Kommentar: Warum ich Rock im Park vermisse

5.6.2020, 08:35 Uhr
Kommentar: Warum ich Rock im Park vermisse

© André De Geare

"Also heuer war‘s aber das letzte Mal." Der Spruch, mit ironischem Grinsen vorgetragen, gilt in unserer RIP-Runde längst als Running Gag. Nach drei Tagen und Nächten Rock im Park stellt sich alljährlich die Sinnfrage. Will man sich das wirklich noch antun? Zu wenig innovativ das Line-Up, zu viele Bands, die man schon zigmal live erlebt hat oder die einen einfach nicht (mehr) interessieren. Zu groß mittlerweile die emotionale Distanz zum jugendlichen Partyvolk mit seinen Bierbongs, seltsamen Kostümen und pubertären Balzritualen. Und zu quälend der eigene Kater am day after. Man ist halt keine 20 mehr. Sondern, ich gestehe, 50. Too old to die young, aber irgendwie auch noch zu jung für die RIP-Rente.

Heuer ist es dann also wirklich so weit. Ein Juni ohne Rock im Park. Zum dritten Mal in meiner Festivalkarriere. 1994 die Premiere bei "Rock am Ring", dann zweimal im Münchner Olympiapark. Seit 1997 Stammgast in Nürnberg, zunächst standesgemäß im Zelt, seit 2000 mit eigenem Bett und Bad in praktischer Laufweite. Nur zweimal entschuldigt gefehlt. 2000 erhielt eine Hochzeitsfeier in Italien den Vorzug (die schnelle Scheidung nährte Zweifel, ob man dafür wirklich Pearl Jam hätte sausen lassen sollen). 2015 riss sich die Mutter meiner Kinder die Achillessehne, der wilde Parkrocker mutierte zum braven Hausmann. Und nun also 2020: Corona. Eine Pandemie legt den Park lahm.

Und ja, es tut weh. Ich vermisse das Wummern der Drums, die schon beim Soundcheck am Vormittag über den Dutzendteich in unseren Reihenmittelhausvorgarten dröhnen. Ich vermisse es, im mainstreamlastigen Mammutprogramm jene drei, vier Indie-Perlen zu entdecken, die mich elektrisieren, Glücksgefühle wecken oder im besten Fall sogar den Glauben an den Rock’n’Roll wiedergeben. Ich vermisse die euphorische Stimmung, wenn die Massen auf dem Zeppelinfeld das Leben feiern und so die Architektur des Bösen konterkarieren. Ich vermisse überteuertes, wässriges Beck‘s und als bewährte Grundlage die Bratenbrödla im Biergarten der Arena. Ich vermisse Schokopizza-Exzesse beim Absacker am heimischen Esstisch nachts um halb vier. Ich vermisse den Plausch mit den Kollegen im Pressezentrum und das Live-Tickern für nordbayern.de.


Kommentar: Warum ich Rock im Park nicht vermisse


Vor allem aber vermisse ich die Zeit mit jenen Menschen, die seit vielen Jahren in den Pfingstferien mit Schlafsack und Pack bei mir einziehen und RIP zu dem machen, was es für mich bedeutet: Ein zur Tradition gewordenes Gemeinschaftserlebnis, eine dreitägige Alltagsflucht, eine Hymne auf die Freundschaft und unseren zwar längst domestizierten, aber tief im Herzen immer noch verankerten Rock’n’Roll-Lifestyle – und ja, vielleicht auch ein trotziges Festhalten an der Illusion der ewigen Jugend. Aber hey: Geboren 1969 am Woodstock-Wochenende, wurde mir das Festival-Gen wohl in die Wiege gelegt. Ich darf das.

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