Club verliert in München und lässt Löwen leben

17.5.2015, 17:26 Uhr
Sieger im bayerischen Derby: Der TSV 1860 München sammelt ganz wichtige Zähler im Abstiegskampf und bezwingt den Club mit 2:1.

© Sportfoto Zink / DaMa Sieger im bayerischen Derby: Der TSV 1860 München sammelt ganz wichtige Zähler im Abstiegskampf und bezwingt den Club mit 2:1.

Einer der Hauptdarsteller musste erst mal duschen, warscheinlich eiskalt, um sein Gemüt zu kühlen. Dave Bulthuis hatte in der 86. Minute ein Tor geschossen, ein schönes sogar und ein sehr wichtiges. Es wäre der späte Ausgleich gewesen in München-Fröttmaning, das 2:2 für seinen 1. FC Nürnberg. Dave Bulthuis hüpfte danach kurzzeitig über den Platz und trabte anschließend wieder in die andere Hälfte. Wie seine Kollegen auch. Es waren ja noch einige Minuten auf der Uhr. Die Gastgeber vom TSV 1860 München wollten gerade den fälligen Anstoß ausführen, als die Schiedsrichter ein womöglich folgenschweres Theater aufführten.

Jochen Drees, der Chef der Combo, fing plötzlich an, lebhaft mit seinem Assistenten Christian Gittelmann zu diskutieren. Rene Weiler stand ganz in der Nähe und hörte mit, wie die beiden über einen Regelverstoß sprachen. Kurz darauf hob Jochen Drees unter dem frenetischen Jubel der Löwen-Fans den Arm – als Zeichen für eine Abseitsposition. Also 2:1 statt 2:2. Drei Punkte für die Sechziger statt nur einem, was nun gravierende Auswirkungen auf den Kampf um den Klassenverbleib hat. Sechs Vereine können nächsten Sonntag noch absteigen.

“Mein erster Gedanke“, sagte Rene Weiler, “ging an die Kollegen“, die seiner Meinung “größten Leidtragenden“ des gestrigen Skandals. Dass es ein Skandal ist, belegten die Fernsehbilder relativ eindeutig; Dave Bulthuis stand bei der Vorlage von Jakub Sylvestr nie und nimmer im Abseits, “von vielen Leuten“ hatte er das hinterher gehört, der Niederländer, ebenso, dass es der eigentlich gar nicht zuständige Linienrichter Florian Heft gewesen sei, der sich veranlasst fühlte, maßgeblich einzugreifen. Obwohl sein Blick auf die Situation ein absolut verzerrter, weil ungünstiger war. “100 Meter entfernt“, meinte Dave Bulthuis, “das war nicht die Realität.“ Auch Rene Weiler konnte es nicht fassen; irritiert habe ihn, dass das 2:2 “unglaublich spät“ annuliert worden sei, “da kommt man schon auf komische Gedanken.“

Entscheidung "leider falsch"

Wer dem Hauptschiedsrichter nun letztlich den heißen Tipp gegeben hatte, blieb zumindest gestern noch ein Geheimnis. Wenigstens stand Jochen Drees zu seinem Fehler. “Es war eine knappe Entscheidung“, sagte der erfahrene Referee bei Sky, “aber leider falsch.“ Die letzte, aber nicht die einzige gestern Nachmittag; die Unparteiischen übersahen auch ein Foul von Even Hovland an Valdet Rama im Strafraum und gaben hingegen einen Handelfmeter, auf den nicht nur Niklas Stark verzichtet hätte.

Dem jungen Nürnberger war der Ball an den Arm gesprungen, eine Absicht lag offenbar nicht vor, vielmehr wollte er zuvor einen Schubser gespürt haben, der sich via TV aber nicht nachweisen ließ. Daniel Adlung, einem gebürtigen Fürther, war das herzlich egal, er verwandelte den Strafstoß zum viel umjubelten 2:1-Endstand (72.). Der ja eigentlich 2:2 hätte lauten müssen.

