Kommunalwahl 2020: Werden Bayerns Rathäuser jetzt grün?

29.2.2020, 16:05 Uhr
Kommunalwahl 2020: Werden Bayerns Rathäuser jetzt grün?

© Foto: Christian Charisius/dpa

Es ist alles andere als ein denkwürdiger Landesparteitag der bayerischen Grünen. Als die Delegierten im November 1996 in Erding zusammenkommen, diskutieren sie wieder einmal stundenlang und äußert zäh über innerparteiliche Strukturreformen, für die sich am Ende keine Mehrheit findet.


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Die ehemalige Landtagsabgeordnete Ruth Paulig kann hinter den Kulissen nur mit Mühe davon überzeugt werden, als einzige Kandidatin ihre Bewerbung für den Landesvorsitz aufrechtzuerhalten. Männlicher Co-Vorsitzender wird ein gewisser Bernd Schreyer aus München. Zu großer Popularität wird er es in seiner zweijährigen Amtszeit nicht bringen.

Rezzo Schlauch scheiterte nur knapp

So richtig gute Stimmung kommt nur auf, als ein Parteifreund aus Baden-Württemberg zu einem Gastauftritt ans Mikrofon tritt. Die Rede Rezzo Schlauchs fegt wie ein Orkan durch die zähe Atmosphäre des Landesparteitags. Staunend registrieren die bayerischen Grünen, wie vital Politik zelebriert werden kann. Und wie erfolgreich. Rezzo Schlauch ist zwei Wochen zuvor nur knapp als Kandidat bei den OB-Wahlen in Stuttgart gescheitert. Hätte sich die SPD dazu durchringen können, ihren aussichtslosen Bewerber im zweiten Wahlgang zurückzuziehen, wäre Schlauch gegen den CDU-Konkurrenten Wolfgang Schuster vermutlich siegreich gewesen.

Kommunalwahl 2020: Werden Bayerns Rathäuser jetzt grün?

© Foto: Karlheinz Daut

Die Hauptbotschaft des Redners in der Erdinger Stadthalle ist damals wie heute das Erfolgsrezept der Grünen in Baden-Württemberg: "Zeigt mehr Risikobereitschaft bei der Personalisierung eurer Politik."

Personalangebot muss überzeugen

Gut 23 Jahre später erinnert sich Rezzo Schlauch nicht mehr an seinen Auftritt in Erding. Zu viel ist seither in seinem bewegten Leben passiert. Von 1998 bis 2002 war er Fraktionschef der Grünen im Bundestag, danach Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. 2005 kehrte er der aktiven Politik den Rücken zu, nahm seine Anwaltstätigkeit wieder auf und übernahm Aufsichtsratsposten in der Wirtschaft. Aber wenn man sich mit dem 72-Jährigen über Politik unterhält, lodert in ihm sofort das alte Feuer des Vollblutpolitikers.

Eigentlich, meint er, sei seine Empfehlung damals ja "eine Binsenweisheit" gewesen. Ohne überzeugendes Personalangebot könne keine erfolgreiche Politik gemacht werden. Ganz besonders treffe das nun mal für die Kommunalpolitik zu. "Und wenn Sie da gute Leute haben, wird das vom Wähler auch bei der Landtags- und Bundestagswahl honoriert."

Horst Frank war 16 Jahre lang im Amt

Baden-Württemberg und Bayern sind in mehrerlei Hinsicht sehr vergleichbare Bundesländer. Sie sind wirtschaftlich stark, grundsätzlich eher konservativ geprägt, hier wie dort tun sich die Sozialdemokraten zunehmend schwer. Im Vergleich zu ihren bayerischen Parteifreunden konnten die Grünen im Ländle aus dieser Grundkonstellation heraus allerdings deutlich mehr erreichen. Seit 2011 regiert Winfried Kretschmann das Land als Ministerpräsident. Und die Basis dieses grünen Coups waren die Erfolge der Partei auf kommunaler Ebene – am Land wie in den großen Städten.

1996 wurde in Konstanz der erste Oberbürgermeisterstuhl von einem Grünen erobert. Horst Frank war 16 Jahre lang im Amt. Genauso lang war der Grüne Dieter Salomon in Freiburg OB. Boris Palmer ist seit 2007 Rathauschef in Tübingen. In der Landeshauptstadt Stuttgart eroberte Fritz Kuhn 2013 das OB-Amt, und vor zwei Jahren gelang dies in Böblingen Stefan Belz.

In Nürnberg nur neun Prozent

Die Erfolge der bayerischen Grünen nehmen sich dagegen bescheiden aus. Sie stellen nur in ein paar kleineren Gemeinden die Bürgermeisterin beziehungsweise den Bürgermeister. So tritt beispielsweise im westmittelfränkischen Markt Berolzheim Fritz Hörner nach zwölfjähriger Amtszeit erneut als Favorit zur Wahl an. Und mit Benedikt Bisping in Lauf stellen die Grünen immerhin – ebenfalls seit 2008 – den Rathauschef einer Kreisstadt. An seiner Wiederwahl zweifelt in Lauf kaum jemand.


