Klimaaktivistin im Interview: Sind wir zu brav, Luisa Neubauer?

30.12.2019, 05:22 Uhr
Klimaaktivistin im Interview: Sind wir zu brav, Luisa Neubauer?

© Daniel Reinhardt/dpa

Wo steht "Fridays For Future" im Dezember 2019? Am Anfang, am Ende – oder am Kipppunkt?

Luisa Neubauer: Wir sind in einer Art Schwebezustand. Wir spüren ganz viel Aufwind und Energie, aber auch ganz viel Ernüchterung, Irritation und Frustration. Wir versuchen, dem Luft zu machen.

In Ihrem Buch ("Vom Ende der Klimakrise", gemeinsam mit Alexander Repenning) schreiben Sie von eben jenem Frust und der Ermüdung. Wussten Sie, worauf Sie sich einlassen? Und würden Sie es wieder tun?

Neubauer: Natürlich habe ich das nicht gewusst. Die Frage, ob ich das wieder so machen würde, ist eine ganz schwierige. Ehrlicherweise wäre das nicht der Fall. Durch die Art, wie ich aktiv bin, bringe ich nicht nur mich, sondern auch meine Familie und Menschen, die ich liebe, in Gefahr. Durch Drohungen, Hass und Mordankündigungen. Wir werden nicht attackiert, aber das Gefahrenpotenzial ist da. Und allein das ist unzumutbar. Aber wir gehen nüchtern und reflektiert damit um.

Klimaaktivistin im Interview: Sind wir zu brav, Luisa Neubauer?

© Tobi Lang

Was ist die Verantwortung von Luisa Neubauer? Müssen Sie integrieren, als Leitfigur von "Fridays For Future" in Deutschland mit mehr Weitsicht agieren?

Neubauer: Ich werde verantwortlich dafür gemacht, was x-beliebige Klimaaktivisten in Deutschland und Europa tun, sagen und lassen. Gleichzeitig werden ganz viele Menschen für das verantwortlich gemacht, was ich sage. Das ist ein Stück weit okay, aber geht insbesondere für mich mit großer Verantwortung einher. Wenn wir uns als Teil einer großen, gemeinsamen Klimagerechtigkeitsbewegung verstehen, dann stehen wir füreinander ein. Ob das fair oder unfair ist, ist dabei völlig irrelevant.

Was ist besser und förderlicher in der Diskussion – passive Zustimmung oder bewusste Provokation?

Neubauer: Das Problem ist die schweigende Masse und eine Art von Passivität. Ich glaube, viele wollen im Grunde selbst nichts Böses, aber sie wollen nicht alles auf den Kopf stellen. Das ist nachvollziehbar, aber: Genau diese stille Masse wird instrumentalisiert und als Ausrede benutzt, weiter nichts zu tun. Da werden Geschichten erzählt von Menschen, die später zur AfD gehen, denen das alles nicht zumutbar sei. Aber das ist nur Rhetorik. Wir kommen nur raus, wenn wir den teilnahmslosen Menschen vermitteln, dass sie ein Teil des Problems sind, aber auch ein Teil der Lösung sein können. Das meine ich total einladend und gar nicht aggressiv.

Peter Altmaier sagte Ihnen einmal: "So, wie Sie die Dinge zuspitzen, haben Sie das Zeug zur Politikerin". Wo ist der Unterschied im Dialog, in der Ansprache?

Neubauer: Ich habe die große Freiheit, niemandem gefallen zu müssen. Ich stehe nicht in Abhängigkeit zu Lobbys, muss Leuten nicht erzählen, was sie hören wollen, damit sie mich wählen. Wir können die Erkenntnisse der Wissenschaft aussprechen, die andere gerne ignorieren. Das ist kostbar.

Sie sprechen davon, dass der "Protest persönlicher werden muss“, dass man "andere Register ziehen" müsse, um Teile der Regierung zu erreichen. Was heißt das?

Neubauer: Menschen nehmen scheinbar an, die Klimakrise sei zufällig entstanden und wir haben nur zufällig unzureichend darauf reagiert. Als seien das Sachzwänge und Alternativlosigkeiten gewesen. Aber das stimmt nicht. Hinter all diesen Entwicklungen stehen Gremien, Institutionen – und Menschen. Sie haben ganz bewusst dafür gesorgt, dass wir unseren ökologischen Lebensgrundlagen einen solchen Schaden zufügen. Das sind Fragen des politischen Willens.

Glauben Sie, dass es ein Potenzial zur Radikalität bei FFF gibt?

Neubauer: Was ist denn Radikalität? Das ist ganz schwierig. Die Leute denken, jetzt werden wir alle Radikale. Das Wort hat von seiner Herkunft her nichts mit Gewalt zu tun. Es kommt von "radix", das heißt: an der Wurzel packen.

Dann konkreter: Gibt es Potenzial zur Gewaltbereitschaft?

