Schäfers Kritik am Club: Mutig oder schicksalsergeben?

30.1.2019, 05:49 Uhr
In der Saison 2016/17 noch Spieler und Trainer: Raphael Schäfer und Michael Köllner.

© Sportfoto Zink / DaMa In der Saison 2016/17 noch Spieler und Trainer: Raphael Schäfer und Michael Köllner.

Er war ein unbequemer Profi, aber auch einer, der im Zweifelsfall den ganzen Laden zusammenhielt, ein starker Kapitän und einer der prägenden Spieler des Vereins. Er sollte es bleiben nach der Profilaufbahn, und seine Meinung blieb gefragt. Als er die jetzt äußerte, bedeutete es einen mittelschweren Eklat, sein Verein erteilte ihm eine Art Hausverbot. Sein Stammplatz auf der Ehrentribüne, teilten sie ihm mit, werde künftig anderweitig besetzt.

Die Rede ist, natürlich, von Paul Breitner und dem FC Bayern München, auch außerhalb der Plattformen für Empörungsrituale löste die Causa Verwunderung aus. Breitner hatte gesagt, was viele sagten: dass jene Pressekonferenz des FC Bayern, die via Verweis auf das Grundgesetz und die Menschenwürde der Medienschelte diente, etwas bizarr geraten sei, darüber konnte man ja diskutieren. Oder auch nicht.

Aber der FC Bayern steckte gerade in einer mittelschweren Krise, möglicherweise werden die Münchner deshalb jetzt nicht zum siebten Mal hintereinander deutscher Meister, sondern vielleicht bloß Zweiter, und in Krisenzeiten zählt alles - ganz besonders das Wort derer, zu deren Zeiten alles angeblich viel besser ausgesehen hatte. Je größer die Krise, desto schwerer das Gewicht der Vergangenheit.

Beim 1. FC Nürnberg ist das schon deshalb regelmäßig so, weil die Vergangenheit seit einem halben Jahrhundert tonnenschwer ist und Krisen, wenn auch weitaus weniger luxuriöse als in München, seit ebenfalls einem halben Jahrhundert der Normalzustand sind. Ein einziges Mal hat der 1. FC Nürnberg in diesem halben Jahrhundert etwas gewonnen - 2007 mit einem starken Kapitän, der ein unbequemer Profi war, aber auch einer, der im Zweifelsfall den ganzen Laden zusammenhielt und der einer der prägenden Spieler des Vereins ist.

 

Um einen Platz auf der Ehrentribüne muss Raphael Schäfer jetzt nicht bangen. Wenn er seinem (Ex-)Club zuschaut - selten im Stadion, er hat drei Töchter -, kauft er sich eine Eintrittskarte. Auch Schäfer ist jetzt nach seiner Meinung gefragt worden, er äußerte sie gegenüber Sky, dann im Bayerischen Fernsehen, zuletzt gegenüber Bild. Zusammengefasst sagte er, Trainer Michael Köllner müsse "eine Spielphilosophie entwickeln, die zur Mannschaft passt", äußerte aber Zweifel daran, dass es gelingen könnte und dachte deshalb auch darüber nach, was ein Trainerwechsel bewirken würde.

Unterschiedliche Reaktionen auf Schäfer

"Wenn ein neuer Trainer kommt, verändern sich die Abläufe", überlegte er also, "womöglich steigern sich die Chancen auf den Klassenerhalt." Damit hatte Schäfer auch bloß gesagt, was andere ebenfalls sagen, solche Debatten haben schon immer zum Fußball gehört, sie sind legitim, oft sogar notwendig. Nur ist man beim Fußball fast immer erst hinterher klüger - und glaubt dann zu wissen, ob ein Kurs richtig war oder falsch, kurz: ob, einem geflügelten Wort zufolge, der Club ein Depp war oder nicht.

