Feier am Aufseßplatz

Nürnberger Straßenfest im Antisemitismus-Strudel: Warum OB Marcus König mit einer Absage reagiert

Carolin Heilig

Volontärin

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01.06.2024, 17:04 Uhr
2023 fand das Straßenfest mit einem bunten Programm statt. Damals war auch OB Marcus König noch mit von der Partie.

© R. Loester 2023 fand das Straßenfest mit einem bunten Programm statt. Damals war auch OB Marcus König noch mit von der Partie.

Am 15. Juni soll das Straßenfest "Gegen Rassismus und Diskriminierung - Für ein besseres Zusammenleben" auf dem Nürnberger Aufseßplatz bereits zum zehnten Mal stattfinden. Organisiert wird die Veranstaltung von der Gruppe "Junge Stimme", welche wiederum zur "Föderation Demokratischer Arbeitervereine", kurz DIDF, gehört. Oberbürgermeister Marcus König (CSU) übernimmt die Schirmherrschaft der Veranstaltung - so war es zumindest bis vor wenigen Tagen geplant.

Jetzt aber hat König sowohl seine Schirmherrschaft als auch seinen Redebeitrag zurückgezogen. Der Grund: Die "Junge Stimme" als Organisator des Festes ist in Antisemitismus-Vorwürfe verstrickt. Und der Oberbürgermeister ist nicht der einzige, der seine Teilnahme abgesagt hat. Im Programm des Straßenfestes klaffen zwei Wochen vor der Veranstaltung Lücken.

Im Zentrum der Vorwürfe steht eine weitere Gruppe, die "Intifada Nürnberg". Die Intifada ruft zum bewaffneten Widerstand gegen Israel und die Befreiung von Palästina auf. Öffentlich tätigten sie solche Aussagen beispielsweise bei einer Kundgebung zum 1. Mai. Wenige Tage später, am 10. Mai, standen Mitglieder der "Intifada Nürnberg" wieder auf einer Bühne. Dieses Mal wurde die Veranstaltung von der "DIDF" und der "Jungen Stimme" organisiert. Seither besteht der Verdacht, das Organisationsteam des Antirassismusfestes könnte eng mit der Intifada-Gruppe verbunden sein. In einem weiteren Fall überließ die "Junge Stimme" der Intifada Räumlichkeiten. Von einer öffentlichen Distanzierung war bislang nichts zu hören.

Auf Anfrage gibt Alev Bahadir vom Organisationskreis des Straßenfestes und aktives Mitglied bei der "Jungen Stimme" zu, man habe die Intifada bei der Veranstaltung am 10. Mai sprechen lassen. Man habe aber keinen Einfluss auf die Inhalte, die eine andere Gruppe vertrete, sondern nur auf die eigenen. Die "Junge Stimme" lehne Antisemitismus und Rassismus ab, vertrete die Forderung nach einer Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten und distanziere sich von antisemitischen Aussagen. Zur Abgrenzung von der Gruppierung "Intifada Nürnberg" möchte Bahadir nichts sagen. Dieses Thema müsse erst noch im Vorstand besprochen werden.

Wegen der fehlenden Distanzierung hat Oberbürgermeister Marcus König seine Teilnahme am Straßenfest zurückgezogen. Aus dem Bürgermeisteramt heißt es: "Für Oberbürgermeister Marcus König ist es nicht hinnehmbar, dass die Äußerung antisemitischer Stereotype von Aktivistinnen und Aktivisten gegen Rassismus toleriert wird. Deshalb hat er entschieden, seine Unterstützung für dieses Jahr auszusetzen." Der Kampf gegen Diskriminierung und Rassismus schließe auch den Kampf gegen Antisemitismus ein. Verantwortliche für das Straßenfest hätten Demonstrationen unterstützt, bei denen demokratische Grundregeln verletzt wurden. Die Sprache sei weit über eine Kritik an der israelischen Regierung hinausgegangen und habe die Grenzen des Antisemitismus überschritten.

