Wiedersehensfreude im Heimathafen

26.4.2016, 21:31 Uhr
Wiedersehensfreude im Heimathafen

© Foto: KUS-Projekt/Carolina Hiebl

Bis Weihnachten verging die Zeit unendlich langsam. Danach legte sie an Tempo zu, um ab Ostern nur so zu verrinnen. „Der Vorgänger-Jahrgang hat uns schon vorgewarnt und es war wirklich so“, erzählt Claudia Weinig. Tochter Jana hat die vergangenen sechs Monate auf einem Segelschiff gelebt statt zu Hause in Roth. Aber: „So seltsam es klingen mag – wir haben diese Monate als sehr intensive Familienzeit erlebt.“ Trotz der Entfernung oder vielleicht gerade deswegen.

Im Oktober ist die „Thor Heyerdahl“, ein 50 Meter langer Topsegelschoner, mit 34 Zehntklässlern, zehn professionellen Seeleuten und fünf Lehrern in Kiel in See gestochen. 190 Tage und 13 000 Seemeilen war die Crew unterwegs. Ihre Reise führte sie von Teneriffa im November über den Atlantik zu den kleinen Antillen und Grenada im Dezember, nach Panama im Januar und Kuba im Februar. Anschließend ging es über die Bahamas im März und die Azoren im April zurück nach Kiel.

Das Logo des KUS-Projekts

Das Logo des KUS-Projekts © Foto: KUS-Projekt/Carolina Hiebl

„Die Logbücher, Tagebücher und Bildergalerien, die die Schüler an Bord ins Internet gestellt haben, waren in dieser Zeit eine absolute Pflichtlektüre für uns“, sagt Mama Weinig. Unter Eltern, Oma, Opa und Freunden entbrannte ein regelrechter Wettkampf darum, wer neue Nachrichten zuerst entdeckte. „Dadurch hatten wir zu Hause zumindest ein bisschen das Gefühl, dabei zu sein.“

Sein Kind in ein solches Abenteuer zu schicken, ist nicht leicht. Schließlich standen auch Vulkanbesteigungen, Dschungelwanderungen und das Klettern in die bis zu 30 Meter hohen Masten auf dem Programm. Handys waren an Bord verboten und der Kontakt nach Hause nur während der Landaufenthalte etwa alle drei Wochen über Internet möglich. „Vor der Besteigung des Barú auf Panama hatte sie richtig Muffe und als sie es dann geschafft hat, hat sie uns nachts um drei Uhr angerufen – aber das wiegt einen müden Eltern-Morgen locker auf“,, erzählt Janas Mutter.

Ihre Tochter wird nicht mehr dieselbe sein

Mama und Papa schrieben unabhängig voneinander Tagebuch, während ihre Tochter um die Welt segelte. Sie schickten ihr Briefe mit Neuigkeiten von zu Hause. Denn einmal im Monat ist Posttag an Bord der Thor Heyerdahl, wenn einzelne Besatzungsmitglieder wechseln. Auch die Schüler schrieben zurück. „Wann schickt man sich heutzutage noch seitenlange Briefe?“, sagt Weinig. „Ich glaube, dadurch haben wir uns tatsächlich ein bisschen besser kennengelernt.“ Auch wenn Jana weit weg war, haben sie jeden Tag an sie gedacht: Was sie wohl gerade macht, wie es ihr geht und was sie erlebt. „Jana war zwar weg, aber vielleicht sogar präsenter als im Alltag, wenn es normal ist, sich zu sehen und man auch mehr Gelegenheiten hat, sich übereinander zu ärgern.“

Die Familie glaubt, dass sie eine andere Tochter zurückbekommt als die, die losgefahren ist: „Wir sind gespannt, was Jana von ihrer Reise mitbringt, bestimmt mehr Selbstständigkeit, Eigenverantwortung und Offenheit gegenüber anderen Kulturen – aber auch die Fähigkeit, für 50 Leute zu kochen und die Gewissheit, dass Duschen eine tolle Erfindung sind.“

Wiedersehensfreude im Heimathafen

© Foto: KUS-Projekt/Carolina Hiebl

Familie Neuner hat das schon einmal erlebt. Ihr Sohn Oliver war 2010/2011 mit dabei, diesmal ist Tochter Sophie an Bord. Ihr Bruder hat bis heute eine Vitrine mit Erinnerungsstücken in seinem Zimmer stehen, das Logbuch, ein Schiffstau und viele Fotos an der Wand. Auch seinen Segelschein hat er anschließend gemacht. Die Freunde, die er beim „Klassenzimmer unter Segeln“ gewonnen hat, besuchen sich regelmäßig in ganz Deutschland. „Es war interessant zu beobachten, wie die Reise ihn verändert hat“, erinnert sich Mama Susanne Neuner. Jetzt haben sie zu Hause ein Willkommensbanner für Sophie aufgehängt und ihr Zimmer maritim geschmückt. „Wir werden versuchen, ihr Zeit zu geben, um sich wieder einzufinden und Verständnis haben, wenn sie nun viele Dinge alleine erledigen will.“

Vom Kapitän zurück zum Kind

Die 15- und 16-Jährigen sind auf dem Schiff voll verantwortliche Mitglieder der Mannschaft. Dreimal übernehmen sie das Kommando komplett und segeln alleine. Sie planen die Landaufenthalte selbst, kochen, waschen und putzen. Da ist es schon eine Umstellung, zu Hause wieder Kind zu sein. „Sophie ist schon immer sehr selbstbewusst und zielstrebig“, sagt ihre Mutter. „Ich glaube, dass sich das noch verfestigt hat und sie so schnell nichts mehr erschüttert.“

Am Samstag ist die ganze Familie nach Kiel gefahren, um das Schiff und Sophie zu begrüßen. „Auf diesen Moment, wenn die Thor um die Ecke biegt und alle Teilnehmer in den Segelmasten stehen, wartet man ein halbes Jahr“, sagt Neuner. „Das ist sehr emotional und ein absolutes Highlight.“ Verwandte und Freunde stehen am Kai und jubeln. Sophies Großvater spielt in einer Blasmusikkapelle mit, die noch am Morgen Begrüßungslieder einstudiert hat. Als der Kapitän die Gangway freigibt, gibt es kein Halten mehr: Alle liegen sich in den Armen, lachen und weinen. Dann beginnt noch mal ein offizieller Teil: Dankesreden, Lieder, Gedichte, Geschenke und auch die Zeugnisübergabe für das Schuljahr an Bord. Die Eltern haben ein Buffet vorbereitet und der bayerische Leberkäse kommt besonders gut an.

„Es war schon komisch für Sophie, von Bord zu gehen, sie hatte auch irgendwie Angst davor, wieder zu landen“, erzählt ihre Mama. Janas Mutter sagt: „Jana war zwischendrin ein bisschen nachdenklich-melancholisch, sie kann noch gar nicht glauben, dass es wirklich vorbei ist.“ Als alle wirklich gehen müssen, fließen viele Tränen. Jetzt bleiben Erinnerungen, unzählige Fotos, Muschelohrringe, eine Hängematte aus Panama. Und erst mal fünf Ladungen Wäsche für Mama.

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