Leipziger WBG-Pleite von Nürnberg aus gesteuert?

25.5.2015, 13:58 Uhr
Leipziger WBG-Pleite von Nürnberg aus gesteuert?

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Gelangweilt kaute Jürgen Schlögel Kaugummi, als er an jenem Tag im Mai 2007 in Handschellen in den Sitzungssaal 115 des Leipziger Landgerichts geführt wurde. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, die Haare mit Gel nach hinten frisiert, in dieser Aufmachung lümmelte der damals 43-Jährige neben seinen drei Verteidigern auf der Anklagebank. So, als wüsste der smarte Lebemann, der gerne mit dem Ferrari durch die Stadt brauste oder mit einer Maschine einer privaten Flugambulanz samt prominenten Freunden zu Boxkämpfen quer durch Europa flog, dass er bald wieder ein freier Mann sein würde.

Dabei hatte die Staatsanwaltschaft schweres Geschütz aufgefahren und ihm Betrug, Untreue und Insolvenzverschleppung im Fall der Leipziger Wohnungsbaugesellschaft zur Last gelegt. Weil sich die Ermittler im Gestrüpp von Schlögels undurchsichtigem Firmenimperium verhedderten, hatten sie ohnehin nur einen kleinen Teil der gewaltigen WBG-Pleite zur Anklage bringen können. Sie beschränkten sich zunächst auf das Jahr 2006, in dem die AG zusammenbrach.

Schlögel soll zusammen mit dem Leipziger WBG-Vorstand Pierre K. (damals 50), auch dann noch Wertpapiere, sogenannte Inhaber-Teilschuldverschreibungen, zur Zeichnung herausgegeben haben, als längst klar war, dass die Gesellschaft kein Geld mehr für Rückzahlungen und Zinsen besaß. 4858 Anleger sollen dadurch 26,6 Millionen Euro verloren haben.

So mancher Zuschauer im Gerichtssaal habe sich gewundert, warum arglose Bürger ausgerechnet diesem Mann aus Franken, der sich jetzt vor dem Richtertisch so arrogant gerierte, ihre Ersparnisse anvertraut hatten, notierte die Leipziger Volkszeitung.

Auch Rentner, wie der Nürnberger Manfred R., waren auf die verlockenden Hochglanzprospekte des Unternehmens hereingefallen: R. hatte darauf vertraut, dass ihm tatsächlich 6,75 Prozent Zinsen auf seine Einlage von 50.000 Euro gezahlt werden. Von seinem als Altersvorsorge gedachten Geld sah er nie wieder etwas.

Viele der 38.000 Anleger, die seit 1999 ihr Vermögen in die WBG gepumpt hatten und nun insgesamt 360 Millionen an Forderungen geltend machten, schilderten Ähnliches.

Der Berliner Rechtsanwalt Jochen Resch, der über 2000 Geschädigte vertritt, kritisiert, dass die Verantwortlichen nie die Risiken benannt hatten, „die aufgrund der vorsätzlichen Geschäftspolitik der WBG Leipzig-West von vorneherein feststanden“.

Leipziger WBG-Pleite von Nürnberg aus gesteuert?

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Denn die Wohnungsbaugesellschaft hatte, wie Resch nachweisen konnte, in den Jahren 2002 bis 2004 etwa 50 Millionen Euro an ihre Tochtergesellschaften weitergeleitet. Die Anklagebehörde ist zudem überzeugt, dass an den Mehrheitseigner Schlögel durch Anlagebetrug allein gut 99 Millionen Euro überwiesen wurden: Er war mit seiner Nürnberger Firma J.S. Immobilienbeteiligungen zu 74 Prozent an der WBG beteiligt und kontrollierte sie durch einen Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag.

Wo das immens viele Geld abgeblieben ist, wissen die Ankläger bis heute nicht, es gilt als verschwunden. Schlögel, der seine guten Kontakte in Medizinerkreise und zu Prominenten aus Sport und Showbusiness nicht verheimlichte, pflegte einen aufwendigen Lebensstil. Doch Experten hegen starke Zweifel daran, dass er die Summe tatsächlich verjubelt haben könnte.

Zwei Tage dauerte im Mai 2007 die Verlesung der Anklageschrift, so umfangreich war das Datenmaterial. Und so brisant. Die Ermittler kamen mit dem Sichten und Bewerten nicht mehr nach. Zu den Unterlagen zählte auch ein Gutachten des Landeskriminalamtes, das die Verstrickungen des Nürnbergers in die Pleite beleuchtete.

Diagnose: Alkoholkrank

Sieben Monate später platzte der Prozess: Die Wirtschaftskammer machte dafür die Staatsanwaltschaft verantwortlich, die immer kurzfristiger neue Beweismittel präsentierte, so dass die Verteidigung „in ihren Rechten erheblich eingeschränkt wurde“, wie Vorsitzender Richter Karsten Nickel monierte.

Ergebnis: Schlögel, der am 20. Juli 2006 in Nürnberg festgenommen worden war, kam nach knapp 17 Monaten Untersuchungshaft auf freien Fuß. Seitdem hat er den Gerichtssaal nicht mehr betreten. Er meldete sich fortan krank — auch, als im November 2009 ein weiteres Verfahren wegen Untreue gegen ihn und acht weitere Angeklagte eröffnet wurde.

Ex-WBG-Vorstand Pierre K. wurde im März 2014 wegen Betrugs und Untreue zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung von zwei Jahren verurteilt. Da hatte Mehrheitsaktionär Schlögel längst ein neurologisches Gutachten vorgelegt, wonach er verhandlungsunfähig ist. Alkoholkrank.

Im Oktober 2014 bestätigte ein vom Gericht beauftragter Amtsarzt aus Dessau-Rosslau, in dessen Bereich er sich aufgehalten hatte, die Diagnose.

Ganz aktuell hat die Kammer jetzt ein „ergänzendes Gutachten“ bestellt, wie der Leipziger Landgerichtssprecher Volker Sander sagte. Ein anderer Amtsarzt soll nun klären, ob Schlögel dauerhaft krank ist. Ist dies der Fall, würde das Verfahren gegen ihn vermutlich eingestellt, räumte Sander ein. Ausgerechnet der Hauptangeklagte, gegen den im März 2011 ein drittes Verfahren wegen Untreue im Zusammenhang mit einem Grundstücksverkauf eröffnet wurde, müsste sich als Einziger in diesem Mammutprozess nicht verantworten.

Kontakte ins Showbiz

Von den einst zehn Beschuldigten ist inzwischen einer verstorben, die Verfahren gegen frühere Aufsichtsräte, Wirtschaftsprüfer, Vermögensberater und einen Rechtsanwalt wurden teils gegen Geldauflagen eingestellt. Doch ist Schlögel, der vor ein paar Jahren wieder bei Boxwettkämpfen in Nürnberg gesehen wurde, wirklich der Drahtzieher?

Rechtsanwalt und Anlegerschützer Jochen Resch glaubt dies nicht. Die WBG-Hochglanzprospekte, mit denen Privatleuten das Geld aus der Tasche gezogen wurde, sind nach Reschs Kenntnisstand zwar in einem Nürnberger Büro ausbaldowert worden. Doch der Hintermänner, die mit am Tisch saßen, habe man bis heute nicht habhaft werden können, kritisiert er.

Im Auftrag der Gläubiger hatte Resch seinerzeit Privatdetektive auf die Spur des Geldes angesetzt. Sie führt nach Dubai, in die Schweiz, nach Rumänien. Dort versandet sie.

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