Eine Straße, zwei Welten: Friseure eröffnen wieder - die Gastro leidet

1.3.2021, 14:42 Uhr
Fares Al-Sueid will mit seinem Salon "El-Classico" jetzt viel Geld verdienen - aber nicht, um reich zu werden, sondern um für einen weiteren Lockdown gewappnet zu sein. 

© Tobi Lang Fares Al-Sueid will mit seinem Salon "El-Classico" jetzt viel Geld verdienen - aber nicht, um reich zu werden, sondern um für einen weiteren Lockdown gewappnet zu sein. 

Die Menschenwürde beginnt für Timo Pravitianos bei sechs Millimetern Kurzhaarschnitt. "Die Frisur definiert einen Menschen ein Stück weit", sagt Pravitianos, sie macht ihn zu dem, was er ist. Zumindest für die Außenwelt. Immer wieder hat er sich in den vergangenen Wochen die Haare selbst geschnitten, vor dem Spiegel, vorsichtig, mit dem, was er zuhause hatte. Nun ist der junge Mann einer der ersten, der etwas Zeit im "El-Classico", einem Salon in der Inneren Laufer Gasse, bekommen hat. Nur Minuten, nachdem Angela Merkel verkündet hatte, dass Friseure am 1. März wieder öffnen dürfen, vereinbarte er einen Online-Termin. "Mal sehen, was der Profi jetzt zu meinen Experimenten sagt."

Der Profi, das ist Fares Al-Sueid. Mit elf Jahren kam er aus dem Libanon. Friseur-Ausbildung mit 21, Meister mit 24 - nur ein Jahr später das erste eigene Studio. Auch wenn Al-Sueid seinen Laden in der Laufer Gasse wieder öffnen darf: Von der Politik fühlt sich der Unternehmer im Stich gelassen. "Der psychische Druck war die letzten Monate schon groß", sagt der 31-Jährige. "Die Ungewissheit nagt an einem, man weiß nicht wann und wie es weitergeht." Kurzarbeitergeld hat er bisher nur für einige wenige Tage im Dezember und im Januar bekommen, finanziell geht es um die Existenz. "Ich musste mein Auto verkaufen. Alles, was ich habe, alles Ersparte, ist hier drin."

"Nicht, um mich reich zu machen"

Es geht um viel Geld. Alleine in Klima- und Luftfilteranlagen hat er in den letzten Wochen mehr als 10.000 Euro investiert. Niemand soll sich im "El-Classico" anstecken, kein Mitarbeiter, kein Kunde. Während des Friseur-Lockdowns hat Al-Sueid das Untergeschoss ausgebaut, um noch mehr Termine gleichzeitig vergeben zu können. "Nicht, um mich reich zu machen", sagt er, "sondern um auf einen dritten Lockdown vorbereitet zu sein". Mit Investitionen gegen die Krise quasi.


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Der Umsatz, den er womöglich in der Zukunft nicht machen kann, der soll jetzt gemacht werden. "Und dann haben wir sogar noch zwei neue Mitarbeiter angestellt", sagt er und muss dabei fast lachen, so absurd klingt es. "Die haben mir auch leid getan." Eine sei etwa bei einer Salon-Kette angestellt gewesen, die mittlerweile pleite ist. Was kein Einzelfall sei.

Jetzt brummt das Geschäft, erwartbar, aber trotzdem erfreulich. Nur Stunden nach der Ankündigung, dass Friseure wieder öffnen dürfen, musste Al-Sueid den Online-Kalender für seinen Salon abschalten. "Ich selbst bin bis April ausgebucht, einige Kollegen haben hier und da nochmal eine Stunde frei." Die Angst vor einem neuen Lockdown aber überschattet die Freude.

In der Inneren Laufer Gasse prallen Gemütswelten aufeinander. Gerade einmal 200 Meter ist die Straße lang, in der sich Restaurant an Friseur reiht - sechs Salons und mehr als ein Dutzend Gastro-Betriebe liegen zwischen dem Schlagturm und dem Theresienplatz. Noch im Sommer wurden Parkplätze gesperrt, um mehr Außenflächen für Gaststätten zu schaffen. Doch den Restaurantbetreibern fehlt momentan jede Perspektive. Wann sie wieder Gäste empfangen dürfen, ist unklar. Es ist die Geschichte einer Straße, die zumindest geschäftlich derzeit auf zwei verschiedenen Planeten existiert.

"To Go"-Taschen statt Weißwein, Lieferräder statt Burger

Am vermutlichen anderen Ende der Öffnungs-Nahrungskette steht Alexander Ludwig. Er betreibt das "Ludwigs", ein Mix aus Bar und Café, beliebt bei Studenten der nahegelegenen Hochschulen. Dort, wo jetzt in der ersten Frühlingssonne ein Weißwein oder Gin getrunken werden würde, sind die Tische hochgeklappt. Seit Monaten. "Für uns kann ich sagen, dass die Staatshilfen gewirkt haben", sagt Betreiber Ludwig. "Das gilt aber bei weitem nicht für alle Betriebe." Seine Bar sei zwar nicht akut vom Aus gefährdet, die Lage ist aber angespannt. Auch er will investieren, in Schalldämmung und Lüftung, vielleicht auch neue Fenster, die sich öffnen lassen.

Wann er öffnen darf? Alexander Ludwig von der gleichnamigen Bar geht davon aus, dass es im Mai soweit sein könnte. Gewissheit fehlt dem Gastronom aber. 

