Erlangen verkauft seinen Schlachthof
15.06.2020, 18:11 UhrVon ganz hinten rollt Nummer 322 heran. Die Ziffer wurde aufs rohe Fleisch aufgestempelt. An Haken aufgehängt wird der dampfende Torso von den Innereien befreit, ausgiebig beschaut und dann zerlegt. Es riecht nach Fleisch, nach Blut und Gedärmen, die Luft ist erfüllt vom Surren der hydraulischen Hebebühnen, auf denen die Facharbeiter stehen, und vom Geräusch der Säge, mit der sie die Rinder halbieren.
Nummer 322 ist das letzte Rind des Tages, das gestern im Erlanger Schlachthof verarbeitet wurde. Was nun aus ihm wird, für welchen Markt sich sein Fleisch am besten eignet – ob für die gehobene Küche Norditaliens, eine feine portugiesische Salami oder eine Asado, ein spanisches Festtagsmahl – wird sich in den weiteren Verarbeitungsschritten zeigen.
Vielleicht gönnt sich auch Günter Härtl mit seiner Familie ein gutes Stück Steak für den Grill: "Egal für welchen Markt, wir können alle bedienen", sagt der Geschäftsführer der Uni-Fleisch GmbH stolz. Er steckt ganz in Weiß: Gummistiefel, Hose und Metzgermantel, auf dem Kopf ein Haarnetz unter dem weißen Helm.
3,5 Millionen Menschen essen Erlanger Fleisch
Den Fleischkonsum von rund 3,5 Millionen Menschen in ganz Europa stillt der Erlanger Schlachthof. In einer von der afz, der Allgemeinen Fleischer Zeitung, erstellten Liste der "Top 100 der deutschen Fleischbranche 2018" rangierte die Gruppe mit einem Umsatz von 138 Millionen Euro auf Platz 60.
Eingekauft werden die Rinder und Schweine in der Region, der Familienbetrieb legt in dritter Generation Wert auf kurze Anfahrtswege, hohe Hygienestandarts und beste Qualität. Die Mitarbeiter, versichern die Chefs, werden fair und gut bezahlt – über dem Mindestlohn. Künftig soll alles noch besser werden: Günter Härtl und sein Bruder Wolfgang haben rückwirkend zum 1. Januar 2020 der Stadt die Schlachthallen abgekauft. Gestern haben Oberbürgermeister Florian Janik und sein Kämmerer Konrad Beugel den 280 Mitarbeitern mitgeteilt, dass die Stadt ihre 100 Prozent der Anteile abgestoßen hat. "Nun", sagt Wolfgang Härtl, "gibt es alles aus einem Guss."
Auf wie viel Geld man sich geeinigt hat, wollen beide Seiten nicht verraten, nur, dass es "langwierige Verhandlungen" waren. Ab 2017 wurde ernsthaft verhandelt, als der Investitionsrückstau immer größer wurde. Die Härtls wollen 4,5 Millionen Euro in neue Kühlanlagen investieren, noch höhere Hygienestandarts, energiesparende Systeme. Die Stadt fördert dies mit 1,5 Millionen Euro.
Alternative wäre Schließung
"Die Alternative zum Verkauf wäre die Schließung gewesen", sagt Konrad Beugel. Doch politisch habe man das nicht gewollt: Arbeitsplätze erhalten, war das Ziel des Stadtrats. Dabei war der Ertrag des Schlachthofs, wie das Fachmagazin "Fleischwirtschaft" schrieb, "im letzten Jahrzehnt eine Achterbahn": Von 2009 bis 2013 freute man sich über Überschüsse, von 2013 bis 2017 gab es Rote Zahlen, ehe 2018 wieder ein leichtes Plus stand. Bestenfalls trug sich der Schlachthof also selbst – was ohne die notwendigen Investitionen in der Zukunft nicht mehr gewährleistet ist. "Naheliegend" nennen Beugel wie die Härtls daher den Verkauf an den Hauptnutzer und Dienstleister der Schlachthallen, zahlreiche Städte – darunter auch Nürnberg – haben ihre Schlachthöfe geschlossen.
Erhalten bleiben alle Arbeitsplätze: Günter und Wolfgang Härtl integrierten schon die Erlanger Lohnschlachter in ihre Unternehmen Uni-Fleisch (für Rind) und Conti-Fleisch (für Schwein), nun folgen auch die 16 städtischen Mitarbeiter, darunter Geschäftsführer Richard Großhauser.
70 000 Rinder beträgt das Schlachtvolumen im Schlachthof, der Großvater der Härtls hatte Unifleisch 1956 gegründet – mit 30 Schlachtungen am Tag. Heute besitzt das Unternehmen zahlreiche Gütesiegel etwa für Tierwohl, Hygiene und Bio-Produktion. Nun soll alles noch erfolgreicher werden. Günter Härtl, wie sein Bruder studierter Betriebswirt, glaubt fest daran: "Wir haben das von klein auf in Fleisch und Blut."
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen