"Geht nicht darum, jemanden zu decken"

Apotheker in der Schweigepflicht-Falle: Warum Anzeigen gegen Impfpassbetrüger schwierig sind

28.10.2021, 11:44 Uhr
Allein in Bayerns Apotheken wurden Zehntausende Impfzertifikate ausgestellt. 

© Mohssen Assanimoghaddam, dpa Allein in Bayerns Apotheken wurden Zehntausende Impfzertifikate ausgestellt. 

Es war ein florierendes Geschäft, darauf deutet alles hin. Allein im Oktober produzierte eine bayerische Bande weit über 500 QR-Codes, mit denen Menschen ihre Impfung gegen das Coronavirus vortäuschen können. Sie sind die Eintrittskarte in Restaurants, in Bars, ins öffentliche Leben. Gespritzt wurde aber wohl kaum einer der Empfänger der Zertifikate - sie alle erschlichen sich ihren Status als Geimpfte für exakt 350 Euro.

Das Ticket in die Freiheit lieferte der Fälscherring, den die Polizei vergangene Woche sprengte. Von einer Apotheke im Münchner Stadtteil Schwabing aus betrieben die Betrüger über Cybercrime-Foren ihren Handel mit den Nachweisen. Bis zur Razzia am Freitag. Jetzt sitzen zwei Menschen, eine Mitarbeiterin der Apotheke und ein Komplize, in Untersuchungshaft. Bargeld und Kryptowährung im Wert von mehr als 100.000 Euro konfiszierten die Ermittler. Ein außergewöhnlicher Fund, bemerkenswert, sagt auch Innenminister Joachim Herrmann. Aber wohl nur die Spitze des Eisberges.

70 Fälle allein in Mittelfranken

Seit Monaten nimmt der Handel mit gefälschten Impfzertifikaten zu. Oft werden die Nachweise zu Schleuderpreisen im Internet verkauft, besonders der Messengerdienst Telegram ist als Marktplatz für fingierte gelbe Impfhefte beliebt. Doch immer häufiger treibt es die Betrüger zur Digitalisierung ihrer gefälschten Dokumente auch in fränkische Apotheken. Dann, wenn die analoge Fälschung digital wird, ist sie perfekt. Allein in Mittelfranken verfolgt die Polizei aktuell 70 ähnlich gelagerte Fälle. Ein Großteil, etwa in Fürth, wo das Präsidium bislang 40 Ermittlungsverfahren zählt, angezeigt von den aufmerksamen Apotheken selbst.

Die Unsicherheit aber ist groß, denn: Apotheker unterliegen wie Ärzte und Rechtsanwälte grundsätzlich einer Verschwiegenheitspflicht. Sensible Daten dürfen sie selbst während Ermittlungsverfahren häufig nicht weitergeben. Ein Apothekerverband in Deutschland soll betroffenen Mitgliedern sogar geraten haben, sich direkt von den Impfpass-Betrügern von der Schweigepflicht entbinden zu lassen - per Formular. Mit einer Unterschrift brächten die sich aber quasi selbst ins Gefängnis. Ein grotesker Vorschlag.

"Es geht nicht darum, jemanden zu decken"

Auch die bayerische Apothekerkammer, die 15.000 Beschäftigte im Freistaat vertritt, sieht Probleme. "Auch wir können im Prinzip nicht generell die Empfehlung aussprechen, Strafanzeige zu stellen", sagt Justitiar Klaus Laskowski. Damit würden Apotheker immer riskieren, gegen die Schweigepflicht zu verstoßen - und im Extremfall selbst auf der Anklagebank landen. "Es geht nicht darum, jemanden zu decken. Aber die Rechtslage ist da sehr restriktiv."

Wenn Apotheker auf einen möglicherweise gefälschten Impfpass stoßen, stecken sie in einem Dilemma. Freiheitsrecht gegen die Aufklärung einer möglichen Straftat, Verschwiegenheit gegen Betrug. "Am besten sucht der Apotheker Kontakt zur Staatsanwaltschaft und klärt, ob er ein Aussagerecht hat oder nicht", sagt Kammer-Justitiar Laskowski. "Das wird aber tendenziell die Ausnahme sein." Im Zweifel sollten sich Betroffene selbst einen Anwalt nehmen - doch gerade im Alltag dürften viele den Aufwand scheuen. Immerhin: Apotheker können die Digitalisierung des Impfpasses verweigern, wenn sie Zweifel an der Echtheit haben.

