"Wir alle sind Gemeinde: Dahin müssen wir zurück"

31.10.2018, 21:06 Uhr

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NZ: Herr Laufkötter, Herr Schwab, wie schwierig ist es im Moment, Katholik zu sein?

Peter Laufkötter: Es ist nicht schwer, Christ zu sein. Aber als engagierter Katholik habe ich manchmal das Gefühl, Knüppel zwischen die Beine zu bekommen.

NZ: Von wem, von der Kirche oder der Gesellschaft?

Laufkötter: Innerhalb der Einrichtung Kirche. Gesellschaftlich ist Kirche ja für viele überhaupt nicht mehr relevant.

Roland Schwab: Ich arbeite gern in der katholischen Kirche. Ich erlebe neben all dem Ärger auch sehr viele engagierte Menschen, die mich motivieren. Und konkret in Nürnberg habe ich im Augenblick das Gefühl, dass wir an einem Punkt sind, wo wir mal richtig Hand anlegen können. Das ist eine einmalige Chance.

 

NZ: Seit Bekanntwerden der Studie über das Ausmaß von sexuellem Missbrauch durch katholische Geistliche denken wieder mehr Menschen über den Austritt nach. Was sagen Sie denen?

Schwab: Ich kann Wut und Frustration gut verstehen. Die Gewissensentscheidung, ob man Mitglied sein möchte, muss jeder für sich selbst ausloten, ob nach dem Missbrauchsskandal oder anderen Skandalen in der Kirche. Ich selbst würde mich nicht abwenden. Weil ich auch die andere Seite sehe: was die Kirche alles leistet und was sie den Menschen gibt: Glaubensvermittlung und sehr viel soziales Engagement. Das überwiegt bei mir eindeutig. Kirche dient. Das darf man nicht übersehen.

Laufkötter: Ich habe es mir auch überlegt: Kann ich da noch mitmachen? Ja, ich muss weiter mitmachen, damit sich etwas ändern kann. Und wenn ich jetzt rausgehe – was dann? Ich gebe ja meinen Glauben nicht auf. Glaube braucht Gemeinschaft. Ich kann nicht privat mit mir allein Christ sein.

NZ: Die Mitgliederprognose der beiden großen Kirchen weist weiter nach unten. In jüngerer Zeit reagieren die Kirchenspitzen da betont zweckoptimistisch: Zahlen seien zweitrangig, solange die Botschaft stimme. Sehen Sie das auch so?

Schwab: Schrumpfung muss nicht gleichbedeutend sein mit schlechter Arbeit. Ich glaube, wir müssen uns der Aufgabe stellen: Was brauchen die Menschen von uns, wie können wir ihnen helfen? Wenn wir das gut machen und alle in den Blick nehmen, werden sie es annehmen. Da ist mir nicht bange. Ich glaube nicht, dass es für die Motivation darauf ankommt, ob es in Nürnberg 130 000 Katholiken oder irgendwann nur noch 80 000 sind. Aber klar: Wenn es weniger Kirchensteuerzahler gibt, kann irgendwann die heutige Leistung der Kirchen nicht mehr erbracht werden. Dann muss man über das gesamte System nachdenken.

NZ: Fürchten Sie keinen Knick im Selbstwert, wenn man in der Stadtgesellschaft zur kleineren Stimme wird?

Laufkötter: Kirche verschwindet aus dem Alltag. Die Frage ist aber: Hängt die Wertschätzung an der Zahl der Kirchenmitglieder oder nicht vielmehr an dem, was wir sagen und tun? Wenn ich als Christ fundiert meine Meinung sage, aus meinem Glauben und meinen inneren Werten heraus und nicht auf Basis irgendeines Regelwerks, wird das sehr geschätzt. Da bin ich durchaus gefragt. Das erlebe ich zum Beispiel im Büro. So kann ich mit anderen Leuten ins Gespräch kommen, so entsteht Offenheit.

NZ: Sie hören sich so an, als bräuchte es für dieses christliche Leben kein Kreuz in jeder bayerischen Behörde.