Auch ein Sieg der Nürnberger wäre möglich gewesen, es sprach sogar fast alles dafür. Der spätere Pechvogel Niklas Stark hatte kurz vor der Pause per Kopf die Führung erzielt, zu einem, wie es in der Branche heißt, psychologisch günstigen Zeitpunkt. Tatsächlich hatten die “Löwen“ bis dahin nicht viel zu bestellen, der Club war die deutlich aktivere Mannschaft. Ziemlich genau bis zur 56. Minute: Einen von Daniel Adlung ausgeführten Freistoß rammte Verteidiger Guillermo Vallori mit dem Kopf über die Linie, der ansonsten zuverlässige Dave Bulthuis konnte ihn nicht mehr daran hindern.

Zuschauersaisonrekord

Zwei Standards brachten die im zweiten Durchgang etwas nachlässigen Nürnberger um den Lohn; “nicht mehr so spritzig, nicht mehr so konzentriert“ wie vor der Pause hatte auch Jan Polak seine Elf gesehen, “wir haben ihnen Räume gelassen.“ Den eigenen Angriffsvorträgen mangelte es hingegen oft an Zielstrebigkeit und Tempo; der gesperrte Guido Burgstaller fehlte seinem Club doch merklich. Also durften die meisten der 68.500 Besucher zufrieden nach Hause gehen; schon eine halbe Stunde vor dem Anstoß hatte die Zweite Liga eine unglaubliche Wucht entwickelt in der Fröttmaninger Arena. Etwa 58.000 wollten das letzte Heimspiel des TSV 1860 München in der Saison 2014/2015 sehen, über 10.000 das letzte Auswärtspiel ihres 1. FC Nürnberg. Das ergab eher nebenbei einen Zuschauerrekord für die Saison 2014/2015 und sogar einen Auswärtsfanrekord, worüber hinterher aber niemand mehr reden mochte.

Richtig genießen konnten die Sechziger ihren Erfolg nicht, dafür ist die Abstiegsgefahr nach wie vor viel zu groß. Am letzten Spieltag müssen die Münchner zum KSC, die Unterstützung wird auch im Wildparkstadion enorm sein. Der Traditionsverein erlebt turbulente Tage, die ruhmreiche Vergangenheit kann da höchstens motivieren; fast auf den Tag genau vor 50 Jahren standen die “Löwen“ in Wembley im Europapokalfinale gegen West Ham United. Am 19. Mai 1965, vor knapp 100.000 Zuschauern, Endstand 0:2.

Mit Legenden wie Radenkovic, Brunnenmeier, Grosser. Ihre Nachnachnachnachfolger brauchten gestern die Hilfe der Schiedsrichter, um, wie es ihr Trainer Torsten Fröhling auf der Pressekonferenz formulierte, “am Leben zu bleiben“. Sein Kollege versuchte da noch zu begreifen, wie es nicht zum 2:2 kommen konnte. Wer auch immer dafür verantwortlich ist, sagte Rene Weiler noch, “er muss sehr viel Phantasie haben“. Jedenfalls mehr, als der 1. FC Nürnberg gestern vertragen konnte.

TSV 1860 München: Eicher - Kagelmacher, Vallori, Schindler, Bandowski - D. Stahl (76. Bülow), Wittek - Simon (46. Wolf), Adlung, Rama - Rodri (77. Vollmann)

1. FC Nürnberg: Schäfer - Celustka, Hovland, Bulthuis, Pinola - Stark, Petrak - Kerk (75. Sylvestr), Polak (85. Nikci), Schöpf (62. Koch) - D. Blum

Tore: 0:1 Stark (45.), 1:1 Vallori (56.), 2:1 Adlung (73. Handelfmeter) | Gelbe Karten: Kagelmacher (21.), Rama (50.), Vollmann (89.) ; Blum (21.), Petrak (71.), Stark (72.), Bulthuis (87.), Hovland (90.+6) | Gelb-Rote Karten: Pinola (90.+6) Schiedsrichter: Drees, Dr. (Münster-Sarmsheim) | Zuschauer: 68.500

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