Dieser Club versucht sich gerade an etwas völlig Neuem, der Trainer Köllner, der im Sommer ein gefeierter Aufstiegs-Held war, soll nicht zum gefeuerten Abstiegs-Deppen gemacht werden; trotz der sportlichen Krise - 13 sieglose Bundesligaspiele, Rang 18 - macht der Verein einen ungewohnt unaufgeregten Eindruck. Manche finden das gut und vernünftig, manche realitätsfern und fahrlässig, manche wissen schlicht nicht, was sie davon halten sollen. Auch deshalb macht jede prominente Meinung Schlagzeilen. Krisen brauchen Gesichter.

Das Echo auf Schäfers Gedanken fällt (auch auf den Plattformen für Empörungsrituale) unterschiedlich aus, irgendwie unentschieden - so wie die Antworten auf die Frage, ob man bei einem perspektivischen Neuaufbau einen Abstieg einkalkulieren darf oder unbedingt, um jeden Preis, zu vermeiden versuchen muss - mit, darauf bezieht sich Schäfer auch, zum Beispiel neuen Impulsen. Für beide Sichtweisen gibt es Argumente. Der Verein hat Schäfers Äußerungen nicht goutiert, aber auch nicht öffentlich kommentiert, beide Seiten verbindet nicht mehr viel, seit Schäfer, der seine aktive Karriere noch mit dem Trainer Köllner beendete, seinen Posten als Torwartkoordinator kündigte. Wieder einmal hatten der Club und ein verdienter Ex-Fußballer nicht zusammengefunden, wieder einmal löste das Verwunderung aus - und wieder einmal fiel auf, dass das ebenfalls seit einem halben Jahrhundert so ist.

Wer sich anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums des bisher letzten Meistertitels im Sommer 2018 mit den alten Meisterspielern unterhielt, hörte, wie viele von ihnen ihrem Club gerne verbunden geblieben wären - und wie wenig das auf Gegenliebe stieß. Später waren es Profis wie Tomas Galasek, der Stratege der Pokalsieger von 2007, die sich vergebens um einen solchen Auftrag bewarben. Die kurze Zusammenarbeit mit Pokalsieger Andreas Wolf endete nach dessen Profilaufbahn abrupt, zuletzt wunderte sich der langjährige Publikumsliebling Javier Pinola, welch kalte Schulter ihm sein Lieblingsverein zeigte.

Marek Mintal bleibt im Club

Ähnlich erlebt(e) man es bei anderen Traditionsvereinen - in einer Zeit, in der der Fußball von Management-Strategen geführt und moderner wird, wissenschaftlicher, in der nicht mehr primär Ex-Profis als Trainer renommieren, sondern fußball-akademisch ausgebildete junge Männer. Konzeption vor Emotion, bis hinein in die Ausbildung: Ex-Nationalspieler Mehmet Scholl stand im Mittelpunkt dieser Debatte, als er die "Laptop-Trainer" als "weichgespülte Masse" verspottete.

Auch dieser Aspekt gehört dazu, der Fußball verändert sich gerade massiv, und die angebliche Krise bei Bayern München machen Kritiker daran fest, dass dieser Verein weiter hochdekorierten ergrauten Fußball-Veteranen geführt wird - was lange als seine größte Stärke galt. In Nürnberg war es der erfolgreiche Trainer René Weiler, der eine vermeintliche Rückwärtsgewandtheit des Clubs konstatierte; der Aufbruch mit Michael Köllner stand für das Gegenteil, belebte den damals irgendwie unentschiedenen, erstarrt wirkenden Verein - und trägt nun doch nicht weiter? Oder führt sogar zurück in eine Art Schicksalsergebenheit angesichts der tatsächlich gewaltigen Größe der Mission?

Das bleiben leider die Fragen, sie zweifelsfrei beantworten zu wollen, könnte anmaßend geraten. Man darf sicher sein, dass Raphael Schäfer sich aufrecht sorgt um seinen Verein - und dass das alle in diesem Club, Michael Köllner insbesondere, auch tun, darunter ein besonderer Ex-Profi. Der konnte und kann ebenfalls unbequem sein, soll aber weiter - so steht es auf der Internetseite des Clubs - Impulse setzen. Am Dienstag verlängerte Marek Mintal seinen Vertrag als Trainer im Nachwuchsleistungszentrum

 

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