Schule nach Corona: Welche Weichen müssen jetzt gestellt werden?

2.10.2020, 06:00 Uhr
Schule nach Corona: Welche Weichen müssen jetzt gestellt werden?

© Armin Weigel / dpa

"Konzentration, Innovation und Überraschung - Weichenstellung für die Schule nach Corona" lautet der Titel des Vortrags, den Roger Spindler am 21. Oktober ab 19 Uhr in der Heinrich-Lades-Halle hält. Die Veranstaltung mit Podiums- und Publikumsdiskussion bildet den Auftakt zur Reihe "Lernen in der Zukunft – Lernort Zukunft" des Verbands Montessori Nordbayern. Die Corona-Pandemie erlaubt nur ein kleines Live-Publikum, das geladen ist. Alle anderen Interessierten können die Veranstaltung im Livestream verfolgen, weitere Informationen dazu gibt es unter www.montessori-nordbayern.de im Internet. Dieses Medienhaus hat ihm vorab einige Fragen gestellt.

 

Schule nach Corona: Welche Weichen müssen jetzt gestellt werden?

Herr Spindler, der Umgang mit dem Coronavirus hat die Form des Lernens verändert. Wie können wir die Erfahrungen der vergangenen sechs Monate für die Zukunft nutzen?

Vieles, was wir der Schule nicht zugetraut haben, ist über Nacht Realität geworden. Ich vergleiche die Erfahrungen der letzten Wochen gerne mit einem Ausflug. Wir sind einfach losgeschwommen – Eltern, Lehrer und Schüler haben sich im Lockdown zum Beispiel sehr gut eingestellt auf das Distance Learning. Mal ein bisschen tauchen ist erlaubt, aber wir haben es gemeinsam ans andere Ufer geschafft und die Sommerferien als Insel erreicht. Der Krisenmodus hat für Dynamik gesorgt. Jetzt kommt eine noch größere Herausforderung. Denn die Frage ist: Trocknen wir uns einfach ab und schwimmen zurück oder sind wir bereit weitere Schritte zu tun, in dem wir die guten Erfahrungen mitnehmen und mit dem Positiven aus der Zeit vor Corona verbinden?

 

Was sollten wir von diesem Ausflug im Gepäck behalten, wenn wir aufbrechen zu neuen Ufern?

Die verschiedenen Formen des Unterrichts, die wir jetzt ausprobiert haben – wie zum Beispiel der "flipped classroom", also der umgedrehte Unterricht.

Die Lernenden erarbeiten sich Stoff und Hausaufgaben daheim — und im Unterricht findet dann der Austausch statt, das heißt, das Gelernte wird angewendet, vertieft und individuell besprochen. Das Digitale ist sicher kein Allheilmittel, es macht dabei aber vieles möglich. Zum Beispiel das Lernen in unterschiedlichen Szenarien, seien es Orte, Settings oder Lernsequenzen.

 

Wie definiert sich dabei die Rolle der Pädagoginnen und Pädagogen?

Sie entwickelt sich ständig weiter und es gibt viele tolle engagierte Lehrkräfte, die zum Beispiel viel Wert darauf legen, die Lernumgebung sorgfältig zu gestalten und vorzubereiten. Es gibt diesen einen Killersatz: ,Geht mal und sucht im Internet.‘ Das funktioniert natürlich nicht. Beim Ausflug in die Bibliothek zeige ich den Kindern ja auch, in welchem Regal sie welche Bücher finden. Die Lehrkraft muss unterstützen bei der Konzentration, beim Zeitmanagement und bei der Quellenwahl – wo im Internet finde ich den Schrott und wo die Perle?

 

Und was kommt auf die Familien zu?

Der Alltag wird vermutlich noch anspruchsvoller. Wenn in den nächsten Wochen Schulen punktuell geschlossen werden, dann ist vielleicht eins meiner Kinder betroffen und das andere nicht. Das kann nur klappen, wenn alle Player zusammenspielen, auch die Eltern.

 

Aber wie steht es um die Chancengleichheit? Nicht jede Familie kann sich digitale Endgeräte leisten . . .

Das ist richtig, aber inzwischen hat wirklich so gut wie jeder ein Smartphone – das reicht ja schon. Ich bin niemand, der gerne nach dem Staat ruft, aber hier sehe ich schon die Pflicht, dafür zu sorgen, dass auch Leihgeräte zur Verfügung stehen.

Aufgabe der Lehrkräfte ist es, ihre Schülerinnen und Schüler so gut zu kennen, dass sie wissen, wer welches Hilfsmittel benötigt. Außerdem brauchen wir eine grundsätzliche Einigung: Was ist wirklich wichtig und was ist ,fancy stuff‘, also einfach Spielerei.

 

Wenn sich so viel ins Netz verlagert, hat die Schule als Lernort womöglich bald ausgedient?

Ich hoffe ganz stark – und bin auch überzeugt, dass das nicht so ist. Es wäre aus meiner Sicht nicht sinnvoll, alles ins Netz zu delegieren, denn wir brauchen die Schule als Ort der Begegnung. Schülerinnen und Schüler lernen hier zum Beispiel den Umgang mit Andersdenkenden, fremden Kulturen, Grenzen und Respekt.

 

Was sind die wichtigen Kompetenzen für die Gesellschaft von morgen?

Reines Wissen steht nicht mehr an erster Stelle, denn es lässt sich oft schnell und überall abrufen. Vielmehr zählt der kompetente Umgang mit Medien, Technologien, Informationen und Daten. Ich zitiere hier gerne Jack Ma, CEO des größten Handelskonzerns der Welt Alibaba. Er spricht sich dafür aus, dass Kinder Dinge lernen, die Maschinen niemals können werden. Als Beispiele nennt er Werte, Überzeugung, unabhängiges Denken, Teamwork und Mitgefühl.

 

Das sind alles Dinge, die nicht durch reines Wissen vermittelt werden. Daraus folgt die nächste Herausforderung: Wie sollen Lehrer das prüfen?

Ebenso wie neue Unterrichtsformen brauchen wir neue Formen von Prüfungen und Abschlüssen. Die Note hat dabei nicht zwingend ausgedient, aber der Weg zur Note ist ein anderer. Kompetenzen können die Pädagogen nicht wie Wissen einfach abfragen. Sie müssen beobachten, zum Beispiel, wann jemand welche Idee entwickelt oder wie er im Team arbeitet. Wichtig ist dabei immer die Transparenz: Es muss klar sein, was verlangt wird.

 

Was meinen Sie, bleibt die klassische Unterteilung nach Fächern bestehen?

Wahrscheinlich wird es nicht mehr 45 Minuten Mathe geben, dann Erdkunde oder Bio. Hier haben reformpädagogische Schulen vielleicht die Nase etwas vorne, wenn sie wie bei Maria Montessori schon jetzt viel Wert legen auf Freiarbeit. Aber wir sollten die staatliche Schulen nicht unterschätzen. Sie leisten hervorragende Arbeit im Stillen und tragen das vielleicht nicht ganz so laut nach außen.

 

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