Der heutige Fußball provoziert immer mehr Verletzungen

2.1.2014, 19:23 Uhr
Der heutige Fußball provoziert immer mehr Verletzungen

© Sportfoto Zink

Oder Schambeinentzündungen – all diese vor wenigen Jahren noch wenig verbreiteten Verletzungen halten Profis, Vereine und Fans in Atem. Und dass deren Zahl in letzter Zeit drastisch gestiegen ist, ist belegt und deren Bulletins der Vereine Woche für Woche zu entnehmen.

Doch nicht nur bei den Profis ist das so: Rund zwei Millionen Sportunfälle ereignen sich alljährlich in Deutschland, fast die Hälfte beim Fußball – Tendenz steigend. Knapp sieben Millionen Bundesbürger kicken regelmäßig, und der Fußball-Weltverband FIFA hat errechnet, dass Fußballer sich in 100 Spielstunden ein- bis fünfmal verletzen.

Die Folge sind Krankschreibungen, die letztlich die Bürger über ihre Krankenkassenmitgliedschaft bezahlen. Allein 90.000 Angestellte fielen 2012 wegen Kreuzbandrissen längere Zeit aus, hat die Techniker-Krankenkasse errechnet. Doch für die interessieren sich außer den Betroffenen allenfalls ihre Arbeitgeber, ihre Amateurklubs und vielleicht noch die Angehörigen. Wehe aber, ein Holger Badstuber bei Bayern München, ein Neven Subotic in Dortmund oder ein Nikola Djurdjic in Fürth fallen mit einem Kreuzbandriss plötzlich über Monate aus.

Immer schwerere Verletzungen

Leonard Fraunberger ist Facharzt für Sportmedizin, Innere Medizin und Kardiologie am Institut für Sportwissenschaft und Sport der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und betreut dort die Fußball-Profis der SpVgg Greuther Fürth und die Zweitliga-Handballer des HC Erlangen. Er weiß also, wovon er redet. Und auf Grund seiner Erfahrung widerspricht er der These nicht, dass es gerade im Profi-Fußball immer mehr und immer schwerer lädierte Akteure gibt. „Verletzungen gerade im Fußball als Kontaktsportart sind natürlich sehr häufig. Wir hatten immer schon Knie-, Bänder-, Sprunggelenk-, und sonstige Verletzungen. Was man sehen muss: Die Spielhäufigkeit, Spieldichte, Geschwindigkeit und Intensität nehmen exorbitant zu.“ Und damit die Zahl von Blessuren und deren Schwere.

„Durch das Videoanalyseverfahren wissen wir, dass die Durchschnitts- wie die Spitzengeschwindigkeiten jedes Spielers steigen, und das in allen Mannschaftsbereichen“, hat er beobachtet. Im Schnitt läuft jeder Fußballer pro Spiel über zehn Kilometer und mehr: „Wenn wir die Durchschnittswerte der Mannschaft von Greuther Fürth nehmen, kommen wir in jedem Spiel auf über 120 Kilometer inklusive Torwart“, sagt Fraunberger. Das belaste nicht nur die Muskulatur deutlich mehr, sondern ebenso Knochen, Knorpel, Sehnen und Bänder.

Im Training würden Sprung- und Schnellkraft intensivst geschult, um sie zu verbessern. Es gehöre zum heutigen Offensivfußball, mit hoher Geschwindigkeit zu spielen, „mit hohen Beschleunigungen – dazu gehört natürlich auch das Abbremsen“. Was den Körper enorm belaste und häufig die Leistungsfähigkeit von Knochen, Muskeln und Bändern überfordere.

Ähnlich formuliert es Hape Meier: „Das Ganze läuft heute sehr viel schneller ab, ein Franz Beckenbauer hätte nie mit der Geschwindigkeit eines Franck Ribéry oder eines Arjen Robben mithalten können, auch nicht mit deren Athletik“, sagt der erfahrene Physiotherapeut, der im Reha-Zentrum Valznerweiher Verletzte des 1.FC Nürnberg und der Ice Tigers wieder fit macht. „Auch in der Verteidigungssituation geht es sehr viel härter zur Sache, schon beim Annehmen des Balls. Früher haben die Spieler gestoppt, geschaut und weitergepasst. Die Zeit hat man heute nicht mehr. Da geht es um Sekundenbruchteile – kommt der Verteidiger einen Tick zu spät, ist es ein Foul, ist das Bein ab – das schaut schon oft brutal aus, vor allem in der Zeitlupe“, erinnert Meier an den unglücklichen wie folgenschweren Zusammenprall des Augsburger Torwarts Marwin Hitz mit Bayern-Stürmer Robben.

Der Tempofußball verschleißt seine Kinder

Der Tempofußball verschleißt seine Kinder früher, zumal die Hochleistungsfußballer in sehr viel jüngeren Jahren beginnen. 15-, 16-Jährige in den Nachwuchs-Leistungszentren der Profiklubs trainieren heute so viel wie vor 20 Jahre gestandene Profis.

Eine noch dosiertere, individualisierte Belastung im Training und vor allem genügend und angepasste Regeneration fordert der Mediziner Fraunberger, um Verletzungen und zu frühem Verschleiß vorzubeugen. Auch und vor allem im Nachwuchsbereich. „In der Betreuung setzen wir für jeden einzelnen Spieler eigene Belastungsbereiche fest und scheren nicht mehr alle über einen Mannschaftskamm. Und dann ist die Rückkopplung zwischen Spieler, Trainer, Physiotherapeut und Arzt enorm wichtig“, sagt Fraunberger.

Hape Meier sieht noch einen weiteren Grund für die steigende Zahl von Verletzungen: „Die Diagnostik ist sehr viel besser geworden. Jeder wird sofort durch den Kernspin geschoben.“ Und dann, findet Meier, wird „definitiv zu viel operiert“. Bei Sportverletzungen ebenso wie bei den Bandscheiben von Otto Normalpatient.

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