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Aber in den Großstädten, wo die größte Grünen-Klientel vermutet wird, haben die bayerischen Grünen bisher nicht geglänzt. In Nürnberg holte die Partei bei der Stadtratswahl 2014 gerade mal neun Prozent der Stimmen und kam damit zu nur sechs Mandaten im 70-köpfigen Stadtrat. Die grünen OB- Kandidaten fuhren bei drei Wahlen hintereinander vernachlässigenswerte Ergebnisse von weniger als zwei Prozent ein.

Zweikampf zwischen Janik und Balleis

Zu erklären war das in erster Linie mit der weit ins grüne Wählermilieu hineinreichenden Popularität des SPD-Amtsinhabers Ulrich Maly. Nach drei Wahlperioden tritt der im Rathaus mit einer rot-schwarzen Mehrheit regierende Sozialdemokrat nicht mehr an. Angesichts des bundespolitischen Rückenwinds, den die Grünen erleben und der ihnen bei den Landtagswahlen 2018 zu einem Rekordergebnis von 17,6 Prozent verhalf, eigentlich eine historische Chance für die Ökopartei. Zumal SPD und CSU mit Thorsten Brehm und Marcus König nicht gerade unschlagbare Kandidaten aufbieten. Eine kommunalpolitisch profilierte oder populäre Bewerberin schicken die Grünen mit der Landtagsabgeordnete Verena Osgyan allerdings nicht ins Rennen. Ausgang offen.

Etwas stärker hatten die Grünen bei den Kommunalwahlen 2014 in der Universitätsstadt Erlangen abgeschnitten. Hier holten sie immerhin acht von 50 Stadtratsmandaten. Ihre OB-Kandidatin Susanne Lender-Cassens konnte mit sieben Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang allerdings nicht in den Zweikampf zwischen dem am Ende siegreichen SPD-Bewerber Florian Janik und CSU-Amtsinhaber Siegfried Balleis eingreifen. Lender-Cassens unternimmt am 15. März einen erneuten Anlauf. Ernsthafte Chancen werden ihr nur von grünen Optimisten eingeräumt.

Stichwahl in Forchheim?

Ausgesprochen undankbar ist auch die Aufgabe für den grünen OB-Kandidaten in Fürth. Fraktionsvorsitzender Kamran Salimi, dem Beobachter durchaus eine solide Oppositionsarbeit attestieren, muss gegen den zuletzt mit 73 Prozent im Amt bestätigten OB Thomas Jung antreten. So gut wie niemand mag daran glauben, dass Jung sechs Jahre später in eine Stichwahl muss.

Bei einem Blick auf die kleineren Städte der Region ist die Liste der chancenreichen Grünen-Kandidatinnen und -Kandidaten auch nicht gerade endlos lang. In Schwabach hat die Partei die Rechtsanwältin Christine Krieg ins Rennen geschickt. Die Wahl verspricht interessant zu werden, weil CSU-Amtsinhaber Matthias Thürauf nicht mehr antritt. Um seine Nachfolge bewerben sich neben Krieg der Nürnberger Wirtschaftsreferent Michael Fraas für die Christsozialen und der erst 30-jährige Jurist Peter Reiß für die SPD.

"Wenn Grüne Aha-Erlebnisse auslösen, dann gefällt mir das"

Zumindest in die Stichwahl möchte es in Forchheim Annette Prechtel von der Grünen Liste schaffen. Die 45-Jährige ist bereits seit 1996 Fraktionsvorsitzende, stammt aus einer alteingesessenen Forchheimer Familie und könnte dem nicht immer ganz glücklich agierenden OB Uwe Kirschstein (SPD) sowie dem CSU-Kandidaten Udo Schönfelder durchaus gefährlich werden.

Den alten Polit-Junkie Rezzo Schlauch interessieren die Grünen-Chancen seiner bayerischen Parteifreunde bei den Kommunalwahlen sehr. Zumindest die Aussichten der Großstadt-Bewerber. Namen kennt er keinen einzigen.

Ein Umstand, der sich aus dem Abstand erklärt, den Schlauch inzwischen zum politischen Geschehen gewonnen hat. Es könnte aber auch ein Beleg dafür sein, dass den bayerischen Grünen die Personalisierung ihrer Politik immer noch nicht so recht gelungen ist. Unverwechselbare Typen wie Kretschmann, Schlauch, Kuhn oder Palmer sucht man im Freistaat eher vergeblich.

Schlauch sieht darin sogar einen allgemeinen Trend in der Politikszene: "Die Parteien schmirgeln ihre Leute immer mehr auf den Mainstream ab. Dabei haben die Wähler große Schwierigkeiten mit solchen stromlinienförmigen Politikern."

Ein aktueller Name aus Bayern fällt Rezzo Schlauch dann doch noch ein. Die Kandidatur von Katrin Habenschaden um das OB-Amt in München findet er spannend. "Wenn Grüne Aha-Erlebnisse auslösen, dann gefällt mir das." Habenschaden ist in seinen Augen so eine Politikerin mit Überraschungseffekt. "Fraktionsvorsitzende, Bankerin – und dann auch noch sehr attraktiv."

Rezzo Schlauch weiß vermutlich, dass man solche Sätze heute im politischen Geschäft nicht mehr ungestraft sagen darf. Bei allem Selbstbewusstsein ist er auch Realist. "So ein Typ wie ich hätte es bei den Grünen heute wahrscheinlich viel schwerer."

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