Neubauer: Nein, das sehe ich nicht. Fridays For Future ist gewaltfrei – und wer gewaltbereit ist, von dem distanzieren wir uns. Wir haben eine tief pazifistische Überzeugung und ein moralisches Verantwortungsbewusstsein dafür, dass Gewalt keine Lösung sein kann. Ein Stück weit möchten wir die Welt vorleben, die wir gerne hätten. Gewalt hat da keinen Platz.

Was ist denn legitim, was wäre in Deutschland vorstellbar – ein paar Beispielfragen: Ist es legitim, den Verkehr in einer Großstadt wie Berlin zum Erliegen zu bringen?

Neubauer: Innenstadtblockaden sind Teil einer Aktionsform des zivilen Ungehorsams – ob das legitim ist, hängt vom Kontext ab. Gerade bei den Blockaden ist es auch die Frage, wie die ausgefüllt werden. Man kann Rettungsgassen und Wege für Menschen freilassen, die wirklich durchkommen müssen. Du blockierst ja nicht einfach Autos, um zu nerven, sondern als Teil einer Strategie und nie willkürlich.

Strategisch mag es sein, aber förderlich für die Diskussion?

Neubauer: Es kann förderlich sein für das große Ganze, ja. Wie sind denn die großen sozialen Veränderungen historisch gesehen zustande gekommen? Da war oft ziviler Ungehorsam ein Teil. Fragen Sie mal Heinrich Böll und Hannah Arendt.

Ist es legitim, Geländewagen von Privatleuten mit Aufklebern und nicht abwaschbarem Leim zu beschmieren?

Neubauer: Zumindest in meinen Augen muss man das nicht machen. Ich gehe davon aus, dass Menschen die Sticker aber vielleicht nicht mit dem Wissen aufgeklebt haben, dass sie damit den Lack beschädigen. Ich hatte das auch mal, ich habe Ärger mit meiner Vermieterin bekommen, weil ich einen Sticker auf meine Wohnungstür geklebt habe. Die meinte dann, das sei Sachbeschädigung, was natürlich nicht meine Absicht war. Wenn man das aber mutwillig macht, um Lack zu beschädigen, dann kann man das vielleicht auch einfach sein lassen.

Ist es legitim, Drohnen am Flughafen Heathrow steigen zu lassen, um damit den Betrieb zu stören?

Neubauer: Darüber kann ich nicht urteilen. Ich würde das nicht befürworten, aber ich habe auch zu wenig Ahnung von Drohnentechnik und den Gefahren an einem Flughafen.

Deswegen ist es verboten, von Leuten, die Ahnung davon haben.

Neubauer: Ja, aber es ist auch verboten, eine Innenstadt zu blockieren. Dort kann man das aber als Laie eher einschätzen. Blockaden von Flughäfen kann ich total nachvollziehen. 

Ist es legitim, Polizisten mit Fäkalien zu bewerfen, um eine Besetzung des Hambacher Forsts aufrechtzuerhalten?

Neubauer: Ich finde, man sollte gar keinen Menschen mit Fäkalien bewerfen. Das ist entwürdigend. Aber die Hambacher-Forst-Geschichte ist spannend. Da haben Leute jahrelang den Wald besetzt, in den meisten Fällen friedlich. Die mussten sich anhören, sie seien Anarchos, Ökos, die nicht loslassen. Bis der Wald zum Sinnbild für gesamtgesellschaftlichen Widerstand wurde. Bis auf einmal 50.000 Leute durch den Wald gelaufen sind. Die, die sich die Sprüche anhören mussten, haben für uns den Weg bereitet - die "Radikalos", die nicht Ruhe geben können. Das sollte uns zu denken geben, wie wir über Menschen, die sich mit zivilem Ungehorsam engagieren, denken und urteilen.

Im Schatten der Diskussion um den Hambacher Wald haben sich aber auch radikalere Kräfte vorgewagt. Könnte das eine Analogie sein, dass im Schatten von "Fridays For Future" und im Dunstkreis der Klimabewegung Leute die Debatte eher für Krawall nutzen?

Neubauer: Die Gefahr gibt es in jeder großen Bewegung und an Orten, wo sich viele Menschen organisieren. Da liegt es in der Verantwortung des friedlichen Widerstandes, einen Umgang damit zu finden.

Klimaaktivistin im Interview: Sind wir zu brav, Luisa Neubauer?

© Oliver Berg/dpa

Sind wir als Gesellschaft zu brav?

Neubauer: Ja, wir könnten agiler werden. Ziviler Ungehorsam ist keine mutwillige Grenzüberschreitung aus Jux und Tollerei. Er ist das Resultat aus einem Pflichtenkonflikt. Die Pflicht, gegen Ungerechtigkeiten anzugehen wird größer als die Pflicht, Gesetze einzuhalten. Das ist Teil einer lebhaften und wehrhaften Demokratie. Dass Menschen das erkennen und dagegen aufbegehren, spricht dafür, dass in diesem Land auch sehr viel richtig läuft.

Rüttelt "Fridays For Future" am Kapitalismus?

