Mit Moral und Misidjan: So punktete der Club in Bremen

17.9.2018, 13:40 Uhr
Brachte im Weserstadion noch einmal frischen Wind in Nürnbergs Offensivabteilung: Torschütze Virgil Misidjan.

© Sportfoto Zink / DaMa Brachte im Weserstadion noch einmal frischen Wind in Nürnbergs Offensivabteilung: Torschütze Virgil Misidjan.

Noch einmal probiert es Nürnberg. Zwei der drei für die Nachspielzeit angezeigten Minuten sind in ihr gleich abgelaufen. Mikael Ishak behauptet sich im Luftkampf, verlängert nach Margreitters langem Schlag den Ball zu Hanno Behrens, der Club-Kapitän das Leder im Fallen zu Virgil Misidjan.

Fast das 2:1! 

Und der nach rund einer Stunde eingewechselte Neu-Nürnberger aus den Niederlanden? Der Mann, der in den 30 Minuten zuvor bereits gezeigt hat, dass er den FCN mit seinem Tempo nach vorne bringen kann? Der ist ist halblinks im Bremer Strafraum im entscheidenden Moment blank, schaut kurz hoch und platziert die Kugel kernig im kurzen Eck! Misidjans ebenso überlegte wie entschlossene Präzisionsarbeit ist der Abschluss. Der gesamte Spielzug ist indes einer, für den beide Adjektive genauso gelten. Der Club gleicht, wie Vorlagengeber Behrens später bestätigen wird, durch eine für solche Notsituationen einstudierte Variante in Bremen aus. Kurz darauf, Yuya Kubo lässt mit seinem zu kraftlosen Versuch gar noch die Siegchance aus, ist Schluss - und der Bundesliga-Rückkehrer um einen Punkt reicher.

 Der Zähler, über den sich der FCN freut, wird als ebenso glücklich wie verdient aufs Club-Konto gebuchter in Erinnerung bleiben. Auflösen lässt sich dieser scheinbare Widerspruch mit Blick auf Statistik und Spielverlauf. Und mit Blick auf die Tugenden, mit denen Nürnberg das zweite Mal in dieser Saison punktet. In der Anfangsphase zeigt sich die Köllner-Crew im Abwehrverbund gut sortiert, was auch erforderlich ist, da Werder vom Anpfiff weg den Weg nach vorne sucht, den Ball im Vorwärtsgang flott zirkulieren lässt oder durch Eggestein, Gebre Selassie oder Max Kruse energisch Richtung Club-Gehäuse treibt.

Margreitter muss ran  

Die Vorteile, die sich spielstarke und präsente Bremer in der ersten halben Stunde erobern, werden bei Abpfiff in einem statistischen Plus bei Ballbesitz (56:44) und gespielten Pässen (532:401) münden. In der Partie selbst münden die konsequent, flott und gefällig vorgetragen Werder-Angriffe nach einer Viertelstunde auch in Chancen: Georg Margreitter muss im Anschluss gleich zweimal in höchster Not klären. Der Vorzeigeverteidiger aus Vorarlberg lenkt sowohl Kruses als auch Martin Harniks Schuss ins Toraus ab und beschwert sich nach seiner zweiten außerordentlichen Rettungstat zurecht, dass sein Club zunehmend den Zugriff im defensiven Mittelfeld verliert und die Bremer Angriffswellen somit ungestörter Richtung tiefstehende Abwehrkette und FCN-Gehäuse branden.

Und Werder baut seine Druck- und Drohkulisse weiter auf. Für Florian Kohfeldt, den Coach der Grün-Weißen, ist die erste halbe Stunde - wie er auf der PK dann auch sagen wird - ziemlich nah dran, an dem, was sich der SVW vorgenommen hat in den Sachen Torchancen, Spielkontrolle und Pressing-Verhalten und führt beinahe zwangsläufig zur Werder-Führung. Ishak und Behrens, der mit 11,68 zurückgelegten Kilometern laufstärkste und mit 93 Prozent angekommenen Zuspielen passsicherste Nürnberger an diesem Nachmittag, erobern den Ball von Davy Klaassen nicht. Der steckt durch auf Maximilian Eggestein, der die Kugel - vom die Außenbahn absichernden Tim Leibold nicht und von Ondrej Petrak zu spät attackiert - aus 16 Metern in den Club-Kasten knallt. Daran, dass der daraus resultierende Zwischenstand für die Hausherren verdient ist, besteht kaum ein Zweifel. Im Offensivbereich agiert der FCN zu zaghaft und im letzten Drittel nicht durchschlagskräftig genug. Einige Ecken, die mitunter für grün-weiße Verwirrung sorgen und am Ende ein Club-Plus bei den Hereingaben vom Viertelkreis bedeuten (7:4) werden, ändern an dieser Wahrnehmung ebenso wenig wie der Auftritt von Matheus Pereira, der seine Ballgewandtheit mehrmals, besonders aber bei einem herrlichen Sololauf, im ersten Durchgang aufblitzen lässt.

Für Pereira übernimmt nach einer Stunde Virgil Misidjan, Nürnbergs zweiter Last-Minute-Neuzugang. Der Hochgeschwindigkeitsfußballer aus Holland findet sich da bereits in einem Team wieder, das mehr nach vorne investieren muss und das auch tut. Werder ist vom Gaspedal gestiegen und in den Verwaltungsmodus übergegangen. Gewarnt ist der Club gleichwohl: Seine nun couragierten Angriffsanstrengungen dürfen nicht auf Kosten einer neu zu gewinnenden defensiven Stabilität gehen. Das Köllner-Kollektiv schafft den Balanceakt, kämpft, rennt und greift gegen zusehends passivere Bremer mutig an. Den Ausgleich bejubelt der FCN bereits kurz vor Misidjans Einwechslung. Ein erstes Mal. Für ein paar Minuten. Bei Ishaks Hereingabe, in deren Folge Petrak den Ball über die Linie stochert, steht der Stürmer im Abseits, was angesichts der längeren Sequenz vor dem Tor und der großen Nürnberger Freude erst jedoch nach dem Studium der Video-Bilder auch dem Schiedsrichter ins Bewusstsein rückt.

Trainerlob von beiden Seiten 

Dass das Tor zurückgenommen wird, erweist sich aber nicht als Schlag ins Club-Kontor, sondern treibt die Franken vielmehr an. "Da ziehe ich den Hut vor meiner Mannschaft, dass sie trotzdem mutig geblieben ist und Chancen herausgespielt hat“, sagt ein darüber hocherfreuter Michael-Köllner nach dem Finale furioso. Der von ihm trainierte Altmeister nähert sich dem Ausgleich in diesem weiter an. Gelegenheiten von Ishak und Löwen - der gekonnte Versuch des eingewechselten Krafpakets verfehlt die Werder-Kiste nur knapp – sorgen dafür, dass bei Torschüssen bei Spielende elf Nürnberger Abschlüsse notiert werden (Werder 14). "Mir gefällt es, dass die couragierten Nürnberger es spielerisch probieren", wird Bremens Coach auf der Pressekonferenz dem Club danach ins Arbeitszeugnis drucken. Und mit dem Kompliment versehen, dass der FCN bis zum Ende an den Ausgleich geglaubt habe. 

Auch in der Nachspielzeit ist dieser Glaube da. Als Margreitter den Ball weit nach vorne schlägt und Virgil Misidjan dem Club entschlossen einen Punkt in Bremen sichert. Einen Punkt, den sich der FCN verdient hat – mit etwas Matchglück und viel Moral. 

 

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