Bleiweiß-Viertel
Erinnerungen an das Modehaus Rupp: Ein Stück Nürnberger Kaufhauskultur in der Südstadt
22.11.2022, 10:01 Uhr
Es gibt Gebäude, die fast jeder in Nürnberg kennt. Ein solcher "bunter Hund" ist das frühere Kaufhaus an der Ecke Schweigger- und Allersberger Straße. Seine Geschichte ist bewegt, und das nicht nur im positiven Sinn.
Am 29. November 1941 holte die Gestapo Siegfried Levite und seine Frau Fanny aus dem "Judenhaus" in der Theodorstraße 9, wo sie die NS-Stadtverwaltung unter Zwang mit anderen jüdischen Familien einquartiert hatte. Vom Bahnhof Märzfeld wurde das Ehepaar, beide in ihren Sechzigern, ins Lager Riga-Jungfernhof deportiert. Sie kehrten nie zurück. Ob die Nazis sie im Lager oder dem Ghetto Riga ermordeten oder ob die beiden an Entkräftung oder Krankheit starben, ist bis heute nicht geklärt.
Opfer der Arisierung
Erst wenige Jahre zuvor hatte das Regime den Levites im Zuge der "Arisierung" ihr Geschäft für Herrenmode im Eckhaus Allersberger Straße/Schweiggerstraße 2 abgepresst. Während der Laden inklusive Einrichtung an den Konkurrenten Arthur Theile ging, riss sich das Gebäude selbst der Naturheilkundler Ludwig Schmitt, damals in Berlin ansässig, unter den Nagel.

Die Levites und der Kaufmann Hans Neumann aus Berlin wiederum hatten Anfang der 1920er Jahre – allerdings völlig legal – vom ebenfalls jüdischen Vorbesitzer Thomas Rupp sowohl das Haus als auch den in Nürnberg jener Zeit äußerst klangvollen Namen der Boutique übernommen.
Drei umgebaute Mietshäuser
Dass der elegante Modetempel im Stil des Expressionismus mit seinen Erkern, den Putzbändern, dem Zackenfries und der zinnenartigen Bekrönung auf dem Zwerchhaus an der Allersberger Straße kein Neubau der Goldenen Zwanziger war, ahnte man dank der klugen Planung von Architekt Hans Müller (1926) nicht. Tatsächlich stecken in dem Komplex drei ältere Mietshäuser.
1888 bis 1890 entstand zunächst an der Straßenecke, direkt an der Grenze zur damals noch selbstständigen Gemeinde Gleißhammer beziehungsweise deren Ortsteil Bleiweiß, das Mietshaus Schweiggerstraße 2 im Stil des späten Klassizismus nach Planung von Baumeister Georg Heußinger.
Die Bauherren veräußerten den missliebigen, weil schwer zu bebauenden südlichen Grundstücksteil mit dem damals noch offen verlaufenden Landgraben (Allersberger Straße 71) alsbald an den jüdischen Bankier Julius Neu, der darauf 1898 bis 1899 seinerseits als Kapitalanlage ein klassizistisches Mietshaus nach Planung von Johann Hüttner errichten ließ.
Zuletzt kam 1902 das Eckhaus Allersberger Straße 69 mit Sandsteinfassade im Nürnberger Stil dazu, das Johann Rickmeyer als Wohnung und Ladenlokal für den besagten Herrenausstatter Rupp plante. Der hatte zuvor die beiden Nachbargebäude angekauft und im Erdgeschoss 1913 ein schickes Ladenlokal im Geiste des Jugendstils nach Entwürfen des Architekten Hans Feichtinger einbauen lassen.
Nur noch ein Büdchen
Die Bomben und Luftminen des Zweiten Weltkrieges vernichteten das im Stil des Expressionismus umgestaltete Warenhaus fast völlig. Sein ausgebranntes Skelett stand noch bis 1951, als der Fahrzeughändler Erwin Zimmermann das abgeräumte Trümmergrundstück übernahm. Fortan ragte einzig ein kleines, hastig aus Trümmergut und Holzresten zusammengezimmertes Verkaufsbüdchen aus dem Meer von Autos und Krads heraus. Solche Zwischennutzungen – wirtschaftlich vernünftig, aber städtebaulich und wohnungspolitisch freilich vollkommen verfehlt – gab es zuhauf im Nürnberg der frühen Nachkriegszeit. Nicht selten hielten sie über Jahrzehnte.

Anders hier an der Schweiggerstraße: Denn schon 1958 bis 1959 entstand auf dem Filetgrundstück eine Niederlassung des Kaufhauskonzerns Quelle. Die Pläne lagen schon seit 1954 in der Schublade des Nürnberger Architekten Richard Bickel, der im Auftrag der damaligen Grundeigentümer Willy und Karl Braun für das Filetgrundstück zunächst ebenfalls ein Kaufhaus, dann ein Kino entworfen hatte.
Supermarkt, Muckibude und Bürohaus
Heute, da die Quelle längst Geschichte ist, dient der mächtige Kubus an der neuralgischen Straßenecke als Supermarkt, Muckibude und Bürohaus. Seine Architektur mit Rasterfassade, Schaufenstern, Panoramafenstern im ersten Stock, abgesetztem Attikageschoss und einem feingliedrigen, runden Treppenhausturm im Hof aber verrät noch immer seine Entstehungszeit und seinen ursprünglichen Zweck.

Vielleicht ist es an der Zeit, dass dieses Monument jüdischer Unternehmensgeschichte und Nürnberger Kaufhauskultur mit dem Denkmalschutz geadelt wird. Schaden kann’s nicht, werden doch die gut erhaltenen Bauten der Wirtschaftswunderzeit in der Noris immer weniger und das, was an Neuem nachkommt, selten schöner.
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