Pfarrer interessieren sich für „Sprache der Hände“

21.11.2016, 17:13 Uhr
Pfarrer interessieren sich für „Sprache der Hände“

© Fotos: Graff

Gelungen ist das dem Rother Pfarrer Joachim Klenk und seinem Kollegen Matthias Schulz. Beide sind als Hörende tief in die Gehörlosen-Gemeinschaft eingestiegen und erzählen von der Faszination der Kommunikation ohne Worte. Ihr Buch wurde nun im evangelischen Gemeindehaus der Öffentlichkeit vorgestellt.

Joachim Klenk war vor seinem Wechsel auf die Pfarrstelle in der Kreisstadt zwölf Jahre Leitender Gehörlosenpfarrer in Bayern. Matthias Schulz arbeitet seit 2002 als Gehörlosenpfarrer und Pastoralpsychologe am Klinikum am Europakanal in Erlangen. Im Buch ergänzen sich beider unterschiedliche Blickwinkel auf die Lebenswelt tauber Menschen und ihrer Familien, die „ein anderes, dennoch völlig normales Leben führen“. Sie erzählen erlebte und erdachte Geschichten mit und über Gehörlose, berichten von Begegnungen und Begebenheiten, ermöglichen auf unterhaltsame Weise faszinierende Entdeckungen und unerwartete Erkenntnisse, werfen aber auch einen Blick auf die Schattenseiten gehörloser Schicksale.

Wunderbare Kultur

„Eine wunderbare Kultur, über die viele Leute wenig wissen“, stellt das Autoren-Duo vor. Klenk und Schulz vermitteln, welcher Schatz in der lautlosen „Sprache der Hände“ liegt, die schon am osmanischen Hof als diskrete Geheim-Kommunikation geschätzt wurde und andererseits in der Geschichte auch als „Affensprache“ aufs übelste diskreditiert und zeitweise sogar verboten wurde.

Anekdoten wie die über eine spontane Unterhaltung, die während einer zufälligen Begegnung zweier Straßenbahnen von Waggon zu Waggon geführt wurde, lassen den Leser lächeln, während sich beim Bericht über eine gehörlose Mutter, der von Amts wegen das hörende Kind weggenommen werden sollte, Fassungslosigkeit einstellt. Beeindruckt erfährt man, wie stark und selbstbewusst die Gemeinschaft der Gehörlosen heute in Deutschland ist, wie vielschichtig die Kommunikation der fliegenden Hände ist.

Der große Saal des evangelischen Gemeindehauses drohte bei der Buchpräsentation aus allen Nähten zu platzen. Joachim Klenk freute sich über den großen Andrang, der sich zu der „Gehörlosen-Gala“ angekündigt hatte. Zum einen, weil das Buch, das an dem Abend offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, eine echte Herzensangelegenheit ist, und zum anderen, weil es einen Anlass bot, im Kreise der eng verbundenen Gehörlosen-Gemeinschaft ein großes Fest auszurichten und dieses mit Rother Wegbegleitern und Vertretern von Politik und Kirche zusammen zu feiern.

Neben herausragenden Persönlichkeiten der Gehörlosenverbände und der Gehörlosenseelsorge der evangelisch-lutherischen Landeskirche zollte unter anderem auch die Beauftragte der Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung Irmgard Badura dem Werk und seinen Autoren großen Respekt und tiefe Anerkennung - wenn sie als fast Blinde auch hoffe, demnächst eine für sie zugängliche Fassung geliefert zu bekommen. Sie sprach von einem wichtigen Baustein in Sachen Inklusion, bei der sich in den vergangenen Jahren viel getan habe. „Da können wir uns alle gemeinsam auf die Schultern klopfen.“ Die evangelische Landeskirche geht jetzt einen weiteren großen Schritt voran, indem sie mit Beginn des nächsten Jahres der Gehörlosenseelsorge den Status als eigenständige Kirchengemeinde voll zuerkennt. Eine Entwicklung, die die Vertreter der Gehörlosenverbände mit Stolz und Zuversicht erfüllt.

Die Hörenden im Publikum, und darunter gerade die, die erstmals mit der besonderen Kultur der Gehörlosen in Kontakt kamen, erlagen schnell der Faszination deutlich spürbarer Verbundenheit und der lebendigen wie vielschichtigen Kommunikation mit den fliegenden Händen.

Biggi Schmidt und Koni Regler führten mit Ganzkörpereinsatz und viel Humor durch den Abend, an dem Dolmetscherinnen Gebärden für die Hörenden in Lautsprache übersetzten. „Voicen“ heißt das im Fachjargon. Nicht nur der lautlose Gebärdenchor und die musiklose Tanzeinlage auf der Bühne faszinierten auch jenseits des Gehörten.

Die beiden Autoren lasen und spielten Passagen aus ihrem Gemeinschaftswerk und freuten sich über einen gelungenen Abend.

Das strahlend weiße Buch mit den knallbunten jubelnden Händen auf dem Titel fand reißenden Absatz. Es ist im Eigenverlag „JoMa – Verlag der fliegenden Hände“ erschienen und ist direkt über die Autoren sowie über den Buchhandel (ISBN 9783741274121) erhältlich.

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