Spagat strapaziert Apotheker

Gegen die Schweigepflicht verstoßen dürfen Apotheker nur, wenn ein höheres Rechtsgut bedroht ist. "Das können möglicherweise die körperliche Unversehrtheit oder Dinge, bei denen es um Leib und Leben geht, sein", sagt Laskowski. Ansonsten steht das Recht des Patienten auf Privatgeheimnisse aber darüber. "Um alle zu schützen, muss der Staat hin und wieder auch die Falschen schützen." Ein Spagat, der auch Apotheker strapaziert.

Auch der Rechtsanwalt Christian Solmecke sieht ein gewaltiges Spannungsfeld. Auch er verweist auf Paragraph 203 des Strafgesetzbuches, in dem die Verschwiegenheitspflicht definiert ist. Wann dürfen Vertrauenspersonen dagegen verstoßen? "Diese Problematik wird häufig im Zusammenhang mit gefälschten Rezepten von Drogenabhängigen diskutiert", erklärt Solmecke. Besonders Apothekerkammern seien vorsichtig. "Sie vertreten eher die Ansicht, dass der Bruch der Schweigepflicht nur bei gravierenden Straftaten gerechtfertigt ist und sie sich sonst strafbar machen würden."

Machen sich Käufer überhaupt strafbar?

Dabei ist noch nicht einmal klar, ob sich Impfpass-Betrüger überhaupt strafbar machen. Ärzte, die falsche Pässe ausstellen, verstoßen gegen die Infektionsschutzverordnung, wer das Dokument nutzt ebenfalls, auch das Ausweisen vor Behörden mit einem solchen Dokument ist verboten. Doch dann wird es kompliziert. "Wer hingegen als Privatperson mit gefälschten Impfpässen handelt, macht sich nicht strafbar", sagt Rechtsanwalt Solmecke. "Gleiches gilt für die, die einen falschen Impfpass von einem Privaten kaufen und diesen im täglichen Leben gegenüber Restaurants vorzeigen."

Die Meinung des Juristen ist umstritten, seit Monaten schwelt der Streit um die rechtlichen Konsequenzen. Ein höchstrichterliches Urteil fehlt bislang, Staatsanwaltschaften prüfen derzeit jeden Einzelfall. Es sei "dringend notwendig, dass der Gesetzgeber tätig wird und diese Strafbarkeitslücke, die meiner Ansicht nach besteht, schließt", sagt Solmecke.

Das gilt auch für den Münchner Fälscherring. Wegen der "besonderen Bedeutung", erklärt ein Sprecher, liegen die Ermittlungen bei der Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen (ZKG), die bei der Nürnberger Generalstaatsanwaltschaft angesiedelt ist. Zwei Verdächtige sitzen inzwischen in Untersuchungshaft, der Verdacht, dass sie sich mit dem Handel tatsächlich strafbar gemacht haben, hat sich erhärtet.

Käufer aus Münchner Fall kommen wohl davon

Was die Käufer der gefälschten Zertifikate angeht, will sich die ZKG aber ausdrücklich nicht festlegen. Man prüfe die "strafrechtliche Relevanz der Abnehmerkunden", heißt es. "Aber es gibt noch keine abschließende Rechtsmeinung."

So oder so wird es Betrügern denkbar einfach gemacht. Die gelben Impfhefte haben keinerlei Sicherheitsmerkmale, die Chargennummern sind simple Aufkleber, die Stempel gibt es über jeden Online-Versand zu kaufen. Die Digitalisierung in der Apotheke ist der einzige echte Fallstrick für Fälscher. Doch selbst wenn aufmerksame Apotheker eingreifen, kommen Käufer häufig davon. Wie im Münchner Fall. Das System, in dem die QR-Codes generiert wurden, speichert keine Namen - auch aus Gründen des Datenschutzes. Ob die Zertifikate jemals aus dem Verkehr gezogen werden, bleibt unklar.

Irgendwo in Bayern wird also einer der Betrüger seine CovPass-App öffnen, seinen QR-Code zeigen - und in ein Restaurant, ein Kino, einen Betrieb gehen. Er gilt als geimpft, ohne jemals eine Spritze bekommen zu haben.