Herr Stengel, Pepper und die Kunst der Mustererkennung

19.2.2019, 18:16 Uhr
Herr Stengel, Pepper und die Kunst der Mustererkennung

Vor einigen Jahren hat Roman Stengel den ganz großen Sprung gewagt: Der Kaufmann, Mitglied im genossenschaftlich strukturierten Edeka-Verband, sagte seinem 300 Quadratmeter großen Lebensmittelgeschäft in Reichenschwand Ade und eröffnete 2011 den 2700 Quadratmeter großen "Kulinarikwelten E-Center Stengel" in Fürth; wenig später kam noch ein Getränkemarkt mit 1700 Quadratmeter direkt gegenüber dem Neubau dazu.

Seinen Kunden neben dem Standardsortiment etwas Besonderes bieten und sich dadurch von der alles andere als mageren Konkurrenz in der Branche abheben: Das hat sich Stengel, der Lebensmittelhändler in der dritten Generation ist, auf die Fahne geschrieben. Der heute 62-Jährige beschäftigt rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und einen sprechenden Roboter: Pepper.

"Ich war 2017 auf einer Messe, und die hatten da den Pepper. Der Roboter hat mich beeindruckt", erzählt der Kaufmann. Was er seinerzeit allerdings nicht wusste: "dass jemand im Hintergrund saß und Pepper per Fernbedienung steuerte". Stengel kaufte den circa 1,20 Meter kleinen Helfer – "ich wollte ihn haben, aber nur als Erster". Das gelang: "Unser Geschäft war deutschlandweit das erste, das Pepper auf der Verkaufsfläche eingesetzt hat."

"Fränkisch versteht er nicht"

Die Erwartungen, die der Edekaner in Pepper gesetzt hatte, erfüllte der elektronische Mitarbeiter jedoch nicht: "Pepper ist niedlich, er macht niemandem Angst und kommt bei den Kunden gut an. Aber", resümiert Stengel trocken, "er ist dumm." Künstliche Intelligenz? Weit gefehlt. Versuche, Pepper durch zusätzliche Programmierung schlauer zu machen, seien erfolglos geblieben. "Sein Speicher ist einfach zu klein. Wir können zwar Texte definieren, die Pepper dann wiedergeben kann. Aber mehr als rund 50 Fragen und Antworten sind nicht möglich, dann ist er einfach überfordert." Kunden durch den Laden begleiten kann Pepper auch nicht: "Dazu bewegt er sich zu langsam."

Stengels Fazit klingt ernüchternd: "Die Software-Firma, bei der wir Pepper gekauft haben, hat uns zu viel versprochen." Der Unternehmer steht nun mit einer anderen Firma in Kontakt, die den kleinen Kerl aufrüsten will – "möglicherweise bringen die das auf die Reihe". Solange ist Pepper im Ruhemodus. Ob es ihm leidtue, Pepper gekauft zu haben? Stengel schüttelt den Kopf: "Nein." Der Roboter sei auf jeden Fall ein Marketing-Gag, und bei den Kunden, "vor allem den älteren", sehr gut angekommen: "Die haben sich gerne mit ihm unterhalten." Allerdings müsse man Hochdeutsch mit ihm reden, "Fränkisch versteht er nicht".

Obwohl auch in seiner Branche viel über Künstliche Intelligenz (KI) gesprochen wird: Roman Stengel kann sich nicht vorstellen, dass in absehbarer Zukunft humanoide Roboter Kunden bedienen, "nicht mal, dass sie Regale auffüllen".

Eine Einschätzung, die Stefan Wolpert teilt. "Alles, was filigran ist, können Roboter derzeit nicht. Lassen Sie einen Roboter mal versuchen, Erdbeeren zu pflücken…", erklärt der Wirtschaftsinformatiker und Betriebswirt, der beim Nürnberger Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen arbeitet und das offene Innovationslabor "Josephs" in der Innenstadt mit aufgebaut hat. Technologiegestützte Dienstleistungen im Einzelhandel und damit auch KI gehören zu Wolperts Schwerpunkten.

Wie er Künstliche Intelligenz definiert? Der 38-Jährige überlegt kurz, sagt dann: "Das ist schwierig. Was wir jetzt haben, ist maschinelles Lernen, das auf Mustererkennung basiert." Wolpert nennt ein Beispiel: das Erkennen von Pferden auf Bildern. Damit die Computersysteme künftig Pferde in Datensätzen erkennen, müssen sie zunächst lernen, was ein Pferd ist. Dies geschieht, indem man dem Algorithmus unzählige Bilder zeigt und jeweils dazu die Information gibt, ob ein Pferd darauf ist oder nicht. Über diesen Prozess werden die Algorithmen immer schlauer – ein selbstlernendes System. Mit Intelligenz habe dies allerdings nichts zu tun, "die Software an sich ist dumm".

Wann isst der Mensch was?

Im Handel und bei Herstellern kommt diese Art der KI etwa bei Absatzprognosen zum Einsatz, die wiederum auf Erfahrungswerten gründen – auf wiederkehrende Muster in den Daten also. Zum Beispiel, dass kurz vor Feiertagen bestimmte Lebensmittel besonders nachgefragt werden.

