Wie der junge Wilfried Böse zum Terroristen wurde

7.7.2012, 14:20 Uhr
Wie der junge Wilfried Böse zum Terroristen wurde

© Niklas

„Wie kommt es dazu, dass ein Schüler unseres Dientzenhofer-Gymnasiums Terrorist wurde?“, will Annika Uth aus der zehnten Klasse wissen. Diese Frage hat die 16-Jährige dazu bewogen, sich unter 20 angebotenen Projekten ausgerechnet für das Thema Wilfried Böse zu entscheiden.

Die Eltern des getöteten Linksradikalen wohnen noch in Nordbayern. Rafael Rempe, Projekt-Verantwortlicher und Geschichtslehrer am Dientzenhofer-Gymnasium, hat mit ihnen auch gesprochen: „Sie haben mir bereitwillig Auskunft gegeben. Aber sie wollen nun nicht mehr darüber reden, weil es sie zu arg belastet.“

Ihr Sohn war mit seiner Freundin und palästinensischen Terroristen an der Entführung einer Air-France Maschine nach Uganda beteiligt. Die Gruppe wollte mit ihrer Aktion 53 Inhaftierte aus Gefängnissen in Israel, Frankreich, Deutschland und der Schweiz freipressen — darunter auch Mitglieder der Rote-Armee-Fraktion.

Im Flughafengebäude von Entebbe (Uganda) trennte man die jüdischen von den übrigen Passagieren. Die nichtjüdischen Gefangenen wurden freigelassen. Dass ausgerechnet ein Deutscher — Wilfried Böse — drei Jahrzehnte nach Auschwitz die Selektion von Juden vornahm, sorgte in Israel noch lange Zeit nach der Beendigung des Geiseldramas für große Aufregung. Während der Aufteilung der Passagiere zeigte ein Holocaust-Überlebender seine KZ-Tätowierung und erinnerte Wilfried Böse an die Selektion des NS-Unrechtsregimes. Böse antwortete dem Juden, dass er kein Nazi sei, sondern ein Idealist.

In einer halsbrecherischen Militäraktion befreiten israelische Spezialkräfte in der Nacht vom 3. zum 4. Juli 1976 schließlich die 103 Geiseln, drei kamen allerdings ums Leben. Auch sämtliche Entführer sowie 25 ugandische Soldaten und der israelische Einsatzleiter Jonathan Netanjahu, ein Bruder des heutigen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, starben im Feuergefecht. Der ugandische Diktator Idi Amin Dada, der zu den Geiselnehmern hielt, ließ später Hunderte Menschen umbringen, von denen er glaubte, sie hätten die israelische Kommandoaktion unterstützt.

Die Bamberger Gymnasiasten wollen nun die Blutspur von Entebbe zurück in ihre Heimatstadt verfolgen. Gespräche mit einstigen Schülern und Lehrern sind geplant, die Wilfried Böse gekannt haben. Kurz vor dem Abitur war er nach Ansbach gewechselt. 

Eine Schulklasse seines dortigen Gymnasiums hatte den iranischen Schah Reza Pahlavi bei dessen Besuch in Rothenburg interviewt. Möglicherweise war Böse dabei, vielleicht hat das Gespräch seine Einstellung mitgeprägt. Die heutigen Gymnasiasten aus Bamberg wollen der Spur nachgehen.

Lehrer Rempe hat Kontakt zum ehemaligen Terroristen der Revolutionären Zellen Hans-Joachim Klein aufgenommen, mit dem Böse bekannt war. Klein war an der Opec-Geiselnahme in Wien beteiligt, später sagte er sich von seinen terroristischen Gesinnungsgenossen los. In einer E-Mail an Rempe empört sich der in Frankreich lebende Klein, dass es „eine große Geschmacklosigkeit“ sei, für den „Links-Faschisten Böse“ eine Ausstellung erarbeiten zu wollen.

„In der Stadt totgeschwiegen“

Die Bamberger Gymnasiasten halten die geplante Schau jedoch für wichtig: „In unserer Stadt wird totgeschwiegen, dass hier einmal ein Jugendlicher gewohnt hat, der Terrorist geworden ist“, sagt Annika Uth. Auch Geschichtslehrer Rempe hat eher nebenbei von Wilfried Böse erfahren. Bis dahin war die Entwicklung des Gymnasiasten zum Geiselnehmer kaum Thema auf den Schulfluren.

Im vergangenen Schuljahr hat sich die Oberstufe bereits mit der Person Wilfried Böse beschäftigt. Alte Zeitungsartikel wurden ausgewertet, im Internet nach Informationen gesucht und sogar private Fotos einstiger Schulkameraden wurden aufgetrieben. Darauf ist ein freundlich dreinblickender, eher unauffälliger Heranwachsender im Kreis von Freunden zu sehen. Wie kam es später zur Radikalisierung des Wilfried Böse? Beim Studium der Soziologie in Frankfurt kam er in Kontakt mit der linksradikalen Szene. Er brach sein Studium ab, um den Vertrieb des Verlags „Roter Stern“ zu übernehmen. Der Student war Mitbegründer der Revolutionären Zellen.

Im neuen Schuljahr führen Jugendliche des Dientzenhofer-Gymnasiums das hochinteressante zeitgeschichtliche Projekt fort.

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