Laufkötter: Für mich ist der Staat zunächst neutral. Das Kreuz im öffentlichen Raum ist eher eine Tradition. Es ist schön, wenn es da hängt, aber es ist für mich kein Muss.

NZ: Sie haben mit Ihrem Amt die schwierige Aufgabe bekommen, den neuen Strukturprozess "Stadtkirche 2030" zu begleiten. Können Sie Außenstehenden erklären, was der bezweckt?

Schwab: Das Konzept soll uns den Raum dafür geben, dass wir etwas Experimentelles machen können. Dass wir auch Menschen etwas anbieten, die der Kirche heute fernstehen, die uns aber eigentlich brauchen.

Laufkötter: Die Chance liegt darin, dass Kirche wieder lebendiger wird und sich stärker auf ihren Auftrag fokussieren kann. Ich rede gern vom wärmenden Lagerfeuer. Wir müssen die Kirchorte – also in der Regel die Pfarrgemeinden – als Lagerfeuer erhalten. Hier können Leute Kraft tanken, Gemeinschaft erleben. Aber wir haben in den letzten Jahrzehnten ein bisschen unseren Auftrag vernachlässigt, nach draußen zu gehen. Großteils wissen wir heute gar nicht, wie wir diese Leute auf ihrer spirituellen Suche erreichen können. Dafür haben wir auch keine Patentrezepte. Auch junge Leute sind da noch ein Problemfeld.

NZ: Ein Nürnberger Südstadtpfarrer wollte mal bei allen Haushalten seiner Gemeinde persönlich klingeln.

Laufkötter: Auch das kann helfen. Ich mache seit fast 30 Jahren Sternsinger-Arbeit. Man sieht: Welche Leute wohnen wo und wie geht es ihnen? Ich habe das immer dafür genutzt, mir aufzuschreiben, wo jemand später nachgucken muss, weil zum Beispiel die Wohnung vernachlässigt aussah. Früher waren manche Priester bekannt wie bunte Hunde im Stadtteil. Auch die Muslime kamen in St. Anton zu unserem Pfarrer für Lebensrat. Da war halt jemand, der kümmert sich um die Seelen. Das spricht sich rum.

Schwab: Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass vor Ort ein Priester ist, der das macht. Der Kirchort mit der seelsorgerischen Arbeit wird von Laien getragen und geführt werden müssen.

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NZ: Sie meinen Ehrenamtliche. Bei hauptamtlichen Laien – Pastoral- und Gemeindereferenten – herrscht ja Mangel wie bei Priestern. Können wirklich Ehrenamtliche die Lücken schließen?

Schwab: Sicherlich ist professionelle Unterstützung durch Schulungen nötig. Aber wir haben alle unsere Charismen (Begabungen, d. Red.).

Laufkötter: Wir haben bei uns in St. Anton zum Beispiel Wortgottesdienstbeauftragte ausgebildet. Sie halten Andachten, das wird sehr gut angenommen. Jeden Sonntag ist bei uns jemand vom Pfarrgemeinderat da, um an der Kirchentür alle Leute mit Handschlag zu begrüßen. Auch bei der Planung, wie oft oder wann die Gemeinde Gottesdienst feiern will, können Laien Führungsverantwortung zeigen. Sie können auch Beerdigungen leiten.

NZ: Aber sie haben auch Berufe, Familien, Alltag.

Schwab: Das ist durchaus ein Problem. Wenn die Ressourcen nicht da sind, können wir die Infrastruktur bis hin zu den Gebäuden nicht auf Dauer erhalten. Das muss man realistisch sehen und Schwerpunkte setzen.

Laufkötter: Die Ehrenamtlichenarbeit in der Kirche hat früher von den Frauen und Müttern gelebt, die nicht berufstätig waren. Die fallen heute weg, der Beruf fordert die Menschen stärker als früher. Es ist ja berechtigt, dass man sich nicht auch noch im kirchlichen Raum etwas aufhalsen will. Aber wenn das alle so sehen, kommen wir nicht weiter.

