Übergewicht in der Werbung: Zwischen Jubel und Kritik

27.2.2021, 06:00 Uhr
Die Schauspielerin Jari Jones modelte für die Modemarke Calvin Klein. Wie bei Rapperin Chika gab es auch bei diesen Aufnahmen nicht nur Lob. 

Die Schauspielerin Jari Jones modelte für die Modemarke Calvin Klein. Wie bei Rapperin Chika gab es auch bei diesen Aufnahmen nicht nur Lob. 

Dass die amerikanische Rapperin Chika auf einem riesigen Werbeplakat an einer Hausfassade hängt, wäre vor 20 Jahren undenkbar gewesen. Denn: Die Frau ist übergewichtig. Die Musikerin warb dabei für die Modemarke Calvin Klein. Dieselbe Marke, die Jahrzehnte lang vor allem schlanke Models auf Plakate platzierte.

Dieser Wandel der Werbeindustrie gefällt nicht jedem. "Sie sieht aus, als wäre sie fünf Minuten von einer Diabetes entfernt", kommentierte eine Frau auf Twitter. Gesund und übergewichtig? Das passte für viele nicht zusammen.

Prof. Dr. Ingo Froböse, Sportwissenschaftler der Sporthochschule Köln, sieht das offenbar ähnlich. Auf Facebook kommentierte er kürzlich das Cover der amerikanischen Zeitschrift Cosmopolitan unter anderem mit diesen Worten: "Wir verschieben hier die Normalität, weil immer mehr Menschen übergewichtig werden. Das ist nicht gesund und schon gar nicht normal." Das Titelbild zeigte eine übergewichtige Frau mit der Überschrift :"Das ist gesund."

Zivilisationskrankheiten auf dem Vormarsch

Zahlen belegen, dass Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder Herzkreislaufkrankheiten aufgrund von Übergewicht zunehmen, beziehungsweise damit direkt in Verbindung stehen. Das ist in etlichen Quellen nachzulesen, beispielsweise bei der WHO und dem Bundesgesundheitsministerium.


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Somit ergibt sich hier ein Zwiespalt. Auf der einen Seite versuchen Unternehmen wie Modehäuser durch ihre Werbung inklusiver zu werden, übergewichtige Menschen zu repräsentieren und auch das Produktsortiment dementsprechend auszuweiten. Auf der anderen Seite steht der medizinische Aspekt: die Tatsache, dass die Menschen in westlichen Industrienationen immer dicker werden.

Zwei Drittel der Männer (67 Prozent) und die Hälfte der Frauen (53 Prozent) in Deutschland sind übergewichtig. Etwa ein Viertel der Frauen und ebenso viele Männer gelten dabei als adipös, also als besonders stark übergewichtig. Auch steigen die Zahlen der übergewichtigen und fettleibigen Kinder.

Laut einer Prognose des Online-Portals Statista könnte sich die Anzahl der Herzinfarkte bis zum Jahr 2050 im Vergleich zum Jahr 2007 um 75 Prozent erhöhen. In einem Gesundheitsbericht vom Robert-Koch-Institut (RKI) und das Statistische Bundesamt aus dem Jahr 2015 beschreiben die Verantwortlichen, dass die Zahl von übergewichtigen Erwachsenen seit zehn Jahren zwar auf einem hohen Niveau stabil bleibe.

Die Adipositas greife jedoch vor allem bei jungen Männern weiter um sich. "Je höher der Körperfettanteil ist, desto gravierender sind die zu erwartenden gesundheitlichen Konsequenzen," ist dem Text zu entnehmen.

Bedeutet dick immer ungesund?

Dies bestätigt auch Prof. Dr. Alexander Dechêne vom Klinikum Nürnberg. Der Ärztliche Leiter der Klinik für Innere Medizin sagt: "Längst nicht jeder Übergewichtige ist krank, aber das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lebererkrankungen, Diabetes und auch Krebserkrankungen steigt mit zunehmendem Übergewicht." Dies passiere allerdings in ganz unterschiedlichen Größenordnungen, so der Experte.