Neubauer: Wir rütteln an den Verhältnissen, die die Klimakrise befeuern. Die Art, wie wir wirtschaften, ist dabei ein großes Rad.

Rütteln Sie persönlich an ihm? Ist nachhaltige Klimapolitik - oder auch disruptive Veränderungen - mit dem Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form machbar?

Neubauer: Die Art, wie wir wirtschaften, ist aus der Zeit gefallen. Daran rüttle ich. Seine Daseinsberechtigung verrinnt mit jedem Menschen, der in extremer Armut lebt, trotz des globalen Wohlstandes. Viele Menschen wissen nicht mehr, was der Wohlstandszuwachs sein soll. Es geht nicht mehr darum, wie es Leuten wirklich geht, sondern wie es den Indikatoren geht, die wir uns im 20. Jahrhundert ausgedacht haben.

Welche Indikatoren schweben Ihnen vor?

Neubauer: Das Glück der Menschen, die relative Zufriedenheit. Menschen, die in gleichberechtigten Gesellschaften leben, sind glücklicher. Wir müssen weg vom fanatischen Blick auf das Bruttoinlandsprodukt.

Darf man Verantwortungslosigkeit anprangern ohne selbst nach der ultimativen Verantwortung zu streben? Oder eher: Wie lange darf man das?

Neubauer: Verantwortungsübernahme ist nicht nur das, was mit dem politischen Mandat einhergeht. Auch ein Unternehmer, ein Mitarbeiter oder eine Café-Inhaberin können das. Ich hoffe, ich werde meiner Verantwortung als junger, politisierter und privilegierter Mensch ein Stück weit gerecht.

Kann Fridays For Future der Nährboden dafür sein, für eine neue Generation politisierter, junger Menschen?

Neubauer: Sicherlich, genau das erleben wir gerade. Viele fühlen sich inspiriert, sich für Mandate zu bewerben. Das finde ich großartig. Ich finde aber nicht, dass jeder Mensch, der sich öffentlich zu Themen äußert, dafür geschaffen sein muss, sich in der parlamentarischen Politik wiederzufinden. Das sollten mehr Menschen begreifen und schauen, wem liegt so etwas und wem nicht. Ob das für mich in Frage kommt, werde ich herausfinden. Aber definitiv nicht in den nächsten Jahren.

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Also schließen Sie es nicht aus?

Neubauer: Ich bin 23 Jahre alt. Ich finde, man sollte gar nichts kategorisch ausschließen.

Fast alle Gallionsfiguren in der internationalen Klimabewegung sind Frauen, die Mehrheit der Mitglieder weiblich - warum? Und wie prägt das die Bewegung?

Neubauer: Würden wir in einer weniger patriarchalen Welt leben, wäre es normal, dass sich auch mal Frauen äußern. Diese Novelle, die Erzählung, bei uns stünden Frauen an der Spitze, ist nur etwas Besonderes, weil sie im Kontrast steht. Etwa zu den DAX-Konzernen, in der Frauen in der Minderheit sind. Aber es ist natürlich so, dass sich Frauen durch uns sichtbare Frauen ganz anders angesprochen fühlen. Ein Stück weit leben wir in der Klimagerechtigkeitsbewegung vor, was wir woanders einfordern.

Darf man Angst instrumentalisieren? Muss man mit Schreckensszenarien arbeiten?

Neubauer: Es geht nicht um Schreckensszenarien. Wir reden über die konkrete Zukunft, nicht über die Apokalypse. Sorry Leute, es tut mir leid, für mich ist das eine potenzielle Lebensrealität. Dem müssen wir uns doch stellen. Wenn wir das in rosarote Watte packen, wie können wir dann unsere Gegenwart kalibrieren?

Bevormundet die Politik die Menschen?

Neubauer: In der Klimafrage? Ja, dort wird so getan, als sei es unzumutbar, die wissenschaftliche Wahrheit über die Klimakrise zu kommunizieren. Ich habe im letzten Jahr Hunderte Gespräche mit Menschen in Entscheiderpositionen geführt. Wenn sie mir erklären, warum sie keinen Klimaschutz machen können, ist die häufigste Argumentation, dass könne man den Leuten nicht zumuten. Wir wissen, dass es statistische Mehrheiten für ökologischen und gerechten Wandel gibt. Wenn man die Leute fragt. Aber das tun Forsa und Infratest derzeit deutlich mehr als die Leute, die unsere Politik machen. Was für ein verschobenes Verhältnis!

Was hat "Fridays For Future" erreicht? Was ist der große Nutzen der Bewegung, der Nutzen, weswegen man sagen müsste, dass die Bewegung bleiben und weitermachen muss?

Neubauer: Zum Beispiel, dass sich die Nürnberger Nachrichten und die Nürnberger Zeitung in der Jahresendbeilage mit einer ganzen Seite der Klimakrise widmen. Das ist ein Zeichen, dass wir eine Debatte gestartet haben über eine fatal übersehene Krise.

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