Genauere Prüfung gefordert

Architekt fordert: Nürnbergs Opernhaus besser abreißen als sanieren

9.11.2021, 10:03 Uhr
Das Opernhaus steht unter Denkmalschutz. Trotzdem wird auch das Thema Abriss ins Spiel gebracht.

© Eduard Weigert, NNZ Das Opernhaus steht unter Denkmalschutz. Trotzdem wird auch das Thema Abriss ins Spiel gebracht.

Das Opernhaus soll saniert werden. Eine richtige Entscheidung?

Thomas Glöckner: Zunächst einmal ist es die richtige Entscheidung, dass es in Nürnberg auch in Zukunft ein Opernhaus geben soll.

Und trotzdem hadern Sie mit geplanten Sanierung des Gebäudes. Es handelt sich immerhin um ein denkmalgeschütztes und somit wohl wertvolles Ensemble…

Glöckner: ...ich möchte einige Punkte zur Beurteilung heranziehen – erstens die funktionalen Aspekte: das Opernhaus funktioniert nicht besonders gut. Zum Beispiel lassen sich moderne Kulissen nur mit viel Aufwand einbauen. Erstellt werden diese in den Werkstätten des Nebengebäudes. Da die Verbindung zwischen Werkstatt und Bühne zu schmal ist, müssen die fertigen Bühnenbilder wieder zersägt oder zerlegt, eingebracht und wieder aufgebaut werden. Bühnenbilder sind heute dreidimensionale Konstruktionen und keine Gemälde mehr.

Funktionale Mängel

Solche funktionalen Mängel müssen bei einer Sanierung behoben werden können, um die immensen Betriebskosten von 44 Millionen Euro pro Jahr aus Steuergeldern zu senken. Eine derart teure Sanierung muss in jedem Fall einen Mehrwert schaffen und nicht einfach nur ein mittelmäßiges Gebäude reparieren.

Genau das ist doch geplant. Das Staatstheater und die Stadt wollen durch eine Sanierung des Gebäudes eine deutliche Verbesserung erreichen. Glöckner: Dazu passt mein zweiter Punkt – die Qualität der Architektur und die Bedeutung des Bauwerks. Bei Wikipedia heißt es: „Ein stilistisches Formgemisch von Neorenaissance, Neobarock und zaghaften Anklängen an den Jugendstil prägt die Fassaden.“ Der Satz sagt schon recht viel. Die Architektur Seelings erreicht ganz sicher nicht die Qualität anderer berühmter Häuser. Städtebaulich betrachtet sind die Ausrichtung des Gebäudes und auch der Richard-Wagner-Platz formal unglücklich.

Moment mal. Das 1905 erbaute Haus steht unter Denkmalschutz... Glöckner: ...natürlich hat das Gebäude seine Geschichte, aber es handelt sich dennoch „nur“ um einen mit Sandstein verblendeten Stahlskelettbau aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts. Das Gute am alten Opernhaus ist, dass es nach amerikanischem Vorbild als Stahlskelettkonstruktion mit einer Verblendung aus Sandstein gebaut wurde. Es könnte also sortenrein der weiteren Verwertung zugeführt werden.

Das heißt: In alle Einzelteile zerlegt auf der Bauschuttdeponie landen? Noch mal: Die Oper steht unter Denkmalschutz.

Glöckner: Die Entscheidung zu einem Ersatzneubau wäre mutig, aber in Nürnberg wohl kaum vorstellbar. Nach geltender Rechtslage dürfte es wohl nicht abgerissen werden. Denkmalschutz ist eine gute und wichtige Aufgabe. In Nürnberg droht der Denkmalschutz, den es seit gerade mal 100 Jahren gibt, in einer über 1000jährigen Stadt, jeglichen Willen zum Wandel zu ersticken – falls sie ihn denn hätte.

Andere Städte reißen doch ihre Opernhäuser auch nicht einfach ab, oder?

Glöckner: Man darf nicht vergessen, dass es die Semperoper nicht gäbe, wenn man das ursprüngliche, bei einem Feuer zerstörte Opernhaus in Dresden, wegen Denkmalschutzauflagen wieder hätte aufbauen müssen. Niemand trauert dem ersten Gebäude nach und man hatte sicher gute Gründe für den Neubau der Semperoper an anderer Stelle.

Blicken wir auf einen möglichen Neubau: Würde der mehr kosten als die Sanierung?

Glöckner: Die Neubauten in Amsterdam, Oslo und Kopenhagen haben zwischen 300 und 500 Millionen Euro gekostet - dabei haben diese sogar mehrere Bühnen. Sie haben sich im Städtetourismus zu wahren Magneten entwickelt. Die Elbphilharmonie hat wegen der extrem aufwändigen Baukonstruktion 800 Millionen gekostet und hat sich in der wirtschaftlichen Gesamtbilanz wahrscheinlich bereits heute für Hamburg gerechnet. Die Kosten bei Sanierungen sind im Vergleich zu Neubauten kaum zu kalkulieren. Die meisten Schäden werden sich erst nach den Bauteilöffnungen zeigen. Die Sanierungskosten des Deutsches Museum München stiegen von geschätzten 400 Millionen auf 745 Millionen Euro.

Das Opernhaus gehört der Kommune. Geht die Stadt Nürnberg bei Baumaßnahmen mutig voran?

Glöckner: Es fehlt ein breiter öffentlicher Diskurs. Derartige Großprojekte können heute nicht mehr nur im Sitzungssaal beschlossen werden. Das soll nicht heißen, dass Kultur nur nach dem Mehrheitsprinzip beurteilt werden soll – eine breitere Zustimmungsbasis dürfte aber nicht schaden. Es gibt viele Gründe für eine Sanierung, aber aus der Verantwortung für öffentliche Gelder, sollte auch ein Ersatzneubau in die Überlegungen einbezogen werden. Die mögliche Einsparung von 100 bis 200 Millionen Euro sollte nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden.

Zumal sich damit andernorts viel Kulturarbeit finanzieren ließe.

Glöckner: Ja. Man muss auch das Fairnessgebot zu anderen kulturellen Angeboten im Auge behalten: Nürnberg war einmal weit über seine Grenzen für Angebote wie „Jazz Ost-West“ bekannt. Das Festival wurde aus Kostengründen aufgegeben. Gerade entwickelt sich aus privater Initiative wieder das NUEJAZZ Festival – mit Förderquoten in homöopatischen Dosen.

Chancen für Kleinkunst

Das Gleiche gilt auch für Kleinkunst, Theater und viele Bereiche der sogenannten Subkultur. Ich plädieren nicht grundsätzlich für einen Ersatzneubau des Opernhauses. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass es nach einer derart teuren Sanierung wirklich strukturell und funktional besser ist und die Investitionen nicht zu Lasten anderer kultureller Projekte geht.

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