Dänische Idylle im Kriegsjahr 1941

Nürnberger findet wertvolle Skizzen auf dem Dachboden

Hartmut Voigt

Lokalredaktion Nürnberg

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15.08.2021, 11:07 Uhr
Raffael Schweizer hat die Zeichnungen seines Urgroßonkels Friedrich Neubauer von Aalborg in einem Katalog zusammengefasst.

© Günter Distler/NNZ Raffael Schweizer hat die Zeichnungen seines Urgroßonkels Friedrich Neubauer von Aalborg in einem Katalog zusammengefasst.

Beim Aufräumen am Dachboden ist Raffael Schweizer auf eine Mappe mit 80 Skizzen, Tuschezeichnungen und Aquarellen seines Urgroßonkels Friedrich Neubauer gestoßen. Der Architekt hatte eine ausgeprägte künstlerische Ader: Er schuf insgesamt 80 Ölbilder und über 2000 Skizzen in seiner Wohnung im Schatten der Lorenzkirche.


Friedrich Neubauer als Fotograf der Nachkriegszeit


Die Mappe enthielt Eindrücke Neubauers aus der Zeit von Februar bis September 1941. Damals war er als Wehrmachtssoldat im dänischen Aalborg stationiert. In seiner Freizeit porträtierte er Bewohner, Häuser und Landschaften von Jütland - und natürlich immer wieder Gebäude sowie Menschen aus der 120.000 Einwohner-Stadt.

Eine bunte Skizze befasst sich nur mit Hühnern: Man sieht sie picken, nach Futter suchen, mit gesenktem Kopf dastehen. Dem Künstler ist mit seinem Aquarell gelungen, die natürliche Haltung der Vögel und ihr Wesen mit wenigen Pinselstrichen festzuhalten.

Auf einer Bleistiftzeichnung hat Neubauer einen älteren Aalborger mit Mütze festgehalten, der entspannt auf einer Bank sitzt. Das große Talent und Können des Nürnberger Künstlers erschließt sich dem Betrachter ganz unmittelbar, wie er mit knappen Strichen die Persönlichkeit seines Models herausarbeitet.

© Raffael Schweizer

Anrührende Skizze

Eine Skizze ist anrührend: Sie zeigt eine junge Frau, die am Boden liegt und einen Bogen Papier betrachtet. Vielleicht hält sie jene andere Zeichnung in Händen, auf der sie sitzend mit Blumen in einer Hand dargestellt ist. Es handelt sich um Agnes Buus, eine dänische Lehrerin, in die sich der Wehrmachtssoldat Friedrich Neubauer verliebt hat.

© Günter Distler/NNZ

Die beiden verlobten sich und wollten später heiraten. Im Herbst 1941 wurde Neubauer jedoch nach Osteuropa versetzt. Er sollte seine Geliebte nie wiedersehen. Denn Agnes Buus kam bei einem Bombenangriff der Alliierten in den letzten Kriegstagen 1945 ums Leben. Ziel der Attacke war eigentlich das benachbarte NS-Quartier in Kopenhagen, doch irrtümlich wurde die Schule getroffen: Schüler und Lehrer kamen ums Leben.

"Hat den Tod von Agnes Buus nie überwunden"

"Agnes Buus hatte von der Schule in Aalborg nach Kopenhagen gewechselt, weil sie wegen ihrer Verbindung mit einem deutschen Soldaten gemobbt worden war", berichtet Claudia Schweizer, Großmutter von Raffael Schweizer und Nichte von Friedrich Neubauer, "mein Onkel hat den Tod von Agnes Buus nie wirklich überwunden und deshalb auch nicht geheiratet."

Mit 92 Jahren ist Neubauer in seiner Wohnung über dem gleichnamigen Möbelgeschäft in der Lorenzer Straße im Jahr 2004 gestorben. Raffael Schweizer hat kaum Erinnerungen an ihn, denn da war er selbst gerade mal zwei Jahre jung: "Ich weiß nur noch, dass seine Wohnung voll mit Bildern, Skizzen, Malutensilien, Büchern und Zeitungen war."

Der Urgroßneffe beschäftigte sich nach dem Auffinden der Mappe intensiver mit seinem Ahnen. Mit seiner Großmutter Claudia Schweizer stellte er einen Kunst-Katalog zusammen, der den "Sommer in Aalborg" dokumentiert.

Ein Signal an die Dänen

Im Vorwort wendet sich der 18-Jährige direkt an die Bürger der dänischen Hafenstadt. Er möchte eine Brücke zu ihnen schlagen und zeigen, wie ein Nürnberger vor 80 Jahren Aalborg gesehen hat. Und er will den Bewohnern noch etwas mitteilen: "Von meiner Familie weiß ich, dass mein Urgroßonkel Friedrich Neubauer nie Soldat sein wollte und er total gegen den Krieg war."

Durch das unerwartete Auffinden der Skizzenmappe hat der junge Auszubildende eine wichtige Episode aus dem Leben seines Vorfahren entdeckt. Neubauer selbst hat nicht mehr über den Zweiten Weltkrieg gesprochen. "Das war ein Trauma für ihn - wie für viele seiner Generation auch", meint Claudia Schweizer. Sie hat keine weiteren Spuren von Agnes Buus gefunden, nur eine spätere Weihnachtskarte von deren Familie.

Claudia und Raffael Schweizer nehmen die Skizzenmappe zum Anlass, Kontakte nach Aalborg zu knüpfen. Vielleicht gibt es Interesse an einer Ausstellung, welche die dänische Stadt und ihre Bewohner mit den Augen Friedrich Neubauers betrachtet.

Ein architektonisch beeindruckendes Museum für moderne Kunst besitzt die jütländische Hafenstadt. Raffael Schweizer hat den Katalog "Ein Sommer in Aalborg" an dortige Einrichtungen geschickt.


Der 80-seitige Katalog mit vielen bunten Abbildungen und Schwarz-Weiß-Skizzen ist zum Selbstkostenpreis von 9.90 Euro im Möbelgeschäft Neubauer, Lorenzer Straße 5, erhältlich.

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