Wenn eine Frau nur die Hälfte zählt

19.9.2010, 09:01 Uhr
Wenn eine Frau nur die Hälfte zählt

© Karlheinz Daut

Sie sind in Erinnerung geblieben: Die Frauen, die im vergangenen Jahr bei den Protesten nach der umstrittenen Wiederwahl Mahmud Ahmadinedschads in der „Grünen Bewegung“ ganz vorne mitmarschierten. Die ihre Forderungen, gemeinsam mit Arbeitern, Studenten und verschiedenen ethnischen Gruppen, laut und deutlich vorbrachten. Forderungen nach einem Ende der Diskriminierung der Frau, nach Gesetzen, die dem Gleichstellungsgedanken Rechnung tragen.

Auf diese Demonstrantinnen ist Mansoureh Shojaee stolz. Sie selbst ist seit 20 Jahren Aktivistin und dass nun so viele „die Herausforderung annehmen, gegen die Diskriminierung anzugehen“, macht sie glücklich.

Auf legalem Weg

Seit Jahren versuchen Shojaee und ihre Mitstreiterinnen auf legalem Weg eine Änderung der Verhältnisse im Iran zu erreichen, sie initiierten die Reformbewegung „Eine Million Unterschriften für Gleichberechtigung“. „Unser Protest“, das betont die 52-Jährige immer wieder, „ist friedlich“. Ohne Gewalt und Zorn suchen sie den Dialog: mit den Machthabern, aber auch mit den Frauen selbst. „Wir wollen sie sensibilisieren“, sagt Shojaee — ein Bewusstsein für ihre Benachteiligung schaffen.

Shojaee berichtet, dass im Iran der Mann die Einwilligung zu einer Scheidung geben muss, die Tochter nur halb so viel erbt wie der Sohn und die Zeugenaussage der Nachbarin im Vergleich zu der des Nachbarn nur die Hälfte wert ist. Auch dass der Mann unterschreiben muss, wenn seine Gattin ins Ausland reisen will, oder eine Verletzte bei einem Unfall nur die Hälfte des Schmerzensgeldes bekommt, sei im Iran Realität.

„Während des Wahlkampfes 2009 legte die Frauenbewegung ihre Forderungen vor“, erzählt Shojaee. Der Iran solle das internationale „Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ unterschreiben; fünf Verfassungsartikel, die der Gleichberechtigung entgegenstehen, sollten geändert werden. Nach der Wahl wurden die Frauen „zum Herz“ der „Grünen Bewegung“. Von ihren Forderungen wollen die Aktivisten, trotz aller Repressalien, nicht abweichen. Auch wenn Telefon und E-Mails überwacht werden oder ein Ausreiseverbot droht.

Dass die Unterdrückung der Frau im Iran vom Gesetz legalisiert ist, ärgert Shojaee, die ihre Worte mit vielen Gesten unterstreicht. „Die Gesetzgebung ist viel rückständiger als die Menschen selbst. Dabei müsste das umgekehrt sein.“ Ihren Ursprung haben diese Gesetze in der Zeit nach der Islamischen Revolution 1979. Doch nicht angetastet wurde selbst damals das Recht der Frauen auf Bildung — mit Folgen: Sie strömen in Massen an die Universitäten des Landes.

„Das ist die einzige Möglichkeit für Frauen voranzukommen“, sagt Shojaee. Allerdings auch nur eine begrenzte, denn an den Hochschulen herrscht eine Quotenregelung und „der Zugang zu höheren Entscheidungspositionen ist ihnen später ohnehin verschlossen“. Ein Beispiel dafür ist die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, eine Bekannte von Shojaee, die vor der Revolution als Richterin arbeitete, später aber zur Sekretärin degradiert wurde.

Bibliothek gegründet

Die Angst, so sagt Shojaee, ist für sie selbst zu einer Lebensform geworden. Schließlich wurde sie schon dreimal verhaftet, die Furcht um sich, aber auch um Mit-Aktivisten ist allgegenwärtig. In die Angst mischt sich jedoch auch eine tiefe Freude — darüber, was die Frauenrechtlerinnen bereits erreicht haben: Shojaee etwa gründete eine Bibliothek nur für Frauen und richtete eine Website mit Artikeln über die Bewegung ein.

Von der internationalen Gemeinschaft wünscht sich Shojaee, dass diese in der Zusammenarbeit mit dem Iran wirtschaftliche Interessen nicht höher bewertet als Menschenrechte. Und auch, dass das Schicksal der Inhaftierten im Iran einen ähnlichen Stellenwert erhält wie die Atom-Diskussion. Eines jedoch sei auch klar: „Zuerst muss im Land selbst ein Bewusstsein für die nötigen Reformen vorhanden sein.“