Ein Geistlicher mit vielen Anekdoten im Gepäck
"Armenpfarrer" Helmut Weidinger ist 80: Geschichten von Habenichtsen und Promis
21.03.2022, 07:57 Uhr
Davon können die meisten Kirchenleute heute nur noch träumen: Mehrere hundert Kinder und Jugendliche füllten einst regelmäßig die Bänke in der Friedenskirche, wenn die Gemeinde St. Johannis zum Kindergottesdienst einlud. "Und wir hatten mehr als 20 Helferinnen und Helfer", sagt Helmut Weidinger, der damals als junger Pfarrer in die Gemeinde gekommen war und beim Erzählen fast ins Schwärmen kommt. "Mich sprechen heute noch Leute darauf an."
In lebendiger Erinnerung geblieben ist der Theologe, der gerade sein 80. Lebensjahr vollenden konnte, vielen Menschen aber noch aus ganz anderen Gründen. An der Nürnberger Jakobskirche machte er im Pfarrdienst ein Vierteljahrhundert voll - und verbrachte weit mehr Zeit auf einer Stelle als sonst üblich. Kein Wunder, hatte er doch ein inniges Verhältnis zu seiner Gemeinde. Und dazu zählte er umstandslos auch weniger Gläubige und Menschen, die mit der Kirche kaum etwas anfangen können. Für Obdachlose hatte er ebenso ein offenes Ohr und Herz wie für die Frauen aus dem Rotlichtmilieu - das mitten im Pfarrgebiet liegt.
So hatte er bald seinen Ruf als "Armenpfarrer" weg. Wie vielen Habenichtsen er das letzte Geleit gegeben hat, hat er nie gezählt. Aber um Anekdoten ist er nicht verlegen. Wie die von der Prostituierten, die bei ihm mit der Bitte "Taufen's mir meinen Verkehrsunfall" anklopfte. Was er selbstverständlich ebenso übernahm wie Menschen wie einem, der als "Brücknmichl" bekannt war, auch mal etwas zuzustecken.
Als Pastor gefragt war Weidinger aber auch unter jenen, die es zu Rang und Namen gebracht hatten. "Meine Beerdigung machst mal Du!" hatte sich beispielsweise Nürnbergs Alt-OB Ludwig Scholz gewünscht. Ob armer Schlucker oder "Großkopferter" - am Ende kommt es für Weidinger nur auf das Menschliche und Allzumenschliche an. Was er auch auf sich selbst bezog, Talar hin oder her: "Das ist mir wichtiger als ein Verdienstkreuz."
Inzwischen übernimmt der gebürtige Wiener, der allerdings schon als Kind mit seinen Eltern nach Bayern gezogen war, nur noch selten kirchliche Feiern oder Gottesdienste. Doch hat er sich keineswegs ganz zurückgezogen: Bei Radio Meilensteine, einem christlichen Sender aus Nürnberg, kommt er regelmäßig auf der Frequenz von N 1 sonntags zu Wort und versucht, die Überlieferung für Menschen von heute neu verständlich zu machen.
Da helfen natürlich sein Interesse für die Sprache und Wortgeschichten und sein Sinn für Humor. So hatte er nicht auf der Kanzel gestanden, sondern sich und seine "Firma" mit seiner Frau in volkstümlichen Programmen "Der Pfarrer und sei Fraa" auch schon mal selbst auf die Schippe genommen.
Wie aber blickt er nun - mit knapp 15 Jahren Abstand zum aktiven Dienst - auf die Entwicklung von Glauben und Kirche? Die Frage stimmt Weidinger beim Gespräch am Telefon fast hörbar nachdenklich. Auch angesichts der Erschütterungen und des Verlusts an Glaubwürdigkeit, die nicht nur die katholische Kirche beuteln. "Wir müssen demütig werden und neu anfangen", meint der Geistliche, der es gerne mit Papst Franziskus und dessen Devise hält "Fangt erst an, Mensch zu werden".
Ohnehin ist Weidinger durch und durch ökumenisch gesinnt - und die Geschwisterlichkeit praktizieren in Nürnberg seine frühere Gemeinde St. Jakob und die katholische Elisabethkirche vorbildlich. Dort hatte Weidinger noch eine weitere unvergessliche Begegnung - nämlich mit Showmaster Thomas Gottschalk. Der musste dort nach einer Wetten, dass-Sendung eine verlorene Wette einlösen und predigen. Und merkte bei einem kleinen Plausch mit dem Protestanten von gegenüber an: "Wenn die Kirche sich nicht auf die Mystik zurückbesinnt und nichts davon ausstrahlt, wird sie bald keine mehr sein."
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