Festival-Bilanz

Wie das Nuejazz-Festival neu definiert, was Jazz jenseits von Sound und Ästhetik heute bedeutet

2.11.2021, 14:48 Uhr
Wie das Nuejazz-Festival neu definiert, was Jazz jenseits von Sound und Ästhetik heute bedeutet

© Foto: Lukas Diller

Nein, Jazz ist nicht tot und er riecht auch nicht schlecht, wie Scherzbold Frank Zappa einmal behauptet hatte. Er ist quicklebendig und mitunter ziemlich laut. So laut, dass man fast versucht ist, die ewige Diskussion vom Zaun zu brechen, welche fast so alt ist, wie der Begriff selbst: Ist das noch Jazz?

Was für eine Frage. Wenn man das Abschlusskonzert des diesjährigen Nuejazz-Festivals als exemplarisches Beispiel nehmen darf, dann ist Jazz im Jahr 2021 gar kein bestimmter Sound mehr, nicht mal mehr eine bestimmte Ästhetik, sondern einfach eine sich permanent wandelnde, zu großen Teilen improvisierte Musik, die vollkommen frei von stilistischen Scheuklappen alle erdenklichen Einflüsse aufsaugt und in etwas Neues, Eigenes transformiert.

In der Soundwerkstatt des Nuejazz-Festivals.

In der Soundwerkstatt des Nuejazz-Festivals. © Rebecca Schwarzmeier

2013 von den Nürnberger Musikern Frank Wuppinger und Marco Kühnl ins Leben gerufen, hat sich das Nuejazz-Festival längst zu einer international beachteten Plattform gemausert für eine Musik, die aus allem bereits Dagewesenem schöpft, es aus dem Augenblick heraus zu etwas individuellem Neuen formt, ohne sich einer bestimmten Tradition verpflichtet zu fühlen. Die anregt, fordert, beglückt und mitunter verstört.

Erstmalig fand das Festival nicht nur in der Kulturwerkstatt auf AEG, sondern parallel auch im Z-Bau statt, dabei wurden sogar alle Konzerte per Live-Stream in den jeweils anderen Ort übertragen. Volle Konzerte, oft grandiose Musik und überregionale mediale Aufmerksamkeit – die Veranstalter zeigen sich hoch zufrieden.

Auf hohem Qualitätsniveau: das Nuejazz-Festival 2021.

Auf hohem Qualitätsniveau: das Nuejazz-Festival 2021. © Rebecca Schwarzmeier

Am Samstag steht im Saal der Kulturwerkstatt mit TMT Xplosif ein neues Trio um die Nürnberger Gitarristin, Sängerin und Komponistin Monika Roscher auf der Bühne. Roscher hat in den vergangenen Jahren bereits mit ihrer Bigband für Furore gesorgt, die vor allem ein Vehikel für die raffinierten, experimentierfreudigen Kompositionen der Künstlerin war. Als Gitarristin ließ sie sich in dem Kontext allerdings nur wenig Raum zur freien Entfaltung.

Anders bei TMT: Flankiert von Tom Jahn an Orgel und Synthesizern und Tilman Herpichböhm an einem riesigen Drumset, welches durchaus der Gigantomanie eines Billy Cobham Konkurrenz macht, lässt sie ihre Fender Stratocaster hier endlich mal von der Leine. Der Sound ist im wahrsten Sinne des Wortes überwältigend: Die von Postrock, Progressive-Rock, Psychedelica, Jazzfunk oder sogar Techno befeuerten Stücke klingen eher wie gewaltige Eruptionen als wie Kompositionen.

Trip ins Ungewisse

Mitunter, wie in der schönen Ballade "In your eyes" kommen diese ruhigen, etwas an Portishead oder Radiohead erinnernden Momente, die man auch von Roschers Bigband kennt. Ansonsten herrscht hier bestens organisiertes Chaos: Ein lauter, mitreißender Trip ins Ungewisse.

Jazz, das heißt oft auch vielfältige Perkussion.

Jazz, das heißt oft auch vielfältige Perkussion. © Rebecca Schwarzmeier

Ein in vielerlei Hinsicht gegensätzliches Konzept verfolgt im Anschluss das Trio Bobby Rausch aus Berlin. Schlagzeuger Jürgen Meyer kommt mit einem minimalistischen Set aus, ihm zur Seite stehen mit Lutz Streun (Bassklarinette) und Oleg Hollmann (Bariton Saxophon) zwei Instrumentalisten, die man in diesem Kontext kaum erwarten würde. Spielen Bobby Rausch doch einen so bisher ungehörten Groove-Jazz, der auch ohne Bass, Keyboards, Bläser und Wah-wah-Gitarre dermaßen in die Beine fährt, dass am Schluss das gesamte Publikum am Hüpfen ist.

Die Bläser jagen ihre Instrumente durch ausufernde Effekt-Boards, spielen schmatzende Basslinien oder improvisieren mit wilder Lust am Experiment, wobei sich gerade Klarinettist Streun als großer Klang-Magier hervortut. Unterdessen grinst Meyer hinter seinem Schlagzeug wie Smokey Robinson auf Ecstasy und schiebt mit aufreizender Lässigkeit seine von Funk, Soul, Hiphop und Techno inspirierten Grooves durch den Saal. Was für ein abgefahrener Sound, was für ein Spaß!

Kürzlich hat die Fachzeitschrift Jazzthing Nürnberg als "Hotspot des Jazz" beschrieben. Wenn so viel musikalischer Pioniergeist, so viel durchdachte Organisation und so viel ehrenamtliches Engagement zusammentreffen wie beim Nuejazz-Festival, dann ist das nicht übertrieben.

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