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Die Menschen in Industriegesellschaften bräuchten also laut den Zahlen im Grunde mehr Anreize, sich zu bewegen, gesund zu ernähren und den Alltag aktiv zu gestalten. Sind die Bilder von übergewichtigen Models und Schauspielern in der Werbung da womöglich kontraproduktiv?

Dr. Silvana Weber bringt Ruhe in die aufgeregte Debatte: "Zuallererst würde ich sagen, dass es sich oft eher um ,normalgewichtige’ Models handelt", sagt die Wissenschaftlerin vom Lehrstuhl für Sozialpsychologie mit Schwerpunkt Gender und Diversity an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

"Gewicht und Körpermaße der Models nähern sich tendenziell dem Durchschnitt der allgemeinen Bevölkerung an. Dieser Trend ist bereits seit einiger Zeit zu beobachten und verstärkte sich in den letzten fünf bis zehn Jahren."

Laut der Expertin geht das mit der "Body-Positivity-Bewegung" einher. Die zielt vor allem darauf ab, Essstörungen und Depressionen vorzubeugen. Die Menschen - gerade junge Mädchen - sollen ihren Körper annehmen, wie er ist, und nicht vermeintlichen Schönheitsidealen nacheifern, mit denen sie vor allem in sozialen Medien konfrontiert werden.

Selbst auf TV-Sendungen wie "Germanys Next Topmodel" mit Heidi Klum hatte die Bewegung Einfluss. Dank der über Jahre hinweg immer lauter werdenden Kritik an der Show, sind dort inzwischen auch sogenannte "Plus-Size-" oder "Curvy Models" vertreten.

Psychologische Strategien der Werbung

Doch welche Kraft haben Werbung und Marketing überhaupt? Schließlich legte die Bevölkerung in Industrienationen in den vergangenen Jahrzehnten weiter an Gewicht zu – trotz dünner Models auf den Leinwänden.

"Werbung und Marketing nutzen diverse psychologische Strategien, um Menschen von etwas zu überzeugen. Eine davon ist, dass ein Produkt von Personen repräsentiert wird, mit denen man sich gut identifizieren kann", erklärt Silvana Weber. "Daher ist es hilfreich, wenn die Werbeperson einem selbst ähnlich ist."

Dies treffe auch auf Filme, Serien und Bücher zu und helfe den Betroffenen, aus Mustern auszubrechen, die medial vielleicht vorgegeben werden. Weber nennt ein Beispiel: "Anfang der 2000er trug die TV-Serie ,CSI: Crime Scene Investigation’ dazu bei, dass Frauen sich vermehrt für Forensik interessierten und damit ein bisher sehr männlich dominantes Berufsfeld eroberten."

Tatsächlich hat sich auch das Bild von Models über Jahrzehnte hinweg immer wieder verändert. Erst seit den 1960ern rückten superschlanke Frauen in den Vordergrund und verdrängten kurvige Kolleginnen. Dieses Schlankheitsideal wird erst seit wenigen Jahren langsam aufgebrochen. "

TV-Persönlichkeiten wie Kim Kardashian oder Model Ashley Gram haben daran großen Anteil. "Jetzt spiegelt sich erfreulicherweise auch eine stärkere gesellschaftliche Akzeptanz des voluminöseren, kurvenreicheren Körpertyps in der Wahl der Models wider", sagt Weber.


Die Rapperin Chika war von der Kritik übrigens wenig beeindruckt. Auf die beleidigenden Kommentare reagierte sie auf Twitter lachend und schrieb: "Ich will nur sagen, dass ich ein großartiges Leben habe. Macht ruhig weiter, euer schlechtes Karma bezahlt meine Rechnungen."

Auch die Modemarke Calvin Klein wirbt weiterhin mit diversen Models in allen Größen und scheint das vermeintliche Idealbild endgültig in der Vergangenheit zu lassen – der Kritik zum Trotz.

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