 

"Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten etwas unseren Auftrag vernachlässigt, nach draußen zu gehen."  Peter Laufkötter
 

NZ: Die Lage ist ja irgendwie der Not geschuldet. Laien gelten plötzlich mehr, weil man sie braucht.

Schwab: Letztendlich macht Kirche es aber ja für alle Menschen. Kirche agiert nicht nur, um ihre Struktur abzusichern.

NZ: Wie sehen das denn die Aktiven in Ihren Gemeinden, dass sie künftig ehrenamtlich mehr gefordert sind?

Schwab: Wenn ich ganz ehrlich bin, ist das Konzept aus der Stadtkirche noch gar nicht richtig an die Basis gedrungen.

Laufkötter: Was wir noch vermitteln müssen, ist das Gefühl: Gemeinde, das sind wir alle. Dorthin müssen wir zurück. Das ist der Ursprung der Kirche. Es gibt, glaube ich, noch viele Lee in der katholischen Kirche, die gar nicht das Gefühl haben, sie dürften oder müssten entscheiden. Kirche ist für sie der Papst, der Bischof, die Priester. Etwas anderes wurde ja nicht unbedingt immer von den Kanzeln gepredigt.

NZ: Haben Sie den Eindruck, dass Sie von oben bei der Ermutigung der Basis unterstützt werden?

Laufkötter: Ich bin ein bisschen skeptisch. Es gibt ein klares Wort der Deutschen Bischofskonferenz zur Beteiligung der Laien. Das ist sehr positiv und für uns Laien sehr fordernd, mit vielen Aufgaben und vielen Freiheiten. Manchmal hat man das Gefühl, das steht nur auf dem Papier. Das hängt viel vom einzelnen Umfeld einer Gemeinde ab. Das Zusammenspiel der Haupt- und Ehrenamtlichen gelingt nur, wenn die Ehrenamtlichen mehr in die Hand nehmen. Das ist auch für die Hauptamtlichen keine einfache Situation. Die Verantwortung bleibt kirchenrechtlich bei ihnen, aber sie müssen auf einmal loslassen.

Schwab: Dieses Selbstbewusstsein, lokal vor Ort Gemeinde zu gestalten, muss erst wieder entwickelt werden. Erst dann wird Kirche vor Ort wieder an Attraktivität gewinnen.

NZ: Wenn Sie sich etwas wünschen dürften, was sollte sich als Erstes in den Strukturen der katholischen Kirche ändern?

Schwab: Ich hätte da sofort etwas. Wir sind hierarchisch strukturiert. Der Führungsauftrag kommt von oben. Ich wünsche mir verantwortliche Priester und Bischöfe, die bereit sind, diese Aufgabe zu teilen. Ich glaube, anders können sie es in Zukunft auch nicht mehr.

Laufkötter: Ich will da aus dem Markus-Evangelium zitieren. Jesus sagt seinen Jüngern in Kapernaum: "Wer der Erste unter euch sein will, sei der Diener aller." Wenn wir das konsequent umsetzen, dann ist, glaube ich, viel gewonnen.

NZ: Ein Plädoyer für demütige Amtsträger. Interessant, wie abstrakt Sie antworten. Zölibat, gemeinsames Abendmahl, Frauenweihe: Sie lassen den üblichen Katalog aus?

Schwab: Tatsächlich ist es so, dass wir uns vor Ort in den Gemeinden mit diesen Themen viel weniger beschäftigen als die Öffentlichkeit. Ich bin mir auch nicht sicher, ob sie für das Überleben der Kirche relevant sind. Es kommt schon noch auf die Inhalte an. Das andere ist für mich ein Selbstläufer. Früher oder später kommt man daran nicht vorbei: Frauen zulassen, Zölibat abschaffen.

Laufkötter: Es geht nicht um Macht, Struktur und Tradition, sondern darum, dem Volk Gottes und der Menschheit zu dienen. Wenn wir dieses Dienen in den Vordergrund stellen, dann werden sich diese anderen Fragen einfacher lösen lassen. Das wird viel Zeit beanspruchen.

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