Polizist über Jamnitzerplatz: "Wenn wir Kontrolle fortsetzen, fliegen Steine und Flaschen"

23.9.2020, 18:00 Uhr

Gegen 23 Uhr fuhr er mit einem Kollegen nach Gostenhof, Anwohner hatten, wie so oft im Sommer, über Ruhestörung am Jamnitzerplatz geklagt. In der Grünanlage saßen einige Jugendliche mit Bierflaschen, aus Boxen dröhnte lautstark Musik. Die Kontrolle der Polizei endete mit der Kapitulation – es war der Moment, als sich der Polizist als Beute des Fressfeindes wähnte: Etwa 60 Personen, so der Beamte, marschierten plötzlich aus der Richtung des Szenetreffs „Schwarze Katze“ auf den Platz und die Beamten zu, eine aggressive Masse, die lauthals „Bullen raus aus Gostenhof“ und „Ganz Nürnberg hasst die Polizei“ skandierte. „Ich habe mich so bedroht gefühlt, dass ich mich mittlerweile auf eine andere Stelle beworben habe“, schildert der Polizist. Sein Kollege bestätigt: „Wir wurden eingekreist, wir wurden die ganze Zeit angebrüllt.

Versetzung beantragt

Es war klar: Wenn wir die Kontrolle fortsetzen, fliegen Steine und Flaschen.“ Die Polizisten zogen ab. „Seit langem hegen wir, wir sind ungefähr 30 Anwohner des Jamnitzetplatzes, den Verdacht, dass die Polizei jegliche soziale Kontrolle hier aufgegeben hat“, so hieß es Tage nach dem Vorfall in einem Brief an unsere Zeitung. Die einen klagen über zu viel Krach und zu wenig Kontrolle, die anderen über zu viel Polizei vor Ort: Die 9300 Quadratmeter Jamnitzerplatz mitten in Gostenhof, die Zustände dort, sie sind längst ein Politikum und Machtspiele mit der Polizei wohl ein Teil des sozialen Biotops. Rückblick: So war es im Jahr 2009 während eines Kneipenfestivals zu Ausschreitungen gekommen, die Polizei ließ deshalb den Jamnitzerplatz räumen – und einige Augenzeugen werfen der Polizei bis heute vor, damals eine „Hetzjagd“ veranstaltet zu haben. Andere Anwohner nannten dagegen die Gäste des Stadtteilladens „Schwarze Katze“ Randalierer, die Müll anzündeten, Pflastersteine aus der Straße pulten und Gostenhof zum Schlachtfeld machten. Und nun, zehn Jahre später, ist man sich wieder nur in einem einzigen Punkt einig. Nämlich darüber, dass man sich uneinig ist: In der linken Szene ist man der Meinung, dass die Polizeikräfte am 28. Juni allenfalls ein wenig laut und unfreundlich aufgefordert wurden abzuziehen, die Parknutzer in Frieden zu lassen.

Erst vergangenes Wochenende hatten die „Prolos Nürnberg“ und die „Anarchistische Gruppe Nürnberg“ zur Kundgebung zur Grünanlage gerufen, demonstriert wurde gegen Gentrifizierung und Polizeigewalt. 150 Leute sammelten sich, Soli-T-Shirts wurden verkauft, mit den Einnahmen sollen die beiden Angeklagten (51 und 32 Jahre), die nun vor dem Amtsgericht stehen, unterstützt werden. Die Staatsanwaltschaft spricht dagegen von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung – und noch ehe die Anklage verlesen ist, kommt es zum Säbelrasseln zwischen den Verteidigern und dem Ankläger. Die Anwälte Michael Brenner und Iñigo Schmitt-Reinholtz vermissen schriftliche Zeugenaufrufe in der Akte und sprechen vom Verurteilungswillen der Staatsanwaltschaft; Ankläger Daniel Hader gibt scharf zurück, ob hier etwa der Behörde unterstellt werden soll, dass Aktenteile unterschlagen werden? Der Ton ist harsch, der Blick scharf: Die Zuschauer, die das Verfahren besuchen wollen, werden von einem halben Dutzend Wachleuten kontrolliert – ein Aufwand, der selbst bei Mordprozessen selten ist.

Doch all dies zeigt: Strafverfahren finden nicht nur im Gerichtssaal statt. Sie beeinflussen die öffentliche Meinung und werden ihrerseits von dieser beeinflusst, auch wenn politische Erwägungen in einem Strafverfahren freilich keine Rolle spielen dürfen. Ein unideologischer Blick auf das Geschehen am Jamnitzerplatz – ist dieser möglich? Der 51-jährige Angeklagte fabuliert von dem umstrittenen Polizeieinsatz während des Kneipenfestivals vor zehn Jahren, der 32-jährige Angeklagte will eine Schweigeminute für die Opfer von Polizeigewalt. Zu den konkreten Vorwürfen äußern sich beide nicht.

Als "Bullenschlampe" beleidigt

beleidigt Bislang ist die Rede davon, dass der Ältere als Rädelsführer auftrat, etwa 60 Personen aufhetzte und die Polizisten aus nächster Nähe ständig anschrie. Der Jüngere hielt angeblich eine Holzlatte in der Hand und titulierte eine Polizistin als „Bullenschlampe“. In jener Nacht waren auf dem Platz auch sechs Zivilpolizisten unterwegs, mit zwei Mitarbeitern des Jugendamtes führten sie Drogenkontrollen durch. Der Prozess wird mit weiteren Zeugen am 6. Oktober fortgesetzt. 16:56 Uhr Kontrolle der Polizei endete mit Kapitulation Im Juni 2019 sollen Beamte am Jamnitzerplatz in Gostenhof massiv bedroht worden sein. Vor Gericht sprechen die Staatsdiener schlicht von Angst.