Organisatoren sprechen von "Enttäuschung"

Über die Absage des Oberbürgermeisters sei die Organisationstruppe am Mittwoch, 29. Mai, "in Kenntnis gesetzt" worden. Letzteres betont Bahadir. Es habe ein Telefonat zwischen dem Fest-Team, dem Oberbürgermeisteramt und der Leiterin des Menschenrechtsbüros stattgefunden. Die Entscheidung über Königs Rückzug sei da längst gefallen gewesen. Bahadir nennt die Entwicklung "schade" und "eine Enttäuschung". Zudem bleibe ein "Gefühl der Ungerechtigkeit", da es kein Gespräch gegeben habe, bevor die endgültige Entscheidung gefallen sei.

Auch SPD und Grüne wollten eigentlich mit Infoständen auf dem Straßenfest vertreten sein. Beide Parteien haben ihre Teilnahme inzwischen ebenfalls zurückgezogen. Rebecca Lenhard, Kreisvorsitzende der Grünen in Nürnberg, bestätigt, dass die Partei weder, wie in den Vorjahren, mit einem Infostand vor Ort sein, noch sich in die Organisation und Programmgestaltung einbringen werde. Die Entscheidung begründet Lenhard so: "Während der Demonstration am 1. Mai kam es von Seiten der Gruppe ‚Intifada Nürnberg‘ zu eindeutig antisemitischen Aktionen und Äußerungen. Trotz dieser Vorfälle haben die Organisator*innen des Straßenfestes die Zusammenarbeit mit dieser Gruppe fortgeführt."

Der Krieg im Nahen Osten sei schrecklich, das Leid der Zivilbevölkerung berühre alle tief und Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung sei legitim. Aber: "Aufrufe zur Gewalt oder die Delegitimierung Israels als Staat überschreiten klar die demokratischen Grundregeln und werden von uns entschieden zurückgewiesen", sagt Lenhard. Man erwarte nun von der "Jungen Stimme" eine deutliche Distanzierung von antisemitischen und israelfeindlichen Positionen und das Ende der Zusammenarbeit mit der "Intifada Nürnberg". Gleichwohl betont Lenhard, die Absage gelte nur für dieses Jahr. "Wir bleiben jedoch offen für Gespräche und hoffen auf eine positive Entwicklung in der Zukunft."

Ähnlich sieht das Nasser Ahmed, SPD-Stadtrat in Nürnberg. Auch die SPD zog die Teilnahme am Straßenfest zurück. Es sei eine schwere Entscheidung gewesen, sagt Ahmed im Gespräch, da man seit Jahren mit einem Infostand präsent gewesen sei. Dennoch könne die SPD nicht an einer Veranstaltung teilnehmen, bei der Antirassismus und der Kampf gegen Antisemitismus nicht Hand in Hand gingen. Kritik an der Regierung Israels und dem Krieg sei selbstverständlich erlaubt, dürfe aber niemals die Grenzen zum Antisemitismus überschreiten.

"Die Hausaufgaben liegen bei der ‚Jungen Stimme‘"

Auch Ahmed kritisiert, dass die "Junge Stimme", nachdem bekannt wurde, dass die Intifada am 1. Mai antisemitische Aktionen, Reden und Banner in die Öffentlichkeit getragen habe, die Zusammenarbeit mit dieser Gruppe nicht beendete. Die SPD habe daraufhin das Gespräch mit der "Jungen Stimme" gesucht. In einer Erklärung der Partei an die Organisatoren, die dieser Redaktion vorliegt, heißt es hierzu: "Aus unserem heutigen Gespräch ist auch nicht klargeworden, dass ihr diese Zusammenarbeit beendet. Daher ist es uns als SPD Nürnberg auch nach diesem Gespräch in diesem Jahr nicht möglich, am Straßenfest teilzunehmen." Ahmed betont, man bleibe gesprächsbereit. "Aber die Hausaufgaben liegen jetzt erst einmal bei der ‚Jungen Stimme‘."

Das Straßenfest soll dennoch wie geplant stattfinden, betont Bahadir. Noch immer wären viele Gruppen an Bord, die wüssten, dass die "Junge Stimme" für ehrliche Antirassismusarbeit stehe. Darüber hinaus sei das Fest eine große und wichtige Veranstaltung. Ein paar Tage bleiben, um die Lücken im Programm des Straßenfestes zu füllen.