Kammersteiner startet bei Europameisterschaft

29.5.2018, 17:17 Uhr
Erlösung und Triumph: In diesem Moment hat sich Sebastian Reinwand für die Europameisterschaft qualifiziert.

© Foto: Markus Herkert Erlösung und Triumph: In diesem Moment hat sich Sebastian Reinwand für die Europameisterschaft qualifiziert.

Sebastian Reinwand wird wenige Tage vor dem 12. August 31 Jahre alt. In einer gezielten Vorbereitung mit Loni Schroll wird er bis dahin noch viel Energie verbrennen. Da muss er schon schmunzeln, wenn er nach seinen Anfängen und den Beweggründen gefragt wird. Sein Vater, ein Triathlet, hat ihn 2001 bei den Büchenbacher Leichtathleten angemeldet, weil er wohl zu viel Zeit vor dem Fernseher verbrachte. Was als Disziplinierung gedacht war, wurde alles andere als eine Strafe: "Ich wurde sehr ehrgeizig, am meisten habe ich mich geärgert, als in den Ferien kein Training war."

Nicht hinter einem Mädchen

Unter Elli Müller war er zunächst in allen leichtathletischen Disziplinen unterwegs, also auch im Hoch- und Weitsprung oder Kugelstoßen. Auffallend gut war seine Zeit über 100 Meter. Einen Ehrgeizschub gaben aber zwei längere Rennen im Herbst 2002.

Beim Brückenlauf in Rednitzhembach kam er hinter der gleichaltrigen Rebecca Robisch ins Ziel, kurz darauf beim Schwabacher Citylauf wollte er unbedingt vermeiden, wieder hinter einem Mädchen zu finishen. Und tatsächlich putzte er die Robisch: "Obwohl ich einen Schuh verloren habe."

Die Zeit war reif, dass ihn ein Schulkamerad in die Leistungsgruppe von Loni Schroll beim SC Roth vermittelte. Doch das ging nicht so reibungslos. "Er hat mich beim ersten Training heimgeschickt, weil ich nicht angemeldet war", beschreibt Reinwand den Umweg, "aber zwei Tage später kam der Anruf mit der Einladung."

"Zu viele Muskeln"

Die Mittelstrecke, also 800 bis 3000 Meter, war das erste Betätigungsfeld den Nachwuchsläufers. Sein Hang zum hohem Tempo – als 16-Jähriger hielt er mit 11,42 Sekunden über 100 Meter locker mit den Sprintern mit – bescherte ihm einige bittere Erfahrungen mit der Renneinteilung. Die Lektion hat er gelernt. Kürzlich zog er seine früheren Teamkameraden Patrick Weiler und Detlef Knall (Memmert) bei der "Langen Laufnacht Karlsruhe" über 5000 Meter unter 15 Minuten. Seine Bestzeit über 1500 m schraubte er im Vorjahr auf beachtliche 3:48,37 Minuten runter (34. der deutschen Bestenliste 2017), obwohl die Strecke da bei ihm unter "stiefmütterlich" eingeordnet war.

Da hatte er – nach seinem Wechsel zu ART Düsseldorf – längst den halben und den ganzen Marathon im Visier, obwohl seine ersten Versuche entmutigend verlaufen waren. Sein Marathon-Debüt 2013 hatte er wegen Wadenkrämpfen abgebrochen. Beim zweiten Anlauf 2015 wollten die Muskeln auch nicht so wie er. Selbst bei seiner Deutschen Vizemeisterschaft heuer zwickte es wieder: "Bei Kilometer 41 habe ich richtige Krämpfe bekommen, das hat mich um den Titel gebracht." Die Ursache ist auch ermittelt. "Für einen Marathonläufer habe ich viel zu sehr eine Mittelstreckler-Figur, das heißt, zu viele Muskeln."

Persönliches Ziel: Nationalteam

Das kann heiter werden, denn das EM-Rennen findet im August über die Mittagszeit statt, da rechnet man seriöserweise mit Hitze. "Das wird mein erstes taktisches Rennen über die Distanz, wahrscheinlich mit mäßigem Beginn und einer Steigerung." Entsprechend ist das Training in den verbleibenden elf Wochen abgestimmt, die Sache mit den Muskeln will man mit der Verpflegungsstrategie begegnen: Kühlung, Getränke, Salz.

Um die Zeit wird es in Berlin nicht gehen, vermutet Reinwand, sein persönliches Ziel ist es, seinen Status im Nationalteam zu halten und möglichst zu verbessern: "Ich orientiere mich an meinen Mannschaftskollegen und ein paar Österreichern, die ich gut kenne."

"Mit Laufen lässt sich kein Geld verdienen"

In der ersten Woche seiner Vorbereitung drückte Sebastian Reinwand wieder auf's Tempo. Einen 10 000-Meter-Lauf in für seine Verhältnisse moderaten 29:51 Minuten hatte Defizite erkennen lassen: "Der hat richtig weh getan." Heimtrainer von Sebastian Reinwand, der selbst als Trainer für die Memmert Läufer Detlef Knall und Andreas Straßner, ist weiterhin Loni Schroll. Mit dem Team von ART Düsseldorf kommt er in der Regel bei Trainingslager zusammen. Trotzdem machte der Wechsel nach Nordrhein-Westfalen für ihn Sinn: "Für uns lässt sich mit Laufen kein Geld verdienen. Vielmehr braucht man einiges für Trainingslager und Wettkampffahrten. Die Düsseldorfer unterstützen nicht nur Fußball, sondern viele Sportarten, die stemmen das, deshalb werden wir auch als Team dort bleiben."

Unterstützt wird Sebastian Reinwand auch von seinem Arbeitgeber, von dem als Triathlet wohlbekannten Dorian Wagner. In dessen Immobilienfirma verdient der Läufer als Halbtagskraft seine Brötchen – mit Homeoffice. "Diese Lösung ist ein Luxus", schätzt Reinwand seine Arbeitsbedingungen dankbar ein. Und denkt dabei auch an die Beziehung zu seinem Sohn Franz, der im November drei wird. Da scheint der Apfel nicht weit vom Stamm gefallen zu sein, wie ein stolzer Vater verrät: "Der kann nicht gehen, ich seh’ ihn nur rennen."

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