Kurden-Verein Amedspor kämpft um Normalität in der Türkei

5.2.2019, 17:14 Uhr
Im Schnitt besuchen 15.000 Menschen die Heimspiele von Amedspor - trotz der Begleitumstände.

© Sisko Patates Im Schnitt besuchen 15.000 Menschen die Heimspiele von Amedspor - trotz der Begleitumstände.

Am Ende des Gesprächs sollen Rizgar und Vedat dann noch beschreiben, wie sie sich ihre Zukunft als Fußballfans in ihren Träumen vorstellen. "Das klingt jetzt vielleicht komisch", sagt Rizgar, "die meisten Anhänger träumen wahrscheinlich davon, dass ihr Verein in der höchsten Liga und um Titel spielt. Aber ich, ich träume einfach nur davon, dass er in einem friedlichen Land spielt." Und Vedat ergänzt: "Mein größter Wunsch ist Normalität."

Von Normalität ist das Leben als Fußballfan von Rizgar und Vedat weit entfernt. Eigentlich trifft das aber fast auf alle ihrer Lebensbereiche zu. Das beginnt schon damit, dass sie sich nach einer intensiven Diskussion darauf einigen, dass ihre Nachnamen besser nicht in der Zeitung stehen. Einerseits sind sie stolz darauf, darüber zu berichten, in welchem Klima ihr Fußballverein zu Hause ums Überleben kämpft. Andererseits könnte ihnen jeder noch so harmlos klingende Halbsatz in der Türkei Probleme bereiten.


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Eine Woche lang waren Rizgar, 29 Jahre, und Vedat, 24, in Deutschland unterwegs, um zu berichten, wie es ist, Anhänger des kurdischen Klubs Amedspor zu sein. Auf Einladung von Fans in Bremen, Dortmund, Babelsberg, Leipzig, Hamburg und Nürnberg haben sie in den Städten immer wieder ihre Geschichte erzählt, haben Stadienführungen gemacht, sind in die deutsche Kultur eingetaucht oder haben in Nürnberg das Reichsparteitagsgelände besucht. Und natürlich sind sie zum Fußball gegangen. Werder Bremen gegen Eintracht Frankfurt. "Ich habe im Stadion so etwas wie Freiheit gefühlt", sagt Rizgar und lächelt zum ersten und einzigen Mal während des Gesprächs. "Dort war eine Gastfreundschaft, wie ich sie im eigenen Land nicht erlebe."

Ebenfalls mehr als ein Klub

Das eigene Land ist die Türkei, in der die Regierung derzeit viel dafür tut, dass sich Menschen wie Rizgar oder Vedat nicht wohl fühlen. Sie stammen aus Diyarbakir aus dem Osten des Landes, rund eine Million Einwohner leben dort, die meisten davon sind Kurden. In ihrer Sprache heißt die Stadt Amed, sie ist so etwas wie die inoffizielle kurdische Hauptstadt und 2014, in einer Phase der Entspannung zwischen Regierung und kurdischer Minderheit, durfte sich der beste Fußballverein der Stadt umbenennen. In der Region sorgte das für einen riesigen Popularitätsschub. Zuvor konnten Fans lediglich Vereine unterstützen, die von türkischen Geschäftsmännern gelenkt wurden, erzählt Vedat, "und plötzlich", fährt Rizgar fort, "gibt es einen Verein, der irgendwie auch ein ganzes Volk repräsentiert; ein Volk, das unterdrückt wird."

Mehr als ein Klub. So lautet der Slogan des FC Barcelona, auf Amedspor trifft das ebenfalls zu. Die Entscheidungen werden zu großen Teilen basisdemokratisch getroffen, dass es für Frauen und Menschen mit Behinderung Angebote gibt, ist ihnen wichtig, die Fans sitzen auch in Syrien, im Irak, eigentlich überall, wo Kurden leben. Zu den Heimspielen kommen im Schnitt 15.000 Zuschauer, bei einigen Spielen waren es aber auch schon weit über 30.000. In der dritten Liga.

Bis zur Umbenennung und Umstrukturierung des Vereins waren kurdische Organisationen in der Türkei fast immer automatisch politische Organisationen – und deshalb fast immer auch verboten. Amedspor bildet da eine Ausnahme, wobei man den Satz wohl besser in der Vergangenheit formuliert.

Natürlich ist es auch dem Verein nicht gelungen, unpolitisch zu bleiben, was am hohen Identifikationspotenzial unter den Kurden liegt. Der Verein ist deshalb schnell zur Zielscheibe von Nationalisten geworden. Seit 2015, seit der letzten Offensive des türkischen Militärs gegen Mitglieder der PKK, der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei, haben die Spannungen zugenommen. Immer wieder gibt es Übergriffe von gegnerischen Fans, vor allem aber auch von der Polizei. Tritt Amedspor auswärts an, werden die Fußballer regelmäßig mit rassistischen Liedern empfangen, die Funktionäre werden auf der Haupttribüne beleidigt und körperlich angegangen, im vergangenen Oktober wurde die Mannschaft in Sakarya sogar in der Kabine angegriffen. Dass sie mit Steinen oder Feuerzeugen beworfen werden, sei Alltag, sagt Vedat.

Rassismus, Steine, Feuerzeuge

Der Verband sanktioniert solche Vorfälle gar nicht oder nur sehr zögerlich. "Er will ein Klima schaffen, das es uns schwer macht", findet Vedat. Und er messe oft mit zweierlei Maß. Für politische Gesänge der Amedspor-Anhänger verhängte der Verband eine Strafe von 150.000 Euro, zu dem Zeitpunkt entsprach das der Hälfte des Etats. Seit drei Jahren dürfen die Fans kein Auswärtsspiel mehr besuchen, vor wenigen Wochen wurde ihnen mal wieder eine Zaunfahne verboten. "Hoffnung des Volkes" stand darauf.

Wie lange die Fußballer von Amedspor noch für Hoffnung sorgen dürfen, das ist die Frage. "Die finanzielle Situation ist sehr schlecht", sagt Rizgar. Der Verein wurde in der Vergangenheit maßgeblich von der Stadtverwaltung unterstützt, seitdem die Regierung Erdogan dort aber regierungstreue Beamte eingesetzt hat, fließen keine Gelder mehr. Nur unter der Bedingung, wieder den Namen zu ändern und von der Verwaltung vorgeschlagene Personen in den Vorstand aufzunehmen, gäbe es wieder finanzielle Unterstützung.

Der Engpass macht sich natürlich bemerkbar. Spieler von der Qualität eines Deniz Naki, der drei Jahre lang für Amedspor spielte und zuvor Profi beim FC Sankt Pauli und dem SC Paderborn war, können sie aktuell nicht bezahlen. Auf türkische Spieler, die sich dem Verein anschließen wollen, wird Druck ausgeübt, so mancher hat seine Unterschrift deshalb wieder zurückgezogen. Dass die staatliche Politik im Sport fortgesetzt wird, macht sich bemerkbar.

Der Tabellenplatz ist Rizgar und Vedat aber auch gar nicht so wichtig. Sie wären einfach gerne ganz normale Fußballfans, so wie die in Deutschland, die sie nun kennengelernt haben. "Ich möchte", sagt Vedat, "dass wir zum Fußball gehen können, ohne Angst haben zu müssen."

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