Mit dem Ranger zum Lusen und auf den Großen Rachel

Blockhütten und Urwald: Hier ist Bayern kanadisch

3.4.2021, 08:00 Uhr
Blockhütte in der Wildnis: Der Ausblick aus der Rachelkapelle ist beeindruckend, sie ist spektakulär an der Seekarwand errichtet.

© Peter Ehler, NN Blockhütte in der Wildnis: Der Ausblick aus der Rachelkapelle ist beeindruckend, sie ist spektakulär an der Seekarwand errichtet.

Die Steine sind schroff, die Eiszeit hat den Berggipfel des Lusen vor Jahrtausenden freigespült. Hier türmen sich die gelb bemoosten Blocksteine sogar am Gipfelkreuz, an Wanderwegen gluckert das Wasser stellenweise unsichtbar unter einer Decke aus dichten Pestwurz-Blättern dahin. Die Schluchten galten früher als Vorhof zur Hölle.

Für viele Menschen war das der Bayerische Wald auch noch vor einigen Jahrzehnten, als ein Orkan die Fichten umwarf, tausende Festmeter einfach liegen blieben und der Borkenkäfer sich durchs Holz fraß. Die Gegend um den Lusen und Großen Rachel glich einer Mondlandschaft. Inzwischen ist der Nationalpark Bayerischer Wald der letzte Urwald in Europa. Warum also für atemberaubende Natur über den Atlantik fliegen, wenn hier Bayerisch-Kanada zum Wandern direkt vor der Haustür liegt?

Wildnis mitten in Europa

Im Nationalpark entwickelt sich die Natur wieder weitestgehend ungestört von menschlichen Eingriffen. Zusammen mit dem Nationalpark Šumava in Tschechien bildet er das Grüne Dach, „wo mitten in Europa wieder Wildnis entsteht“, sagt Wanderführerin Petra Jehl. Die Umweltpädagogin begleitet grenzüberschreitende Touren in „Europas Wildes Herz“ – durch Wälder und Moore.

Auf deutscher Seite begegnen wir auf kleinen Steigen ungebändigter Natur mit geheimnisvollen Urwäldern. Im tschechischen Šumava erleben wir Moorflächen mit dunklen Seen auf den Hochebenen, die den Blick weit über die Wälder tragen. Schließlich verbinden alte Handelswege und Grenzsteige Bayern und Böhmen und erzählen von einer gemeinsamen Geschichte.

Petra Jehl ist Mitbegründerin von WaldZeit, einem Partner der Nationalparkverwaltung mit Outdoor-Angebot. Heute geht es von Finsterau aus auf den Lusen und den Rachel. Im Linienbus kommt man schnell an die tschechische Grenze und von dort führt der Weg direkt in die Waldwildnis des Nationalparks. Über den Siebensteinkopf verläuft die Etappe hoch auf den Lusen, der mit 1373 Metern der zweithöchste Berg des Nationalparks ist.

Auf diesem See trieb das Holz ins Tal

Es geht vorbei an der Reschbachklause, dem größten und am höchsten gelegenen Floßsee entlang des Reschbachs. Der Stausee diente früher der Holzdrift. Die Arbeiter warfen das Holz in den Fluss und ließen die Stämme im Wasser abwärts ins Tal treiben. „In diesem Bereich des Nationalparks finden wir viele Hinweise auf die ehemalige Waldbewirtschaftung, wie alte Triftklausen und Schlittenziehbahnen“, sagt die Waldführerin.

Grenzüberscheitend: Beim Finsterauer Filz geht die Wanderung nach Tschechien in den Nationalpark Šumava.

Grenzüberscheitend: Beim Finsterauer Filz geht die Wanderung nach Tschechien in den Nationalpark Šumava. © Peter Ehler

Es werden aber auch die Umbrüche sichtbar. Windwürfe und Borkenkäfer haben die Landschaft verändert und geben Raum für eine Walddynamik, die ohne die lenkende Hand des Menschen abläuft. So sind große Flächen des Fichtenhochwaldes abgestorben, „die Stämme ragen silbern schimmernd in den Himmel oder liegen kreuz und quer übereinander“, erklärt Petra Jehl. Schon jetzt ist hier Lebensraum für Luchse, Wölfe, Fischotter und Auerhühner. In Tschechien sind sogar die Elche wieder heimisch.

Die Natur sich selbst überlassen

„Natur Natur sein lassen“ – diese nicht unumstrittene Philosophie vertritt der Nationalpark Bayerischer Wald seit vielen Jahrzehnten. Doch was heißt das genau? „Wir möchten den Menschen das Verständnis für die neue Wildnis näher bringen“, sagt Petra Jehl. Vor 20 Jahren hat sie den Verein WaldZeit mit angestoßen. Ziel der Umweltpädagogen, Naturwissenschaftler und Waldführer war es damals, Umweltbildung zu machen und für den Park zu werben. Im vergangenen Sommer feierte dieser immerhin stolz seinen 50. Geburtstag.