Herr Stengel, Pepper und die Kunst der Mustererkennung

Auch in der Logistik, konkret bei der Planung von Lieferungen, ist diese KI am Start: "Viele Händler wollen nicht alles auf einmal bekommen, weil sie gar nicht über die Lagerfläche und das Personal verfügen, um umfangreiche Warenlieferungen zu verarbeiten", erklärt Wolpert. Im Lebensmittelhandel seien solche Systeme längst gang und gäbe, "ich denke, es dauert nicht mehr lange, bis diese KI auch in anderen Bereichen zum Tragen kommt, etwa bei Textilien".

Grundvoraussetzung für KI-Systeme sind Daten – und zwar jede Menge davon. Für den Einzelhandel bedeutet das, möglichst viel über die Kunden und ihr Kaufverhalten zu wissen. Das Ziel: den Konsumenten möglichst personalisiert anzusprechen und so die Trefferquote zu erhöhen, ihm etwas zu verkaufen. Dazu werden mittels Algorithmen Bestellungen, Retouren und Rechnungen analysiert. Auch Kundenkarten liefern Daten. Im Ladengeschäft kann auf Displays dann auch gleich noch die passende Werbung ausgespielt werden, wie Wolpert erklärt: "Das System weiß dank Mustererkennung: Da steht ein Mann im Alter von 40 Jahren – und schon erscheinen Produkte auf dem Bildschirm, von denen die KI weiß, dass sie für diese Kundengruppe interessant sind." Diese Form der Kundenansprache werde im Handel bereits eingesetzt.

"Der Traum des Einzelhandels ist nicht: Was kauft der Wolpert? Sondern: Was kaufen Männer zwischen 30 und 40 Jahren zu welcher Uhrzeit?", verdeutlicht der Wirtschaftsinformatiker. Um das herauszubekommen, gelte es, jeden Einkauf mit Zielgruppen zu verknüpfen – ein klassisches Einsatzgebiet von KI-Systemen.

Kasse mit Kamera

Mit Kameras ausgerüstete SB-Kassen – sie sind im deutschen Einzelhandel bereits im Einsatz – seien ein weiterer Weg, an die gewünschten Daten zu kommen. Scannt hier gerade eine Frau oder ein Mann Ware, wie alt ist der Mensch, was kauft er ein? Das gilt es zu registrieren. Dabei gehe es nicht um konkrete Gesichtserkennung, betont der Experte, wohl aber auch darum, Emotionen des Konsumenten zu bestimmen.

Was es im Einzelhandel allerdings noch nicht gibt, so Wolpert: KI, die direkt mit dem Kunden interagiert. Roboter wie Roman Stengels Pepper können dem menschlichen Verkaufspersonal zwar Arbeit abnehmen, indem sie Antworten auf Standardfragen liefern, etwa die Verfügbarkeit von Waren. Recht viel mehr ist allerdings derzeit nicht drin.

Trotzdem birgt der Einsatz humanoider Serviceroboter viel Potenzial für den stationären Einzelhandel, so das Fazit der Münchner Unternehmensberatung elaboratum, die für die Studie "Robotics in Retail" (Roboter im Einzelhandel) ein Pepper-Modell in einem Stuttgarter Einkaufszentrum mit Kunden kommunizieren ließ. Für den Handel ein besonders interessantes Ergebnis: "Pepper kam sowohl bei Digital Natives als auch bei den Best-Agern super an", bilanziert Studienautor Patrick Meyer, der sich im Rahmen seiner Doktorarbeit an der Universität Erlangen-Nürnberg mit dem Thema "Roboter im Einzelhandel" beschäftigt. Ein Generationenkonflikt tut sich an dieser Stelle also offenbar nicht auf.

Die Sache mit der Ehrlichkeit

Auch mit Blick auf ein ehrliches Feedback konnte Pepper in dem Praxistest punkten: Die Hälfte der Kunden gab an, Kritik lieber einem Roboter gegenüber zu äußern. Informationen dagegen teilen die Verbraucher lieber mit einem Menschen. Wenn es um Beratung geht, sind Verkäuferinnen und Verkäufer aus Fleisch und Blut ebenfalls weiter gefragt: In Meyers Feldversuch in Stuttgart empfanden nur 16 Prozent der Kunden die Interaktion mit Pepper als sehr persönlich.

Das werden viele Beschäftigte gern hören. Denn es gebe durchaus die Angst, durch einen elektronischen Kollegen ersetzt zu werden: Das sei in Gesprächen mit Verkäuferinnen und Verkäufern deutlich geworden, berichtet Meyer. Gleichzeitig würden viele in einem gemischten Team auch Chancen sehen: Durch den Einsatz von Servicerobotern bleibt mehr Zeit für das eigentliche Kerngeschäft des menschlichen Verkäufers – die fachkundige, individuelle Beratung der Kunden.

Meyer ist überzeugt, dass Serviceroboter die menschlichen Mitarbeiter nicht ersetzen werden "solange sich diese nicht wie Roboter verhalten" – also stattdessen ihre ureigensten Kompetenzen ausspielen.

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