Wann er öffnen darf? Alexander Ludwig von der gleichnamigen Bar geht davon aus, dass es im Mai soweit sein könnte. Gewissheit fehlt dem Gastronom aber.  © Tobi Lang

Von seinem Tresen aus kann Ludwig auf den ein oder anderen Friseur blicken, der jetzt wieder durchstarten darf. "Aber ich bin kein neidischer Mensch, ich gönne das jedem", sagt der Gastronomen. "Die sind ja selbstständig geworden, um etwas zu schaffen. Nicht, um auf Staatshilfe angewiesen zu sein."

Die Innere Laufer Gasse könnte gerade jetzt besonders belebt sein. Ist sie aber nicht. Statt Gemütlichkeit hetzen Menschen mit Plastikbeuteln und "To Go"-Essen durch die Straße, im Schaufenster von "MamMam", einer Burgerkette, stehen orangene Räder eines Lieferservices. Fast alle Restaurants setzen auf "To Go". Mit mal mehr und mal weniger Erfolg.

Im "Aloha Poke", einem weiteren Laden in der Laufer Gasse, bieten die Betreiber gesunde Bowls an. Thunfisch, Lachs, Edamame. Das eher kleine Restaurant hat eine Terrasse im Hinterhof, Plätze im Inneren und normalerweise Bänke vor den Schaufenstern. "Blöd, dass da die Perspektive fehlt", sagt Mitbetreiber Thomas. Planen könne man nicht, "und auch wir zahlen aktuell etwas drauf". Ewig gehe das so nicht mehr. Aber: "Wir sind schon einer der Lichtblicke in der Straße, weil wir auch schon vor Corona ein starkes 'To Go'-Geschäft hatten."

"Im ersten Lockdown hab ich keinen Cent gesehen"

Nur einen Steinwurf entfernt betreibt Richard Schmid das "Haarscharf". Seit etwa 60 Jahren ist er Friseur, ein Urgestein in der Branche, das viele Höhen und Tiefen gesehen hat. Dieser Tage hängt Schmid relativ viel am Telefon. Es klingelt. "Michael, du hättest mich vor einer Woche anrufen müssen", ruft der 75-Jährige. "Was machen wir jetzt mit Dir?" Diese Woche gibt es keinen Termin, nächste Woche ist es auch schwer, sagt Schmid, der aber verspricht, sich zu melden, falls ein Kunde abspringt. "So managen wir das gerade hier."

Seit 60 Jahren Friseur: Richard Schmid. 

Seit 60 Jahren Friseur: Richard Schmid.  © Tobi Lang

Auch für den erfahrenen Friseur war der Lockdown zehrend, finanziell und emotional. Das Handwerk ist seine Leidenschaft, da ist "noch lange noch nicht Schluss", sagt er. Ganzen Generationen hat Schmid die Spitzen geschnitten, Haare gefärbt und Dauerwellen frisiert. So etwas wie den Lockdown gab es aber nie. "Ich fühle mich von der Politik ganz schön veräppelt"; sagt er. "Im ersten Lockdown hab ich keinen Cent gesehen, seit drei Wochen weiß ich, dass man die Möglichkeit hat, Überbrückungshilfe III zu beantragen." Nur wann kommt das Geld? Verlassen will sich Schmid nur auf seine vier Mitarbeiter, die jetzt im Akkord arbeiten.

Die Probleme in der Branche bleiben, sagt auch die Friseurinnung Bayern. "Das, was der Lockdown mit sich bringt, ist lange nicht ausgemerzt", sagt Doris Ortlieb, Geschäftsführerin des Verbandes. "Es gibt keinen Nachholeffekt." Heißt: Wer jetzt, nach fast drei Monaten, zum Friseur geht, zahlt nur einmal, auch wenn er sich vier statt einem Zentimeter abschneiden lässt. "Der Umsatz für das Handwerk ist weg, das ist fast ein Sechstel des Jahresumsatzes."

Angespannte Lage in den 80.000 deutschen Salons

Dementsprechend angespannt ist die Lage in den 80.000 Salons, viele sind akut von der Insolvenz bedroht. Die Fixkosten haben viele Unternehmer aufgefressen, Mieten waren fällig, trotz des Lockdowns. Ortlieb fordert weitere Hilfen von der Regierung - etwa die Senkung der Mehrwertsteuer von derzeit 19 auf sechs Prozent. "Das wäre ein einfaches Instrument der Hilfe." Viele, sagt die Branchenvertreterin, sind von den Schließungen eiskalt erwischt worden.

Wie gefährlich der Friseurbesuch wirklich ist, ist unklar. Doch es gibt Hinweise. Die TU Berlin untersuchte etwa die Verteilung von Aerosolen in geschlossenen Räumen - und bestimmte so das Infektionsrisiko an verschiedenen Orten. Ein Restaurantbesuch bei 25 Prozent Belegung sei in etwa so sicher wie der Einkauf im Supermarkt, zwei Stunden beim Friseur mit einer Maske sind der Studie zufolge sogar noch ungefährlicher. Auch Ortlieb von der Innung in Bayern sagt mit Blick auf das letzte Jahr: "Da ist fast nichts passiert." Eine Covid19-Erkrankung bei einem Friseur werde als Berufskrankheit anerkannt, die Mitarbeiter als Kontaktpersonen schnell informiert. In der Tat gab es 2020 aber nur 22 Meldungen und 13 positive Abstriche. "Und das bei 240.000 Beschäftigten."

Zur Wiedereröffnung am Montag setzen viele Salons aber dennoch auf verschärfte Hygienekonzepte - wie Fares Al-Sueid vom "El-Classico". Auch wenn ihn die Investitionen ein Stück weiter näher an den finanziellen Ruin treiben. "Geld kommt, Geld geht", sagt der Friseur. "Aber das wichtigste ist die Gesundheit."

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