noch nicht abgeschlossen. Und weil bekanntlich viele Köpfe viele Ideen produzieren, haben wir uns diesem Thema gewidmet.

Flocke ist zum Medienstar und zum Objekt der Vermarktung im großen Stil geworden. Wie beurteilen Sie und Ihre Gruppe den Rummel um Flocke?

Höverkamp: Nach den Marketinggesetzen kann ein Objekt - unser kleines weißes Fellknäuel - nur optimal vermarktet werden, wenn die Medien häufig und natürlich positiv berichten. Der Nebeneffekt ist, dass auch die Medien profitieren - Printmedien von höheren Auflagen, das Fernsehen von hohen Einschaltquoten und die Internetnutzung, die zeitweise so stark war, dass das Netz zusammenbrach.

Spätestens jetzt stellt sich die Frage, wie schafft ein kleiner Eisbär es, eine Massenhysterie und zwar weltweit, zu erzeugen? Und dann beginnt die Suche nach der psychologischen Wirkung des Eisbärmädchens. Welche Signale und Emotionen setzt das weiße Teddybaby beim Menschen in Gang?

Welche Themen werden in der neuen Anthologie über Flocke angeschnitten?

Höverkamp: Ein ganzes Bündel an Themen ist denkbar. Nicht vergessen werden dürfen die wilden Artgenossen von Flocke im langsam schmelzenden Eis. Eisbären gehören inzwischen zu einer bedrohten Art. Damit verbunden ist auch die ökologische Frage. Aus dieser Problematik heraus ist es wünschenswert, wenn die Vermarktung des Nürnberger Eisbärbabys auch Geld für Umweltprojekte einbringt. Das Verhältnis Mensch und Tier, das hier zu einem Ungleichgewicht führte, wird ebenso thematisiert. Auch sozialkritisch ist das Problem nicht uninteressant, beispielsweise unter dem Aspekt: der «Pflegefall» Flocke und der Pflegefall im Altenheim. Natürlich möchten wir auch Heiteres einbringen. Was würde Flocke wohl zu dem Aufsehen sagen, wenn sie sprechen könnte? Oder wir beschreiben einen Besuch vor dem Eisbärengehege, Flocke wird ab April im Freien sein. Aber ich kann hier nur eine kleine Auswahl an Themen anschneiden.

Was läuft schief in einer Gesellschaft, die vor Begeisterung über das Eisbärenkind überschäumt, jedoch in vielen Bereichen des Lebens eine unglaubliche soziale Kälte zeigt? Denken wir nur an Kinderfeindlichkeit oder gar an die zahlreichen Kindermorde, die in den letzten Monaten unser Land erschüttert haben?

Höverkamp: Die Freude über das Eisbärenbaby ist an sich eine positive Reaktion, die nicht schlecht geredet werden sollte. Ein wichtiger Grund, warum die Menschen bei den Fernsehbildern über Flocke zu freundlichen Zeitgenossen werden, mit einem großem Herzen für Tiere, ist, dass diese Freude keine Verantwortung nach sich zieht. Kein Zuschauer muss nachts aufstehen und dem Tier Fläschchen geben, niemand muss den Eisbärendreck wegputzen, keiner wird vom Schreien des kleinen Rackers genervt. Kein Zuschauer wird daran gehindert, am Abend auszugehen, weil er auf Flocke aufpassen muss. So glauben wir, dass vor allem die Verantwortung gegenüber den Kindern, den Alten, den Behinderten und sozial Benachteiligten bewusst gemacht und als unabdingbar für eine humane Ge-sellschaft erkannt werden muss. Jeder von uns, auch wenn er jetzt jung, gesund und finanziell unabhängig ist, kann irgendwann einmal auf die Hilfsbereitschaft, die aus der Verantwortung erwächst, angewiesen sein.

Lernen können dies Kinder am Vorbild der Eltern, aber auch, unter Anleitung der Lehrer, in der Schule. Was nützt es einem Schulabgänger, wenn er zwei Fremdsprachen und die höhere Mathematik beherrscht, wenn er auf sozialem Gebiet, im zwischenmenschlichen Bereich, die Note ungenügend bekommen müsste? Die Liebe zum Tier und zum Menschen muss ausgewogen sein. Aber süß ist sie schon, unsere Flocke, gell?

Mit Ingeborg Höverkamp sprach:

ROBERT UNTERBURGER

Das neue Semester der Schreibwerkstatt «Das Leben schreibt die spannendsten Geschichten» im Nürnberger Caritas-Pirckheimer-Haus, Königstr. 64, beginnt in wenigen Tagen. Anmeldung und Information unter Telefon (09 11) 2 34 60.