Ernst Thoma: Mister Leonis letzter Auftritt

18.5.2012, 00:00 Uhr
Ernst Thoma: Mister Leonis letzter Auftritt

© Leoni

Der Mann lässt nicht nach, bis zur letzten Minute nicht. Hellwach sind die Augen von Ernst Thoma, das Gegenüber belauernd, beobachtend, fixierend. Sein ganzes Berufsleben stand im Zeichen dieser einen Firma, für sie hat er alles gegeben — da wird er es auch jetzt nicht schleifen lassen, obwohl es nun fast vollbracht ist. Am 16. Mai nimmt Ernst Thoma auf der Hauptversammlung von Leoni seinen Abschied.

Den Kurs vorgeben? Das ist Thoma zu direkt formuliert. „Mein Ziel war es immer, die anderen von meinen Vorstellungen zu überzeugen“, beschreibt er selber seinen Stil. Doch nur, so lange es am Schluss dann auch in seine Richtung läuft, oder? „Ja, natürlich. Und das hat gut geklappt.“

Wenn es so etwas wie den geborenen Chef gibt: Thoma wär’s. Schon Vater Georg war Vorstandsvorsitzender des Kfz-Zulieferers. Den kleinen Ernst hat das geprägt: „Er war mein Vorbild“, sagt er noch heute, zwei Wochen vor seinem eigenen 78. Geburtstag. Durchsetzungsstark sei der Vater gewesen. Man wird das später auch über den Sohn sagen.

Nach dem Abitur am Willstätter Gymnasium geht der gebürtige Nürnberger an die Technische Hochschule München, Vorläufer der TU. Technische Physik steht auf dem Plan, ein naturwissenschaftliches Studium mit nicht ganz so viel von „der furchtbaren Mathematik“, erzählt Thoma. Im Sommer fährt er an den Starnberger See, im Winter zum Skifahren in die Berge. „Es war eine gute Zeit.“

1960 fängt Thoma beim Edelmetall-Experten und Leoni-Geschäftspartner Heraeus in Hanau an. „Durch Zufall. Die waren bei meinem Vater zu Besuch und diskutierten ein Problem mit der Vakuum-Technik. Ich konnte helfen.“ Zwei Jahre mit luftleeren Räumen bringt ihm das ein, in denen er bis ins höhere Management aufsteigt. Er heiratet, Freundin Annemarie schwärmte für ihren Ernst schon, als der noch die Schul-Hockeymannschaft aufs Feld führte. Als Kapitän.

Nach zwei Jahren ruft der Vater — und der Filius folgt, wird Assistent des Werkleiters in Roth. Ein Aufstieg mit Gschmäckle; wenn der Papa mit dem Sohne... „Dass jemand so denken könnte, hat mich schon umgetrieben“, sagt Thoma. Seinen Ehrgeiz beflügelt das zusätzlich — dabei war der schon vorher gut entwickelt. Niemand soll glauben, nur der Nachname habe ihn auf den Posten gehievt.

Die Chance, es allen zu zeigen, kommt bald. Ende der 60er Jahre läuft es bei Leoni, zwei neue Werke in Kitzingen und Bad Kötzting sind geplant. Thoma baut sie. „Das hat Eindruck gemacht“, glaubt er. 1968 rückt er in den Vorstand auf, zunächst als stellvertretendes Mitglied — einen Tag, nachdem sein Vater dort Platz gemacht hat. 1977 ist es dann so weit: Thoma reiht sich selber in die Riege der Leoni-Bosse ein. „Ich habe mich nicht lang bitten lassen“, sagt er. „Das hätte mir eh keiner geglaubt.“

Erst der Kunde, dann die Mitarbeiter, dann der Rest: Thoma ist keiner, der Konflikte scheut. Er ist es, der den Fokus ganz auf die Kfz-Industrie legt, er ist es, der massiv auf Expansion setzt. Vor allem aber ist er der, der Arbeitsplätze aus Deutschland ins Ausland verlagert.

Mit Nordafrika fängt es noch 1977 an, nach der Wende 1989 folgt Osteuropa. „Unsere Produktion ist sehr personalaufwendig. Da ist es wichtig, dass wir da niedrige Kosten haben.“ Die Belegschaft tobt. „Die mussten ja dagegen sein. Aber ich habe nie an meiner Entscheidung gezweifelt“, sagt Thoma. Nur selten zieht der Chef bei Streit mal den Kürzeren. Die Einführung der 35-Stunden-Woche ist so ein Fall, und so richtig eingesehen hat Thoma das bis heute nicht.

Expansion und Sparen

Expansion, totale Orientierung am Kunden und hartes Sparen: Es ist der Dreiklang der Ära Thoma. Über einen Mann wie José Ignacio Lopez, der sich in den 90er Jahren erst bei Opel und dann VW den ambivalenten Ruf des rücksichtslosen Kostendrückers erfocht, spricht Thoma noch immer anerkennend — obwohl Lopez gerade Zulieferer ausdrückte wie Zitronen.

Geliebt wird Thoma nicht — und es ist nicht so, als ob ihn das zu stören scheint. Thoma wird geschätzt und respektiert, denn die Zahlen sind sein Freund. Als er 1962 bei Leoni anfing, erwirtschaftete das Unternehmen mit 1666 Mitarbeitern in zwei Werken 44 Millionen D-Mark. Als er 2002 in den Aufsichtsrat wechselt, sind es mit rund 18500 Beschäftigten an 60 Standorten 1,1 Milliarden. In Euro.

„Die Geschichte gibt ihm recht, die Entscheidungen damals waren notwendig und richtig“, sagt heute selbst Gabriele Bauer, langjährige Leoni-Gesamtbetriebsratsvorsitzende. Einfach sei es mit Thoma nie gewesen, „aber er war immer bemerkenswert offen und ehrlich“.

Ob es ihm 2002 leichtgefallen sei, die operative Führung abzugeben? „Ich war da 68 Jahre, da muss einem einfach der Kopf sagen: Jetzt ist Schluss“, sagt Thoma. Der Kopf. Heute nun lässt er ganz los, hört auch im Aufsichtsrat auf. Enkel und Garten rücken dafür nach vorn. „Meine Rosen machen mir grad Kummer.“

Dass da etwas nicht so will wie er: Das ist ihm nicht oft passiert.
 

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