Ultras oder Fußball-Funktionäre: Wem gehört der Club?

5.5.2017, 23:35 Uhr
Ultras oder Fußball-Funktionäre: Wem gehört der Club?

© Zink

Kein Schalalala, nirgends. Es war still am Samstag in der Nordkurve, da wo die Ultras stehen. Die größte Fan-Vereinigung rund um den 1. FC Nürnberg ist beleidigt mit dem Verein, fühlt sich nicht wertgeschätzt, missverstanden und reagiert mit einem sogenannten Stimmungs-Boykott. Es war allerdings auch im Rest der Nordkurve still, da, wo niemand boykottiert, weshalb man nur die hörte, die in der Südkurve standen: Stuttgarter Fans, die sich wenig darum scherten, warum da keiner singt auf Nürnberger Seite.

In Nürnberg ist das anders, da diskutieren spätestens seit dem Samstag alle darüber, warum da keiner gesungen hat. Den Ultras, denen man seit Jahren vorwirft, dass sie mit ihrem Schalalala-Singsang das Stadion einschläfern, wird nun der Vorwurf gemacht, dass sie nicht mehr singen. Und zwar von denen, die es ohne Ultras nicht mehr selbst schaffen zu singen. Ein Generationenkonflikt wurde - wagemutig, aber in der Sache falsch - schon konstatiert, die Frontlinie verläuft demnach zwischen bratwurstessenden Alten hier, und unangepasster Jugend dort. Eigentlich schmeichelt das sogar den Ultras, weil viele von ihnen altersmäßig längst eher bei den Bratwurstessern angekommen sind, als noch unangepasste Jugendliche sein zu dürfen. Falsch ist es trotzdem.

Dass nämlich Alt und Jung, Dick und Dünn, Dumm und Klug sich sehr gut verstehen in der Fankurve, sieht man immer dann, wenn der Erfolg da ist. Vor etwas mehr als einem Jahr feierten 15.000 Nürnberger einen 1:0-Auswärtssieg in München. Nach dem verlorenen Relegationsrückspiel gegen Eintracht Frankfurt übten 40.000 Zuschauer im Frankenstadion auf eindrucksvolle Weise den Zusammenhalt. Es ist gelungen, leicht sogar, gemeinsam und mit den Liedern der Ultras. Keine Konflikte zwischen Bratwurstessern und der unangepassten Jugend, nirgends.

Jetzt ist der Club von der Bundesliga so weit entfernt wie lange nicht mehr. Konflikte gibt es ausreichend, der zwischen den Fans ist der, den man vernachlässigen kann, weil in ihm eigentlich nur die Enttäuschung über das sportliche Abschneiden ein Ventil findet. In sportlich erfolgreichen Zeiten ist den meisten Stadionbesuchern egal, was die Ultras treiben.

Es geht um den modernen Fußball

Viel interessanter ist die Frage, wie es wieder erfolgreich wird: das Unternehmen 1. FC Nürnberg. Das ist der eigentliche Streit, der ausgetragen wird, es geht um die Frage, wem dieser Club gehört? Es geht mal wieder um den modernen Fußball und seine Begleiterscheinungen. Es geht um die Ultras auf der einen Seite - wenn man diese Gruppe überhaupt pauschal als eine sehen darf -, und die modernen Fußball-Funktionäre auf der anderen Seite - zuvorderst in diesem Fall, aber nicht nur: Michael Meeske, der Finanzvorstand des 1. FC Nürnberg, dessen ureigenste Aufgabe es ist, dem 1. FC Nürnberg Geld zu verschaffen.

Dass es Geld braucht im modernen Fußball, das wissen die, die sich als Ultras bezeichnen, natürlich auch. Sie sind ja selbst eine Begleiterscheinung des modernen Fußballs, auch wenn sie das wahrscheinlich selbst nicht von sich sagen und auch nicht gerne von sich hören. Aber dazu, dass der Fußball zu Beginn der 1990er Jahre plötzlich schick wurde in Deutschland, dazu hat auch diese ehemalige Jugendkultur beigetragen, deren Dresscode bald alltagstauglich geworden war.

