Warum Weilers Abschied nicht verwundern darf

20.6.2016, 06:00 Uhr
Warum Weilers Abschied nicht verwundern darf

© Sportfoto Zink / DaMa

Es war zwar kein pathosbeladenes Treuebekenntnis, aber auch kein Satz, der latente Trennungsgedanken zu enthalten schien. Und man darf dem stets auf Tugenden wie Geradlinigkeit, Authentizität und Ehrlichkeit bedachten Sohn eines Züricher Wirtschaftsfahnders durchaus glauben, dass er zu diesem Zeitpunkt davon ausging, seine Aufbauarbeit in Franken in der neuen Saison fortzusetzen. Schließlich hatte er ja, wie man es im Fußballbusiness gerne salopp formuliert, "noch Vertrag".

Aber der ist eben heutzutage kaum mehr das Papier wert, auf dem er gedruckt ist. Frag nach in Augsburg, Darmstadt, Ingolstadt. Und auch wenn die Entwicklung der letzten Tage in ihrer Rasanz viele Fans einigermaßen schockiert haben mag, wirklich überraschen darf Weilers Sinneswandel nicht. Der Wechsel zum belgischen Rekordmeister RSC Anderlecht ist nur der nächste logische Schritt im persönlichen Karriereplan des ambitionierten Fußball-Lehrers.

Sein Streben nach höheren Weihen hatte der einmalige Nationalspieler, der seine Profikarriere wegen einer Knieverletzung mit nur 28 Jahren beenden musste, bereits in der Heimat angedeutet. Nachdem Weiler den FC Aarau 2013 in die Super League geführt hatte, trat er im Sommer des folgenden Jahres zurück, weil ihm beim beschaulichen Provinzklub aus dem Kanton Aargau die sportliche Perspektive fehlte. Gerade für einen naturgemäß eher auf Sicherheit bedachten Schweizer eine ebenso mutige wie konsequente Entscheidung.

Weiler formte aus einem konzeptlosen Kader eine Einheit

Auch in Nürnberg soll der ehrgeizige Eidgenosse, der bei der Jobvergabe im Neuen Zabo 2014 zunächst dem prominenteren, aber letztlich überforderten Berufsanfänger Valérien Ismaël den Vortritt hatte lassen müssen, schon daran gedacht haben, alles hinzuwerfen – frustriert und aufgerieben von internen Machtkämpfen und den speziellen Strukturen am Valznerweiher. Seine Mannschaft soll ihm in solchen Momenten den Rücken gestärkt haben.

Erst der Abschied von Sportvorstand Martin Bader, dem der eloquente, smarte, selbstbewusste und manchmal auch unbequeme Schweizer von Anfang an ein Dorn im Auge war, ließ Weiler förmlich aufleben. Seine ganze Tatkraft und Energie konnte der studierte Kommunikationswissenschaftler nun endlich in die tägliche Arbeit auf dem Trainingsplatz legen, die wenig später beginnende Rekordserie von 18 Spielen ohne Niederlage war kein Zufall.

Weiler gelang es, einen reichlich konzeptlos zusammengewürfelten Kader zu einer funktionierenden, von großem Teamgeist beseelten Einheit zu formen. Er verstand es, Spieler besser zu machen, sie ihren Fähigkeiten entsprechend einzusetzen und an ihre Leistungsgrenze zu führen. Auch wenn der zweckmäßige, weil zweitligakompatible Hauruck-Fußball nicht immer ein ästhetischer Genuss war, eroberten die Burgstallers, Füllkrugs, Leibolds & Co. mit Moral, Kampfkraft und Einsatzwillen die Sympathien der Menschen.

Spiele wie das spektakuläre 6:2 gegen Union Berlin, die Heimsiege über die späteren Aufsteiger Freiburg und Leipzig und der ersehnte Derbytriumph gegen Fürth schenkten den Anhängern nicht nur lange vermisste Glücksmomente, sondern ebneten auch den Weg bis auf Rang drei. "Nürnberg steht nur wegen dir da oben, nur wegen dir", lobte selbst Pokalsieger-Coach Hans Meyer den jungen Kollegen. Pech nur, dass stolze 65 Punkte diesmal wegen des noch dominanteren Spitzenduos nicht wie so oft in der Vergangenheit zur Bundesliga-Rückkehr reichten.

Heftige Kritik nach dem verpassten Aufstieg

Umso mehr dürfte Weiler, der von den Fans geachtet und respektiert, aber (noch) nicht wirklich geliebt wurde, die teils heftige Kritik nach dem verpassten Aufstieg getroffen haben. Vor allem Vorwürfe, er selbst habe die Relegation durch eine vermeintlich extrem mutlose Defensivtaktik "vercoacht", obwohl seine fußballerisch limitierte Mannschaft gegen die individuell besser besetzte Eintracht doch schlicht und ergreifend an ihre natürlichen Grenzen gestoßen war, dürften den Gerechtigkeitsfanatiker ins Grübeln gebracht haben. Vermittelten ihm diese absurden Anschuldigungen doch auch eine Ahnung, wie schnell die Stimmung in der nächsten Saison schon nach ein paar Niederlagen wieder kippen könnte.

Und nicht nur Weiler weiß genau, dass das dritte Jahr in Liga zwei angesichts der verheerenden finanziellen Lage und des zum Überleben nötigen Verkaufs mehrerer Leistungsträger für diesen Club, bei dem Anspruch und Wirklichkeit seit Jahrzehnten immer mehr auseinanderklaffen, zum Tanz auf der Rasierklinge werden dürfte. Längst im Zweitliga-Mittelmaß versumpfte Traditionsvereine wie Kaiserslautern, 1860 München oder Bochum lassen grüßen.

Wahrscheinlich musste ein stets rational entscheidender Mensch wie Weiler deshalb auch gar nicht mehr lange überlegen, als die sportlich reizvolle und finanziell lukrative Offerte aus Brüssel auf den Tisch flatterte. Der 1. FCN diente Weiler als ideales Sprungbrett, das ihn schon nach eineinhalb Jahren zum renommierten belgischen Champions-League-Qualifikanten weiterkatapultierte. Und man darf gespannt sein, was in der Zukunft vom „neuen Klopp“, wie belgische Medien den doch viel weniger zur großen Show neigenden 42-Jährigen euphorisch ankündigten, noch zu hören sein wird. Sehen wird man ihn in Nürnberg jedenfalls nicht mehr.

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