Profi-Radsport: Leidenschaft mit Schattenseiten

25.12.2013, 15:15 Uhr
Profi-Radsport: Leidenschaft mit Schattenseiten

© Roland Fengler

Ja, Grischa Janorschke mag seinen Beruf — immer noch. Janorschke ist Radprofi, und allein dieser Begriff löst ja schon allerlei Assoziationen aus. Für die einen sind Radprofis die Könige der Ausdauersportler, für die anderen die Könige der Betrüger — und für manche auch beides. Außer Frage steht indes, dass es im Bereich des professionellen Sports viele Betätigungen gibt, die deutlich besser honoriert werden, aber nicht viele, in dem die Anforderungen so enorm sind.

Allein auf 120 Tage summieren sich die Renneinsätze, bei denen der in Nürnberg lebende Janorschke in diesem Jahr unterwegs war. Zählt man die Tage hinzu, die er noch im Trainingslager verbrachte, ist man schon bei fast einem halben Jahr. Zwischen 25.000 und 30.000 Kilometer sitzt Janorschke pro Jahr im Rennsattel — bei Sonnenschein, bei brütender Hitze, bei Regen oder bei beißender Kälte. „Das ist eben so“, sagt er, „ohne diesen Aufwand kommt man in unserem Sport nicht vorwärts.“

Vierter Schlüsselbeinbruch

Janorschke, der aus Altenkunstadt stammt, und 1997, als Jan Ullrich als erster Deutscher die Tour de France gewann, beschloss, Radrennfahrer zu werden, betreibt diesen Aufwand nun schon seit Jahren — und wartet darauf, dass er endlich vorwärtskommt, finanziell gesehen. Im Moment, das weiß er, ist eher das Gegenteil der Fall. Der Herbst war für ihn unerfreulich. Nach einem guten Saisonauftakt mit dem Gewinn des Sprinttrikots bei der Bayern-Rundfahrt, erwischte es ihn im September mal wieder: Sturz und schon zum vierten Mal innerhalb von zwei Jahren das Schlüsselbein gebrochen. Das folgende Prozedere kennt er schon in- und auswendig. Operation im Südklinikum, zur Stabilisierung des Knochens wird eine Platte eingesetzt, die später bei einer erneuten Operation wieder entfernt werden muss. „Im Südklinikum bin ich ziemlich bekannt“, sagt er schmunzelnd. Aber unterkriegen lässte er sich von so etwas nicht.

Ende September erfährt er dann, dass der Dortmunder Nutrixxion-Rennstall, für den er mit zwei anderen Nürnbergern — Holger Burkhardt und Sebastian Körber — unterwegs war, am Jahresende dichtmacht. Es ist das nun schon alte Klagelied des einst so blühenden deutschen Profi-Radsports. Sponsoren springen ab, weil es in Deutschland inzwischen viel zu wenige Rennen gibt, die als Plattform für Werbung dienen können. Zwar gondeln selbst die zweit- und drittklassigen Rennställe durch die ganze Welt, aber was hat eine Firma davon, die sich mit ihren Produkten an deutsche Kunden wendet, wenn die Rennfahrer ihre Trikots in Asien zeigen? Nichts.

Janorschke geht also wieder mal auf Arbeits-, sprich Rennstallsuche. Er kennt das ja. 2009 fuhr er für Milram, 2011 schon einmal für Nutrixxion, 2012 dann der Aufstieg ins deutsche Pro-Continental-Team NetApp, das ihn aber am Saisonende ziemlich unfreundlich wieder auf die Straße setzte. 2013 die Rückkehr zu Nutrixxion und nun geht’s 2014 zum Team Vorarlberg nach Österreich. Bei so viel Fluktuation unter den Teams kann es schon mal sein, dass sich 150 Fahrer für zwölf Plätze bewerben; dass man da finanzielle Bedingungen als Jahressalär abnicken muss, die ein halbwegs bekannter Fußballer nicht einmal für eine Autogrammstunde akzeptieren würde, ist die unschöne Folge solcher Verhältnisse.

Janorschke weiß, dass junge Radsportler, die in ein halbwegs professionelles Team wollen, rund 3000 Euro pro Jahr erhalten, dafür aber umgehend 3000 Euro Beteiligung fürs Radmaterial berappen müssen. Sie fahren also umsonst. Nachdem er bei NetApp noch die von der UCI garantierten 41.000 Euro — brutto und im Status eines Selbstständigen — für eine Mannschaft der Kategorie Pro-Continental bekommen hatte, muss er nun ein Gehalt unter 10.000 Euro akzeptieren — im Jahr.

„Ich bin jetzt an einem Punkt, an dem sich das finanziell nicht mehr trägt“, sagt der Nürnberger, der in seiner Ausbildung als Groß- und Einzelhandelskaufmann ganz gut rechnen gelernt hat. Außerdem absolviert er seit 2009 ein Fernstudium an der Hochschule Ansbach im Fach „Internationales Management“ und steht kurz vor dem Abschluss. Damit er im nächsten Jahr halbwegs über die Runden kommt, arbeitet er im Vertrieb von Nutrixxion, einem Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln. Immerhin hat ihm der bisherige Hauptsponsor des aufgelösten Rennstalls diese Tür noch geöffnet.

Und warum macht man das? „Sie brauchen mir die Frage gar nicht zu stellen. Die stelle ich mir selber auch, genauso wie meine Eltern und meine Freundin“, sagt Janorschke. Trotzdem: Warum macht er das? „Radsport“, sagt der 26-Jährige, „ist eben ein Sport mit Suchtpotenzial“; es sei mehr eine Lebenseinstellung als ein Beruf. „Wenn man das aus monetären Gründen machen würde, würde man früh scheitern“, weiß er, denn gerade als Jungprofi hat man bei minimalem Verdienst sportlich kaum Erfolgserlebnisse. Als Wasserträger soll man schuften, nicht glänzen.

Der Traum von der Tour

Aber auf das Niveau, um in international besetzten Rennen überhaupt mithalten zu können, kommt man nur mit vielen Jahren Aufbauarbeit. „Das ist“, sagt Janorschke, „ein langer Prozess, in dem man den Körper mit Zigtausenden Kilometern an die hohen Anforderungen gewöhnt.“ Und diese Basis will er jetzt einfach noch nicht aufgeben. Außerdem: „Normal arbeiten“ könne er auch in zwei oder in fünf Jahren noch. Janorschke hat da, auch gesegnet mit einer recht entspannten Lebenseinstellung, keine Torschlusspanik.

Den Traum, noch den Sprung in ein bekanntes Team zu schaffen, um bei einer der großen Rundfahrten zu starten, den hat er fest im Hinterkopf. „Es kann schon noch was kommen“, sagt er, weil Optimismus in seiner Situation einfach zwingend ist. Sonst müsste er aus dem Sattel steigen und das Rennrad in die Ecke stellen — jedenfalls als Arbeitsgerät. Aber vorher will Grischa Janorschke noch hart weiterarbeiten. Bei Sonnenschein, Hitze, Kälte und Regen. Denn er mag seinen Beruf.

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