Zum Fußball zu gehen bedeutete auch dank der Ultras bald nicht mehr, eine Veranstaltung zu besuchen, bei der die Stimmung auf den Tribünen im besten Fall Ballermann-Niveau erreichte, im schlechtesten - und fast häufigeren - Fall einfach nur dumpf war. Ultras hatten neue Lieder, Ideen, malten schöne Bilder und ließen in Nürnberg - das muss man immer wieder betonen, auch wenn es längst Allgemeinplatz ist - die Nazi-Gesänge im Stadion verstummen.

Ultras oder Fußball-Funktionäre: Wem gehört der Club?

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Für den Verein waren die Ultras ein Glücksfall, weil sie auch dafür verantwortlich waren, dass der Fußball schicker und schicker wurde. Gleichzeitig wurden die Ultras größer und größer, entwickelten bald eine Vorstellung davon, dass sie als organisierte Gruppe tatsächlich Vereinspolitik betreiben können, hatten damit zu kämpfen, dass dieses stete Wachstum eben auch bedeutet, dass die Heterogenität steigt in ihrer Gemeinschaft. Dass da plötzlich viele sind, denen es nicht um den FCN geht und um diese Vorstellung vom romantischen Fußball.

Auf ein paar gemeinsame Nenner aber kommen sie schon noch. Identifikationsfiguren vermissen sie zum Beispiel beim 1. FC Nürnberg, beklagen den Umgang mit ehemaligen Spielern, mit langjährigen Angestellten, die sehr schnöde entlassen worden sind von den neuen Verantwortlichen am Valznerweiher. Ein bisschen menscheln soll es beim Fußball bitte schön schon noch, sagen die Ultras.

Getrübt wird der Blick auf diese ja sehr verständlichen Anliegen durch die Begleiterscheinungen der immer größer gewordenen Gruppe Ultras. Dass die Grenze zum Schwachsinn längst überschritten hat, wer denkt, dass es nett ist, sich beim Fußball zu prügeln, ist selbstverständlich. Dass sich viele an Pyrotechnik stören, ist zwar einigermaßen kurios in einer Gesellschaft, die sich Jahr für Jahr an Silvester die Raketen um die Ohren und die Geldbeutel leer schießt, aber ebenso leicht zu akzeptieren.

Dass es aber Menschen gibt, die den Fußball nicht ganz so klinisch haben wollen, wie er zum Beispiel von Red Bull in Leipzig gestaltet wird, darf ob der - zugegeben - zu häufigen Ausfälle der von den Ultras trotz aller Größe immer noch recht gut kontrollierten Fanszene, nicht als realitätsferne Träumerei und Minderheitenmeinung abgetan werden.

Immer mehr Geld und immer mehr Show

Auch in Nürnberg hätten die Verantwortlichen sehr gerne ein pflegeleichtes Publikum, eines, das den Weg hin zu immer mehr Geld und immer mehr Show mitgeht. Die geplante Ausgliederung der Profi-Abteilung, die Investoren an den Valznerweiher locken soll, ist da ja nur der vorerst letzte, der größte Schritt. Vorwerfen kann man das Meeske und seinen Mitarbeitern nicht, das ist ihre Aufgabe.

Wie sie in dieser Angelegenheit mit einem Großteil der Fans, den Ultras also, umgehen, das kann man ihnen schon vorwerfen. Von Feingefühl ist in dieser Hinsicht wenig zu spüren, stattdessen besteht der Eindruck, dass man jede Rauchbombe dazu nutzt, um den Graben zu vergrößern, sich noch deutlicher zu positionieren: Hier, wir Guten, dort die Chaoten, denen es nur um sich selbst geht. "Totengräber der Fankultur", hat der Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga die Ultras gerade genannt, dabei aber erstaunlicherweise nicht über sich selbst gelacht.

Lohnend ist es aber, darüber zu diskutieren, wie weit ein Verein diesen Weg mitgehen will - oder ob es andere Möglichkeiten gibt, im modernen Fußball zu existieren? Ob der Fußball nicht ein wenig schmutzig bleiben darf. Beispiele für diese Nischen gibt es in Fußball-Deutschland nicht mehr viele, aber man findet sie, wenn man nach Hamburg zu Sankt Pauli schaut oder nach Berlin zum FC Union.

Es ist eine Frage, die dieser Verein jetzt beantworten muss. Es ist vor allem eine Frage, die geklärt werden kann, ohne all die Aufregung, die derzeit herrscht. Es gibt dafür sogar eine Einrichtung: Sie nennt sich Mitgliederversammlung.

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