Vor einigen Jahren war der Rachel, mit 1453 Metern der höchste Berg im Nationalpark, als beliebtester Berg Deutschlands ausgezeichnet worden. Über dem See sieht man die trutzige Rachelkapelle .

Vor einigen Jahren war der Rachel, mit 1453 Metern der höchste Berg im Nationalpark, als beliebtester Berg Deutschlands ausgezeichnet worden. Über dem See sieht man die trutzige Rachelkapelle . © Peter Ehler

Der Bayerische Wald ist ein typisches Mittelgebirge. Es erwarten uns also keine alpinen Steige und extreme Höhenunterschiede. Die Fernwanderungen versprechen dennoch Abwechslung und Abenteuer. Und spannend sind sicher auch die Übernachtungsplätze. Es ist fast alles dabei: Von einer Brotzeit in einer einfachen Selbstversorgerhütte idyllisch auf einer Waldlichtung, einer Übernachtung im Freilichtmuseum oder in einer der vielen familiengeführten Pensionen, bis hin zum Stockbett in der Berghütte.

Bei der Tour verbringen wir die Nacht im Lusenschutzhaus. Der Bayerische Wald-Verein hat die Hütte in den 1930er Jahren erbaut. „Steht unbedingt vor dem Sonnenaufgang auf“, raten die Wirtsleute Bettina und Heinz bei der Brotzeit am Abend. Denn in nur fünf Minuten ist man über das Blockfeld am Gipfel und hat in der Morgensonne einen Blick über weite Teile Bayerns bis hin zu den Alpen, in östlicher Richtung bis tief ins Nachbarland Tschechien.

Die Sage von der Lusenhex

Der Sage zufolge ist das Blockfeld das Werk des Teufels oder der Lusenhex. Alle Schätze dieser Welt sollen sie hier zusammengetragen und unter den Felstrümmern angehäuft haben. Tatsächlich ist das Gestein ein Verwitterungsblockmeer. Während der letzten Eiszeit lugte der Gipfel aus dem Eis hervor und war Regen, Sonne und Frost ausgesetzt. In den 1980er Jahren hatten Sturm und Borkenkäfer den Abschnitt unterhalb des Gipfels zerstört. Inzwischen hat sich der Wald verjüngt, der Wanderpfad an der Himmelsleiter ist als schlankes Band erkennbar, es spitzen nur noch wenige tote Bäume heraus. Der lange, gerade Weg führt zur Glasarche hinab – einem fünf Meter langem Glasschiff, getragen von einer Holzhand. Es ankert nun mitten im Waldmeer und soll auf die Bedeutung der Waldes als Glasregion verweisen.

Die Glasarche  – ein fünf Meter langes Glasschiff wird von einer Holzhand umfasst. Das Kunstwerk soll auf die Bedeutung der Waldes als Glasregion verweisen.

Die Glasarche  – ein fünf Meter langes Glasschiff wird von einer Holzhand umfasst. Das Kunstwerk soll auf die Bedeutung der Waldes als Glasregion verweisen. © Peter Ehler

Am Teufelsloch fließt der Bach unter den Granitblöcken. „Die Geräusche waren früher als schaurige Laute des Teufels gedeutet worden“, weiß Petra Jehl, als es weiter an einer Felsenkanzel vorbei zum Rachelsee und zur Rachelkapelle geht. Vor einigen Jahren war der Rachel, mit 1453 Metern der höchste Berg im Nationalpark, als beliebtester Berg Deutschlands ausgezeichnet worden. Auch hier sind Urwaldreliktkäfer, seltene Pilz- und Vogelarten, die auf das Totholz angewiesen sind, zurückgekehrt. Es entsteht neue Wildnis - mitten in Deutschland.

Mehr Informationen:
Ferienregion Nationalpark Bayerischer Wald
Tel.: 08553 8919165
www.ferienregion-nationalpark.de
Touren mit WaldZeit e. V.
Tel.: 08553 920652 www.waldzeit.de
Anreise: Von Nürnberg über die Autobahn
A 3 in Richtung Grafenau. Im Nationalpark fahren Bahn und Busse zu den Ausgangspunkten für die Wanderungen - mit Gästekarte kostenlos.
Beste Reisezeit:
Mai bis Oktober
Übernachten:
Lusenschutzhaus auf 1343 Metern Höhe
Tel.: 08553 1212,
www.lusenwirt.de

Verwandte Themen